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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 19
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Hochschule
Zukunftspläne nach erfolgreicher Existenzsicherung
Im 125. Jahr seines Bestehens bezieht das Peter-Cornelius-Konservatorium
Mainz eine neues Domizil · Von Andreas Hauff
So genau weiß man gar nicht, wann der Mainzer Paul Schumacher
in der Mittleren Bleiche ein Konservatorium gründete. „Um
1882“ steht auf der Website des heutigen Peter-Cornelius-Konservatoriums, „1883“ in
der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum. Die Zeittafel
in der offiziellen Mainzer Stadtgeschichte von 1998 nennt die Gründung überhaupt
nicht. Das über 1.300-seitige Buch enthält zwar Spezialkapitel
zu Themen wie Stadtplanung, Architektur und Kunst, zu Wasserversorgung
und Müllabfuhr, aber nicht zur Mainzer Musikgeschichte.
Gefeiert wurde dennoch – mit einem attraktiven Jubiläumswochenende
um den 18. Mai und einem Festakt am 1. Juni. Oberbürgermeister
Jens Beutel zog sich dabei in der Datumsfrage geschickt aus der
Affäre, als er bemerkte: „Wenn gefeiert wird, dann natürlich
im neuen Haus.“ Tatsächlich residiert das Peter-Cornelius-Konservatorium
erst seit dem Umzug am 17. Dezember 2007 und der offiziellen Einweihung
am 12. Januar 2008 in seinem Neubau an der Binger Straße.
Beutels Bekenntnis zum PCK als „festem Bestandteil des künstlerischen
und gesellschaftlichen Lebens in unserer Landeshauptstadt Mainz“ war
keine Selbstverständlichkeit. Immer wieder hieß es in
den letzten Jahren, der Betrieb eines Konservatoriums sei keine
städtische Angelegenheit. Noch 2007 forderte der Bund der
Steuerzahler die Schließung.
„Musikalische Lehre von den allerersten Anfängen bis zur künstlerischen
Reifeprüfung, alles unter einem Dach und in städtischer
Trägerschaft – dieses gibt es nur noch in Mainz und
Darmstadt“, stellt Direktor Dr. Gerhard Scholz in der Festschrift
klar, und fügt hinzu: „Viele deutsche Musikhochschulen
sehnen sich nach diesem Praxisfeld“. Der Beobachter von Außen
spürt die Vorteile des Ineinandergreifens von Jugendmusikschule,
Musikschule und Berufsausbildung wahrscheinlich am deutlichsten
bei dem seit 1999 alljährlich im Herbst stattfindenden Mainzer
musikpädagogischen Seminar, bei dem eine ausgewählte
Thematik aus Sicht verschiedener Disziplinen von international
renommierten Wissenschaftlern und Künstlern behandelt wird.
2000 hieß es zum Beispiel „Abenteuer Unterricht“,
2002 stand das Thema „Klassenmusizieren“ auf dem Programm,
2005 „Üben“. Theorie und Praxis werden hier eng
verzahnt. Die Dozenten und Studenten des Hauses sitzen nicht nur
im Publikum, sondern immer wieder auch zu Demonstrationszwecken
auf der Bühne.
Versonnen lächelt Direktor Schulz, seit fast zehn Jahren im
Amt, auf seinem Bild in der Festschrift den Betrachter an. Bei
der persönlichen Begegnung scheint ihm die Anspannung eines
jahrelangen Existenzkampfes noch ins Gesicht geschrieben. Erst
1983 war das Konservatorium aus beengten Verhältnissen in
das ehemalige Polizeipräsidium gezogen. Doch schon Ende der
90er-Jahre legte die sich verschärfende Haushaltskrise der
Stadt einen Verkauf des denkmalgeschützten Barockpalais im
Herzen der Innenstadt nahe. Es begann eine hektische, aber vergebliche
Suche nach realistischen Ausweichquartieren, bis sich 2006 eine
günstige Neubau-Lösung abzeichnete, die dann auch mit
hoher Geschwindigkeit realisiert wurde.
Der neue Platz an einer vielbefahrenen Ausfallstraße zwischen
Hauptbahnhof, Hauptfriedhof und Universitätscampus, mit einem
großen Autohaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite
und einem hohen Licht schluckenden Parkhaus auf der Hinterseite,
demonstriert dem Betrachter zwar sinnfällig, welch geringen
Stellenwert Kultur, Bildung und Erziehung im Vergleich zum motorisierten
Individualverkehr in unserer Gesellschaft genießen, doch
natürlich muss man heute mit diesen Gegebenheiten leben. „Sehen
Sie,“ insistiert Scholz, „jetzt haben wir ein eigenes
Haus mit einem Mietvertrag von 25 Jahren und einer zweimaligen
Verlängerungsoption von zehn Jahren. Im Dalberger Hof waren
wir doch alle 14 Tage zum Abschuss freigegeben.“
Er betont die Vorteile des Standortes: Die Verkehrsanbindung
mit Bus und Bahn so nahe am Hauptbahnhof ist ideal. Das „PCK“-Logo
an der Außenwand ist deutlich sichtbar. Und der neue Konzertsaal
mit seinen 250 Plätzen hat genau die in Mainz bislang fehlende
Dimension. Das Konservatorium werde in der Stadt künftig ganz
anders wahrgenommen werden. Und vielleicht trägt das PCK mit
zur Belebung der bislang eher tristen Gegend bei. Im Erdgeschoss
hat die Firma Musik Alexander gerade ihre Klavierabteilung eröffnet,
und wenige Häuser weiter hat eine Bäckerei-Filiale aufgemacht.
Gegenüber entsteht gerade das Intercity-Hotel. Und sobald
der bewährte Kooperationspartner des PCK, die Hochschule für
Musik, ihren entstehenden Neubau auf dem Universitätscampus
bezogen haben wird, bietet sich das neue Haus als musikalische
Brücke zwischen Stadt und Universität an.
Den Festakt am 1. Juni eröffneten die Chöre des PCK unter
Leitung von Ronald Pelger eindrucksvoll mit drei Auszügen
aus Felix Mendelssohn Bar-tholdys Sinfonie-Kantate „Lobgesang“ – Anlass
für den geschichtsbewussten Kulturdezernenten Peter Krawietz,
einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Er erinnerte an Felix
Mendelssohn als Gründer des ersten Konservatoriums in Leipzig,
an den Anlass für die Komposition des „Lobgesangs“,
nämlich die Feier der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes
Gutenberg in Mainz, und er hätte natürlich auch an den
Stellenwert des Komponisten für das bürgerliche Konzert-
und Oratorienwesen im ganzen 19. Jahrhundert erinnern können.
Wichtig war Krawietz der Übergang des Konservatoriums in städtischen
Besitz und städtische Verwaltung im Jahr 1920. Mit Hans Rosbaud
(1920–1929) und Hans Gál (1929–1933) amtierten
zwei heute noch bekannte Musiker-Persönlichkeiten als Direktoren.
Wie auch andernorts begann mit dem Nationalsozialismus der kulturelle
Niedergang. Gál wurde wegen seiner jüdischen Abstammung
fristlos entlassen und emigrierte nach England – was ihn
später nicht hinderte, bis zu seinem Tod 1987 freundschaftliche
Kontakte nach Mainz zu pflegen. Es folgten zahlreiche Wechsel an
der Spitze, der Verlust des kurzfristig errungenen Musikhochschul-Status,
die Taufe auf den Namen des Mainzer Komponisten Peter Cornelius,
die Zerstörung des Gebäudes in der mittleren Bleiche
und die Einstellung des Betriebs in der Endphase des Zweiten Weltkriegs.
Und mühsam gestaltete sich der Wiederaufbau: Räumlichkeiten
und leitende Persönlichkeiten wechselten in schneller Folge,
bis unter der Direktion von Volker Hoffmann (1966–1985) wieder
Kontinuität einkehrte.
Hoffmanns Nachfolger Wolfgang Schmidt-Köngernheim (1985–1998)
setzte neue Akzente: Er suchte die Kooperation zwischen Musikschule
und allgemein bildender Schule, öffnete die musikalische Bandbreite
in Richtung Popularmusik und die musikalische Unterweisung in Richtung
Gruppenunterricht. Im Kollegium löste er damit heftige Kontroversen
aus. Dr. Franz-Josef Schwarz, Leiter der Studienabteilung und stellvertretender
Direktor meint im Rückblick dazu: „Sehen Sie sich die
wechselvolle Geschichte des PCK an. Es hat ja alle Wendungen des
20. Jahrhunderts mitgemacht, ständige Wechsel erlebt. Kein
Wunder, dass die Kollegen sich selbst vor allem über die alte
Tradition des Einzelunterrichtes und des Lehrer-Schüler-Verhältnisses
definierten!“ Gerhard Scholz als Schmidt-Köngernheims
Nachfolger gelang es, das Institut zu befrieden – durch Sachlichkeit,
Gesprächsbereitschaft, Pragmatismus, praktische Beispiele
und Fortbildungsangebote wie das musikpädagogische Seminar.
Seine Linie beschreibt er als „kritisch traditionsbewusst“.
Mit dem Satz „Üben ist vor allem Arbeit und nicht Spaß“,
setzt er der event-orientierten Erlebnisgesellschaft das Bekenntnis
zu künstlerischer Qualität entgegen, „und wer es
wirklich wissen will in Mainz, der muss zu uns kommen“. Im
Gespräch wird spürbar: Nach erfolgreicher Existenzsicherung
freut sich die Führungsspitze darauf, mit dem Kollegium in
die Zukunft zu denken. „Wir haben eine sehr flache Hierarchie“,
sagt Schwarz, und Scholz ergänzt: „Wer hier mit seinen
Ideen nicht durchdringt, hat sie noch nicht genügend durchdacht.“
Ideen sucht man am PCK derzeit vor allem für zwei Bereiche.
Zur Präsentation beim 10. Mainzer Musikpädagogischen
Seminar am 25. Oktober 2008 ist ein Wettbewerb „Musik in
der Ganztagsschule“ ausgeschrieben: Hier geht es um neue,
fundierte Unterrichtskonzepte aus der Kooperation von Musikschule
und allgemein bildender Schule, die einen niedrigschwelligen Zugang
zum Musizieren eröffnen und zur nachhaltigen Beschäftigung
mit Musik anregen. Und ein zweiter Wettbewerb, soeben ausgelobt,
sucht nach Konzepten für die elementare Musikpädagogik,
die den sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung
tragen. Durch die Kooperation mit den allgemein bildenden Schulen
und der freien Jugendpflege, durch die zunehmende Arbeit mit Erwachsenen,
auch mit Senioren und Behinderten, stehe die Disziplin vor neuen
Herausforderungen, erläutert Franz-Josef Schwarz. An den verschiedensten
Stellen gebe es zwar viele neue Ansätze, aber sie würden
nicht bekannt. Es fehle in Deutschland schlicht ein Forum für
die musikalische Früherziehung und ihre Weiterentwicklung: „Warum
sollen gute Ideen nicht allen zugutekommen?“