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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 49
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Bücher
Überwindung im Schreiben
Der Briefwechsel zwischen Arnold Schönberg und Alban Berg
als editorische Großtat
Briefwechsel Arnold Schönberg – Alban Berg, hrsg.
v. Juliane Brand, Christopher Hailey u. Andreas Meyer (Briefwechsel
der Wiener Schule, Bd. 3), Schott, Mainz u. a. 2007, 2 Bde., LII,
657 S., XIII, 655 S., Abb., € 69,95, ISBN 978-3-7957-0546-6
Als gälte es, keine Zeit zu verlieren: „Lieber Herr
Berg, ich freue mich, dass Sie sich ordentlich erholt haben. Nun
recht fest an die Arbeit, und bald!“ Mahnende Worte des Lehrers
an den Schüler. Arnold Schönberg schreibt an Alban Berg.
Es ist der Beginn eines in mehrfacher Hinsicht faszinierenden
Briefwechsels. Die ersten vier Jahre dieser von 1906 bis 1935 dauernden
Kommunikation
enthalten meist Spärliches, Terminabsprachen, Honorarforderungen,
Einladungen. Dann, Mitte Juni 1911, wird Berg erstmals ausführlicher,
er gestattet Einblicke ins Private; klagt über Asthma, das
ihn sein Leben lang plagen sollte; berichtet von seiner Lektüre
der Wagner’schen Autobiographie, die er „ein Denkmal
unerhörtester Künstlerleiden“ nennt. Eine Antwort
des Meisters auf diese Bekenntnisse hat sich nicht erhalten. Bezeichnend
daher Bergs Eingeständnis wenige Wochen später: „Verzeihn
Sie, lieber, verehrter Herr Schönberg die umständlichen
Sätze, die kein Ende nehmen.“ Zweierlei wird hier deutlich:
Bergs ehrliche, in den Folgejahren fast bedingungslose Begeisterung,
ja sein Gehorsam gegenüber Schönberg, und die Erkenntnis,
dass sein Stil, seine Ausführungen zur Weitschweifigkeit neigen.
Für Alban Berg bieten die Briefe eine Art von essayistischer
Plattform, hier breitet er aus, was er auszusprechen sich nicht
traut. Das geschriebene Wort wird ihm zum Medium der Selbsterkundung,
hier öffnet er die Tore zu seiner Gedankenwelt, hier kann
er seinen Hang zum Grübeln ausleben. Schönberg dagegen
ist ein völlig anderer Typ von Briefschreiber. Mit knorriger
Kürze, mitunter in noblem Befehlston geht er auf Bergs Impulse
ein. Schönberg folgt meist dem Gebot der Knappheit, er konzentriert
sich aufs Wesentliche: „Mir sollte man es, wenn ich einen
Brief schreibe, so anrechnen, wie ich sage, dass man es einem Reichen
anrechnen soll, wenn er etwas gibt (…). Einem Reichen ist
es eine sehr große Ueberwindung und macht ihm gar kein Vergnügen.“
Es sind alles in allem 810 Dokumente – Briefe, Telegramme,
Postkarten –, die die Herausgeber zusammengetragen und auf
glänzende Weise kommentiert haben. In mehr als 2.100 Anmerkungen,
die nicht gebündelt im Anhang, sondern benutzerfreundlich
am jeweiligen Seitenende als Fußnoten platziert wurden, finden
sich die wichtigsten Erklärungen: Namen, Datierungen, Verweise,
Werkbezeichnungen. Die editorischen Verdienste von Juliane Brand,
Christopher Hailey und Andreas Meyer erstrecken sich auch auf das
knapp 50-seitige Vorwort und auf den Anhang mit einem umfassenden,
biographisch erklärenden Personenverzeichnis sowie einem Register.
Dieser Briefwechsel lässt uns nicht nur in die Erfinderköpfe
zweier Komponisten schauen, sondern liefert zugleich Erkenntnisse über
den damaligen Zeitgeist, über das kulturelle Leben in Wien
(etwa die mentalitätsprägende Bedeutung von Kaffeehäusern),
aber auch über das Ausgeliefertsein gegenüber der politischen
Entwicklung der 30er-Jahre. Aus seinem amerikanischen Exil schreibt
Schönberg Anfang 1935, dass er einen Entwurf zur „Gründung
eines ‚Schutzbundes für geistige Cultur’ entworfen“ habe,
eine Art Verteidigungsbündnis, das von einem „Kampffond“ genährt
werden soll: „Denn es scheint ums Ganze gehen zu sollen!
In allen Ländern! Wie nach der Niederwerfung der Französischen
Revolution, wo es 50 Jahre gedauert hat, bis zum Sieg des Liberalismus.
Es scheint, dass wir etwas Ähnliches erleben sollen!“
Längst hat sich das Verhältnis der beiden gewandelt,
die Zeit der Entfremdung nach November 1915 ist überwunden,
aus der Lehrer-Schüler-Beziehung hat sich eine innige Freundschaft
entwickelt, die sich nicht nur in der Wendung zum „Du“ niederschlägt.
Zwar bleibt auch jetzt Berg der Redseligere, doch auch Schönberg
ist zu größerer Offenheit fähig, bereit, seinen
Kollegen als Partner anzuerkennen. Zu Bergs 50. Geburtstag schreibt
der elf Jahre ältere Schönberg: „Du, der als einziger
unserer Sache allgemeine Anerkennung zu gewinnen imstande warst.
Es ist unsere gemeinsame Sache“. Dies ist wohl mehr als nur
eine Replik auf Alban Bergs Widmung seiner „Lulu“ an
Schönberg: „Nimm sie, bitte, nicht nur als ein Produkt
jahrelanger, Dir zu innerst geweihter Arbeit entgegen, sondern
auch als eine Dokumentierung nach außen hin: die ganze Welt – und
auch die deutsche – soll in der Zueignung dieser Deutschen
Oper erkennen, daß sie – wie mein ganzes Schaffen – beheimatet
ist in dem Bezirk deutschester Musik, das für ewige Zeiten
Deinen Namen tragen wird.“ Schönberg ahnt, nachdem er
auch in den Vereinigten Staaten erfahren hat, dass dort eine Grundskepsis
gegenüber seiner Musiksprache herrscht, wie schwer sich seine
Werke auch künftig verbreiten lassen. Ein wenig trotzig bekennt
er 1934: „Ich weiss seit langem, dass ich Verbreitung des
Verständnisses für mein Werk nicht erleben kann und meine
vielgerühmte Standhaftigkeit ist eine Zwangslage und stützt
sich auf den Wunsch, es dennoch zu erleben. Ich habe mein Ziel
weit genug gesteckt, um sicher zu sein dass Widerstrebende und
selbst Entgegenstrebende einmal dorthin gelangen müssen.“
Dieser Briefwechsel, Teil der großen Edition „Briefwechsel
der Wiener Schule“, ist ein großer Wurf, ein Meilenstein
in der Musikgeschichtsschreibung, zumal ein Großteil der
hier versammelten Dokumente bislang unzugänglich war – eine
teils beklemmende, gelegentlich erheiternde, mal verkrampfte, zunehmend
aber unbefangenere, aber immer sehr menschliche Innenschau zweier
unterschiedlicher Künstler, die gemeinsam gerungen haben:
miteinander und füreinander.