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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 47
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Rezensionen
Kurz vorgestellt
CDs
Player-Piano-Stücke von James Tenney, Tom Johnson, Daniele
Lombardi, Steffen Schleiermacher, Krzysztof Meyer und Marc-André Hamelin
MDG 645 1406-2
Originalkompositionen in der Tradition von Conlon Nancarrow
verspricht diese CD. Und sie löst dieses Versprechen mit einer Vielzahl
erfrischend kreativer Stücke ein. Da werden Kontrapunkte zu
wilden Kaskaden getürmt, da hört man sich selbst regulierende
Massenprozesse und vor allem viel griffige, mit höchster Musikalität
in den Kisten aus U und E wühlende Miniaturen. Eine Reise
in die Welt der Klaviermusik, die mit zwei oder vier Händen
nicht zu bewältigen wäre. Höchst spannend und über
das Staunen zugleich höchst unterhaltend.
Paul Ben-Haim: Erste Sinfonie; Psalm-Vertonungen für
gemischten Chor und andere Instrumentalkompositionen.
Orchester der Tübinger Motette, Gerhard Kaufmann; Projekt-Chor,
Johanna Irmscher und andere
Über Israel Music Institute (IMI), 55 Menachem Begin Road, 67138
Tel Aviv, Israel
Der israelische Komponist Paul Ben-Haim wurde unter dem Namen
Paul Frankenburger 1897 in München geboren. Er emigrierte
mit neuem Namen 1933 nach Palästina und sein Schaffen gilt
heute als Basis der israelischen Musik (er starb, nachdem er wegen
eines Verkehrsunfalls 1972 fortan an den Rollstuhl gefesselt war,
1984 in Tel Aviv). Diese CD vermittelt einen Einblick in sein umfangreiches
und von großer schöpferischer Energie geprägtes
kompositorisches Wirken. Die Erste Sinfonie entstand 1940 (im gleichen
Jahr wurde seine Schwester Rosa in Auschwitz ermordet) und ist
durch die geschichtlichen Ereignisse geprägt. Zugleich aber
sucht sie einen Ton, der einen Aufbruch in israelisches Lebensgefühl
gestaltet. Eigenwillig und stark.
Jens Joneleit: In-Between (acht Blues-Stücke); Jens Joneleit
an Schlagzeug, Bass und Klavier
NEOS 40707
Jens Joneleit, der soeben bei der Münchener Biennale mit
seiner Oper „Piero“ auf sich aufmerksam machte, arbeitet
vielschichtig (unter anderem auch als Maler). Seine Neigung zum
Jazz ist in dieser durchwegs von ihm realisierten CD (er spielt
alle drei Instrumente im Overdub-Verfahren, was den Begriff des
Jazz freilich schon transzendiert) auf eindrucksvolle Weise dokumentiert.
Nirgendwo gleitet die Musik ab in das reibungslose Einbringen von
Jazz-Stereotypen sondern schafft stets fein durchgehörte,
energetische Kurven, Widerstände und Durchbrüche. So
werden diese Stücke zu einem ganz besonderen Jazz-Erleben,
das die differenzierte Hellhörigkeit und das strukturelle
Formgefühl komponierter Musik impliziert.
Frank Martin: Polyptyque; Maria-Triptychon, Passacaille; Muriel
Cantoreggi, Violine; Juliane Banse, Sopran; Deutsche Radio Philharmonie,
Christoph Poppen
ECM 2015 (1733930)
Drei der nachdrücklichsten und tief empfundenen Werke von
Frank Martin werden hier in großer interpretatorischer Qualität
vorgestellt. Es ist eine Musik, die aus dem Glauben kommt und zugleich
den Rückgriff auf Bach sucht, der freilich in ganz andere
Ausdruckswelten geweitet wird. Höchste Aufrichtigkeit und
zugleich große kompositorische Präzision sind die Basis
von Martins Schaffen, das von der Entwicklung der Avantgarde längere
Zeit ins Abseits gerückt wurde. Jetzt beginnt man sich der
enormen Qualitäten dieser Musik rückzubesinnen. Und diese
Einspielung ist bester Fürsprecher!
Andres Uibo: Antiphons. Veljo Tormis: At the Crossroads; Tower
bell in my Village. Arvo Pärt: Kontakion; Ode VI; Prayer after
the Canon; Orthodox Singers, Valery Petrov
Troubadisc TRO-CD 01432-1
Die Orthodox Singers wurden 1989 in Estland gegründet und
sie widmeten sich zunächst der östlichen liturgischen
Musik. Hört man Estland, dann braucht man sich um die Qualität
des elfköpfigen Chores nicht zu sorgen. Und so ist es auch
bei dem Ausflug zu zeitgenössischen Komponisten Estlands,
deren Musik freilich, was die Klanglichkeit oder die Gestaltung
der Zeit anbelangt, ohnehin auf alten Gesangskulturen ihrer Heimat
beruht. Tragende, dahinschwebende Musik, Klang ohne Ränder,
der Ewigkeit nahe. Die etwas geringe Bandbreite mag bei einigen
Hörern vielleicht Langeweile aufkommen lassen, aber das wird ästhetisch
in Kauf genommen.
Maria de Alvear: Asking; Eve Egoyan, Klavier
mode 187
Ein ganz eigenartiges Klavierstück! In der Regel eine versunkene
einstimmige Linie, die Töne, mit viel Pedal nachklingend,
wirken ortungslos wie Klänge unter Wasser. Genau dadurch aber
entwickeln sie über die große Zeitspanne von gut 50
Minuten hinweg eine faszinierende Sogkraft. Die Spielerin soll
sich ganz intensiv in die Musik hineinversetzen, soll lauschen
und aus dem Lauschen heraus fortfahren. Beschwörend!