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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 46-47
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Rezensionen-CD
Warm leuchtend
Hans Sommer: Lieder. Stella Doufexis, Mezzosopran; Havard Gimse,
Klavier.
Sony Classical 88697298752
Wilhelm Rettich: Else Lasker-Schüler
Zyklus op. 26a. Michal Shamir, Sopran; Vag Papian, Klavier
Gideon Boss Musikproduktion gb 002
Gemessen an dem Umstand, dass
Hans Sommer einst dafür gepriesen
wurde, „Wagner’s Kunstprincip“ auf das Klavierlied übertragen
zu haben, hat man von seinen Liedern bisher herzlich wenig gehört.
Entsprechend kann die vorliegende Aufnahme auch die Weltersteinspielung
für sich reklamieren. Und, um es vorweg zu nehmen, besagter
Huldigung aus der „Österreichischen Musik- und Theaterzeitung“ von
1895, die Hans-Christoph Mauruschats knapper, aber informativer
Booklet-Text zitiert, halten die Werke des Urheberrechts-Pioniers
dann eben doch nicht ganz stand. Da gibt es zwar, etwa in den Eichendorff-Vertonungen
der 1880er-Jahre, freier gefügte Formen, in „Verloren“ trifft
Sommer damit auch die desolate Stimmung des Gedichts, in der „Lorelei“ aber
kommt er mit seiner Dramatisierung nicht recht vom Fleck. Harmonisch
häuft sich Vorhersehbares, die melodische Erfindung dagegen
ist immer wieder von exquisiter Qualität, kann freilich, wenn
die lyrische Vorlage sich in entsprechende Niederungen begibt,
auch den Kitsch streifen („Desdemona“). In den späten
Goethe-Vertonungen scheint Sommer dann ganz bei sich zu sein, lässt
die Verse frei atmen und ausschwingen. Ohne weiteres könnten
sie in Konzertprogrammen Strauss’schen Liedern zur Seite
gestellt werden. Geadelt wird die begrüßenswerte Unternehmung
durch Stella Doufexis’ warm leuchtenden, natürlich und
klar artikulierenden Mezzo, von Havard Gimse anschmiegsam begleitet.
Nicht weniger verdienstvoll ist sicher das Engagement für
den im musikhistorischen Bewusstsein noch weit weniger präsenten
Wilhelm Rettich. Über das Schicksal des jüdischen Kaufmannssohns,
der nach seinem holländischen Exil vergeblich in der BRD der
60er-Jahre wieder musikalisch Fuß zu fassen versuchte, gibt
Georg Becks ausführlicher Begleittext Auskunft. Sein Liederzyklus
auf Gedichte Else Lasker-Schülers (1923–28) ist ein
Unikum unter den Vertonungen der Expressionistin. 26 Gedichte aus
vier Werkgruppen hat Rettich ausgewählt und er unterstreicht
inhaltliche Verwandtschaften durch musikalische Verknüpfungen:
So nimmt die Nummer 13 („Dir“) die Vertonung von „Ruth“ (Nummer
4; aus den Hebräischen Balladen) und damit die direkte Ansprache
an die Geliebte auf, reagiert aber mit der Verschiebung um eine
Quart nach unten und der Verweigerung des emphatischen Aufschwungs
auf die resignative Kälte des zweiten Textes. Das abschließende „Gebet“ wiederum
ergänzt die Nummer 12, das „Klein Sterbelied“,
um weitere Strophen und rundet die Sammlung somit sinnfällig
zum Zyklus. Nicht durchweg reicht Rettichs harmonisches und melodisches
Ausdrucksspektrum allerdings hin, um den illustren Vorlagen gerecht
zu werden. Die Reger-Schule macht sich bemerkbar, nicht aber im
Sinne einer Fruchtbarmachung von dessen modulatorischen Finessen
für eine auf der Höhe der Texte angesiedelte Stimmungszeichnung.
Auch stößt Michal Shamir in den großen dramatischen
Ausbrüchen an die Grenzen ihres in der Mittellage noch substanzreichen
Soprans und vermag es trotz souveräner Unterstützung
durch Vag Papian nicht, die Textnuancen voll zur Entfaltung zu
bringen. Gleichwohl eine lohnende Begegnung.