Diese Musik hat mich wirklich überrascht. Der Ungar Géza
Frid (1904–89), der bereits 1929 emigrierte, sich in Amsterdam
niederließ und 1948 niederländischer Staatsbürger
wurde, ist außerhalb seiner Wahlheimat kaum bekannt. Nach
mehrfachem Hören bin ich sicher, dass er zu den besten Komponisten
Ungarns zu zählen ist. Es erging ihm wie vielen Emigranten,
die weder der Avantgarde noch dem Kommerz zuneigten und auch keine
Lobby fanden. Während Ligeti und Kurtág zu Ikonen des
20. Jahrhunderts erhoben wurden, erfreute sich Frid einfach nur
der profunden Wertschätzung von Musikern und Kennern. Seine
vier Streichquartette sind in einem Zeitraum von dreißig
Jahren entstanden (1926, 1939, 1949 und 1956).
Sie sind sehr unterschiedliche
und abwechslungsreiche Erzeugnisse eines ausgeprägten Personalstils,
der bis zuletzt unverkennbar ungarischer Herkunft ist und auf sehr
eigene und lebendige Weise den übermächtigen Einfluss
Béla Bartóks verarbeitet. Das 1. Quartett ist ein
zündender Beweis früher Reife in vier farbreich kontrastierenden
Sätzen. Im in schwieriger Zeit verfassten 2. Quartett exerziert
Frid mit magischen Klangmixturen fantasiereich fugierende Satzmodelle,
die mit der Historie (Bach) spielen – frisch, freisinnig,
ohne jegliche Zopfigkeit. Mehrere Reisen nach Indonesien konfrontierten
Frid mit dem Unbekannten und erweiterten seine kreative Innenwelt
beträchtlich. Unter diesen Eindrücken entstand das 3.
Quartett, die Fantasia tropica, die in vier Sätzen (Abend – Nacht – Morgen – Abend)
das Außerordentliche einfängt und mit dem Eigentümlichen
verschmilzt. Ein herrliches Werk, das den brasilianischen Stücken
Darius Milhauds oder den indischen Anverwandlungen John Foulds’ gleichberechtigt
zur Seite tritt. Im 4. Quartett ist Frids Ausdruck komplett befreit,
dabei mit souveräner Klarheit und Disziplin in schlüssige
Form gebracht. Auch in diesem, in seinen Proportionen so vorbildlichen
Werk gilt, was sein ganzes Schaffen auszeichnet: eine natürliche
Wildheit, die sich in animativ spannender Rhythmik, scharf gewürzter,
delikat reibungsfreudiger Harmonik, improvisatorisch leidenschaftlicher
Melodik, vortrefflich musikalischer Verwendung von Glissandi und
aus innerer Notwendigkeit bezwingendem Rubato kundtut; eine stetige
Durchdringung von struktureller Seriosität und feinem Humor;
blutvoller, musikantischer Atem, der respektvoll mit den Idiomen
spielt, ohne ihnen auf den Leim zu gehen.
Géza Frids Streichquartette
sind klassische Moderne von hohem Karat, die sich auch neben Schostakowitsch
oder Bartók hören lassen kann, und das junge schweizerisch-deutsche
Amaryllis Quartet wird dem in vorbildlicher Weise gerecht, musiziert
voll Wachheit, Finesse, Hingabe und Intelligenz. Auch das Klangbild
ist erlesen reich schattiert. Baldmöglichst würden wir
gerne mehr hören.