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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 7
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Rastlos Wege finden im Gestrüpp der Gegenwart
Der Komponist, Intendant und Dirigent Peter Ruzicka wird sechzig
„Und wie steht es um unsere Kultur, um Europa, den alten Kontinent:
Aufstieg oder Niedergang? ‚Ich sehe in Jahr und Tag kaum ein Heft Noten, das mich
erfreut, dagegen viele, die mich gar physisch unwohl machen können’,
bekannte Johannes Brahms vor bald 150 Jahren. ‚Es ist ja wohl zu keiner
Zeit eine Kunst so malträtiert worden, wie jetzt unsere liebe Musik. Hoffentlich
wächst im Stillen Besseres hervor, sonst würde sich ja unsere Zeit
in der Kunstgeschichte wie eine Mistgrube ausnehmen’.“
Peter
Ruzicka. Foto: Charlotte Oswald
Diese Zeilen, dieses Brahms-Zitat verwendete der am 3. Juli 1948 in Düsseldorf
geborene Komponist Peter Ruzicka, um seine Antrittsrede 2002 bei den Salzburger
Festspielen in die gewünschte Richtung zu bringen. So aber hat er immer
gedacht und gearbeitet. Er weiß, dass die Gegenwart schöpferisch
immer an sich selbst verzweifelt, dass sie nur noch Irrgänge und das Ende
der Kunst nahen sieht. Und er weiß, dass aus diesem Gestrüpp immer
wieder Blüten heranwachsen, vielleicht gerade dort, wo man sie am wenigsten
vermutete. Auf dieser unerschrocken zuversichtlichen Basis lässt es sich
gut komponieren, zugleich aber prädestinierte ihn dieses Vertrauen in
die allgemein wirkende schöpferische Kraft auch als Organisator oder als
künstlerischen Leiter. Und das schon ab jungen Jahren! So wirkte er von
1979 bis 1987 als Intendant des Radio-Symphonie-Orchesters Berlin, von 1988
bis 1997 stand er der Hamburgischen Staatsoper vor, ab 1996 übernahm er
von Hans Werner Henze die Münchener Biennale für neues Musiktheater
und 2001 bis 2006 war er Intendant der Salzburger Festspiele. Noch einen dritten
Arbeitssockel gibt es: das Dirigieren. Und spätestens hier fragt man sich,
wie ein Mensch überhaupt diese Fülle an Tätigkeiten, wo eine
einzelne schon manchen überfordern würde, zu leisten vermag (das
kompositorische Werk hat einen stattlichen Umfang von der großen Celan-Oper über
etwa 30 große Orchesterwerke, bis hin zu Vokal- und Kammermusikwerken).
Es liegt, so betont Ruzicka immer wieder, an der Ökonomie. Vielleicht
hat diese Ökonomie schon ihre Wurzeln in Ruzickas Ausbildung, er studierte
parallel Rechts- und Musikwissenschaften, kompositorische und pianistische
Unterweisungen hatte er schon davor zwischen 1963 und 1968 am Hamburger Konservatorium
neben der Gymnasialzeit erhalten. Die Disziplin der Rechtswissenschaften mag
auch auf die schöpferische Arbeit eingewirkt haben. Jedenfalls steckt
Ruzicka die Zeiträume eines Jahres genau ab, es gibt Monate, wo er sich
ausschließlich dem Komponieren widmet, wo er gleichsam abtaucht und für
kaum einen anderen Menschen greifbar ist, dann wieder widmet er sich mit ähnlicher
Ausschließlichkeit den Intendantentätigkeiten und verdrängt
gleichsam das eigene schöpferische Denken ins Unterbewusste (wo es freilich
fortwirken mag). Das Dirigieren bedeutet so etwas wie Ausflüge, nicht
zuletzt, um die musikalische Welt, die Ruzickas Denken nahezu ausschließlich
bestimmt, noch aus dritter Warte und mit fruchtbaren Wechselwirkungen zu
betrachten.
Und dieses wesentliche Moment der Wechselwirkung hat immer mehr
auch Ruzickas
kompositorisches Denken beeinflusst. Nachdem seine frühen Arbeiten noch
unter dem Einfluss der damaligen Avantgarde standen, nahmen die Werke ab den
70er-Jahren (Ruzicka war da gerade Anfang 20!) eine ganz eigene Physiognomie
an. Es gibt Hinwendungen zu anderen Komponisten, seien es Schumann, Webern,
Haydn oder auch der Renaissance-Musiker Tallis, ebenso zur Literatur und zur
Philosophie.
Celan etwa wird zu einem Schwerpunkt des Denkens, mehrere Stücke entstanden
in Bezug auf den Dichter und gipfelten schließlich in der großen
Celan-Oper von 1999 (zurzeit schreibt Ruzicka, ebenfalls nach einigen Stücken
der Annäherung, an einer Hölderlin-Oper). So entsteht auch zwischen
den einzelnen Kompositionen ein Flechtwerk von Beziehungen, was hier Andeutung
ist, steht da im Zentrum, die Begriffe des Sich-Näherns, des Entfernens,
des Verwandelns, des Vergessens, des Verschwindens nehmen eine immer größere
Rolle in seinem Schaffen ein. Eines möchte Ruzicka dabei nie aus den Augen
verlieren: den Begriff des schöpferischen Vorankommens, den er von der
alten Avantgarde der 50er- und 60er-Jahre mit auf den Weg nahm und den er jetzt
mit dem Begriff der Zweiten Moderne (auch über organisatorische Vermittlung)
an die heutige Jugend weitergeben möchte.
Peter Ruzicka ist dabei rastlos wie immer. Sein Elan ist ungebrochen und
wird auch noch viele Jahre auf unser Musikleben befruchtend einwirken. Die
nmz gratuliert
zum 60. Geburtstag und wünscht eine niemals nachlassende Energie!