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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 46
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Rezensionen-CD
Es ist möglich – Musik ohne Fußball
Garantiert EM-freie Neuveröffentlichungen aus der Popbranche
im Juli
Nach Wochen der platten EM-Hits und notdürftig auf Fußball
gebürsteten Gassenhauer scheint Rettung in Sicht. Fünf
mehr als ordentliche Platten, deren Genres jedem Popfan gefallen
sollten. Den Anfang machen alte Bekannte, nämlich die Schmuseritter
von Chicago, die sich irgendwie dann doch zurückmelden. Und
zwar mit dem sagenumwobenen Album „Stone of Sisyphus XXXII“.
Lange galt es als nie veröffentlichtes, streng geheimes Album,
dessen Inhalt nur in Fragmenten an die Öffentlichkeit gelangte.
Nun gibt es den Erguss in voller Pracht, dazu noch vier Bonustracks.
Man darf festhalten, dass Chicago tatsächlich mal unschwülstige
Musik machten, deren Wurzeln klar im funkigen Groove verhaftet
waren. Ein durchaus nostalgisches Album, dessen Kraft auch ohne
den drapierten „Top Secret“-Status Bestand hätte.
Ein interessantes Stück Musik ist die Kompilation Earthgrooves
2. Denn: Jeder hat es schon getan, auf Pro 7 oder N24 die Bilder
der ferngesteuerten Kameras von EarthTV aus allen Erdteilen und
Städten der Welt zu verfolgen. Und ganz nebenbei Fluchtpläne
zu schmieden. Begleitet werden die Bilder seit vielen Jahren von
eloquenter Musik. Unaufdringlich, sehnsüchtig und dabei offensichtlich
Zielgruppen übergreifend zeitgemäß. Oma, Eltern
und Kids scheinen der Musik, die von den Musikproduzenten Christian
Hamm und Alain Bertoni entwickelt wurde, einiges abgewinnen zu
können. Zusammen mit mehr als 100 Musikern aus 15 Ländern
produzierten sie Musikstücke. Eine kleine Selektion ist auf „Earthgrooves
2“ zu hören. Eine vorzügliche Mischung aus Soundtrack
und Ambient.
Wer auf den amerikanischen Singer/Songwriter John Mayer steht,
dem wird das DVD/CD Live-Paket gerade recht kommen. 22 Songs hat
er dafür ausgewählt. Das Besondere: Mayer spielte drei
Konzerte nacheinander in verschiedenen Konstellationen. Soll heißen:
erst ein Akustikauftritt, dann ein Trioauftritt und zu guter Letzt
die komplette Band. Spannende Geschichte, in Ton und Bild auch
brillant umgesetzt. Verantwortlich für das gute Bild ist unter
anderem der Regisseur Danny Clinch, der bereits Bruce Springsteen,
Pearl Jam oder Foo Fighters gekonnt ablichtete. Klare Kaufempfehlung,
letztendlich auch weil John Mayer ganz hervorragende Songs schreiben
kann und auch live keine peinliche, sondern eine famose Figur abgibt.
Verpflichtendes Lehrbuchmaterial für angehende Songwriter
mit tendenziell kommerziellen Interessen.
Vorsicht ist ja stets bei instrumentalen Alben geboten. Zu oft
wird die Wiederholfunktion des Computers benutzt, sodass am Ende
mehr Suppe denn Braten auf den Tisch kommt. Anders dagegen: Strings
of Consciousness mit ihrem Album „Fantomastique Acoustica“.
Reizvolle Töne, Spannungsbögen, Geräusche, Stimmen,
Effekte und zahlreiche Instrumente wurden effektvoll aber harmonisch
untereinander vermengt. Obwohl Ruhe und Langsamkeit Trumpf sind,
entstehen nie Löcher der Langeweile oder Beliebigkeit. Schön
auch, dass es bei Strings of Consciousness nicht ums penible Verschieben
von Tonspuren geht, sondern dass jeder Song einem roten Faden folgt.
Keine Verschachtelungen, keine Frickeleien. Nur ein sehr angenehmer
Soundtrack zum Lebensfilm.
Ein weiteres großartiges und in diesem Fall letztes Album
seiner Kalifornien-Trilogie stellt das Songwriter-Musketier Ry
Cooder vor. Großartige Einflüsse pflastern Cooders Highway:
Von Country über Western, von Folk über Blues oder von
Pop über Truckermusik ist die gesamte Bandbreite eines typischen
amerikanischen Songschreibers eindrucksvoll abgedeckt. Wunderbare,
zeitlose Songs, die man mit einem schlichten „Danke“ kommentieren
sollte.
Sven Ferchow
Diskographie
Chicago – Stone of Sisyphus XXXII (27.6.2008, Warner)
V.A. – Earthgrooves 2 (23.05.2008, Alive)
John Mayer – Where the light is (4.7.2008, SonyBMG)
Strings of Consciousness – Fantomastique Acoustica (20.6.2008,
Stilll/Off)
Ry Cooder – I, Flathead (27.06.2008, Warner)