[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 51
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Noten
Lohnende Wiederentdeckungen
Klaviermusik für vier und sechs Hände bei der Edition
Dohr
In dem weit gespannten Werkkatalog des Kölner Musikverlegers
Christoph Dohr hat vierhändige Klaviermusik einen beachtlichen
Stellenwert. Neben der lobenswerten Präsentation von Werken
zeitgenössischer, oft nur regional bekannter Komponisten,
findet manch halb oder ganz vergessener Musiker aus weiter
zurückliegender Zeit Berücksichtigung. Die Wiederentdeckungen
lohnen sich! Frauke Uerlichs konnte an dieser Stelle im vergangenen
Jahr drei Ausgaben vierhändiger Klavierstücke von
Friedrich Kiel (1821–1885) empfehlen: Zwei kleine Sonaten
op. 6, Leichte Klavierstücke op. 13 und Ländler op. 66.
Drei Werke sind es im Folgenden auch von einem aus Thüringen
stammenden, später in Gießen und Darmstadt vor allem
als Organist wirkenden Musiker.
Johann Christian Heinrich Rinck (1770–1846): Trois Divertissements
op. 36 (für Klavier vierhändig), Edition Dohr 27548
Variationen für das Piano-Forte zu vier Händen op.
102, Edition Dohr 24162
Der Verleger, der sich zugleich als Herausgeber artikuliert,
hält
sich in der Qualitätsbeschreibung bescheiden zurück.
In jeder der drei Ausgaben betont er im Vorwort, dass Rincks „Kompositionstätigkeit
... den Ton des Biedermeiers treffend der selbstzufriedenen musikalischen
Unterhaltung daheim Futter lieferte“. Das dürfte
sowohl Rincks kompositorischer Leistung (ohne sie besonders hochstilisieren
zu wollen) als auch der Bewertung dazu im gesellschaftlichen
Umfeld nicht gerecht werden.
Die Menuette mit Trios präsentieren sich in traditionsgewohnter
einfacher Liedform, die immer wieder souverän und einfallsreich
ausgelotet wird, auch in den Divertissements. In den Variationen,
die mehr oder weniger dem klassischen Melodievariationstypus folgen,
sind die Vorgaben natürlich durch die Themen geprägt,
ob auf eine eingängige Melodie von Rossini oder ein Volkslied
bezogen. Doch auch hier darf man sich gelegentlich durch eine aparte
harmonische Wendung überraschen lassen. Der Klavierklang in
den Divertissements gewinnt manchmal orchestrale Züge.
Der Klaviersatz von seiner Anlage her ist partnerfreundlich einzustufen.
Der Schwierigkeitsgrad bei Primo erreicht in einem der Variationswerke
bei einer entsprechenden Temponahme vielleicht schon die Schwelle
zu „schwierig“, im Übrigen ist für Primo
und Secondo überall „leicht“ bis „mittelschwer“ anzusetzen.
Benutzer der Notenausgaben sind gelegentlich Druckfehlern ausgeliefert
trotz der sonst erkennbaren Sorgfalt des Herausgebers. Fingersätze
werden nicht angeboten. Auf den Gesamteindruck bezogen bedeutet
das Angebot eine Bereicherung.
Jean-Louis Petit (*1937): Traces II pour piano à 6 mains,
Edition Dohr 27454
Mehr noch als bei der vierhändigen bedarf es bei sechshändiger
Klaviermusik kluger Anstöße von Komponisten, um dieses
Genre aus dem Schatten mehr unterhaltsamer Art oder einer möglichen
Eingrenzung nur pädagogisch ausgerichteter Zielrichtung
heraustreten zu lassen. Jean-Louis Petit lässt mit seinen
,,Traces II“ aufhorchen. Voraussetzung dürfte freilich
sein, offene Ohren zu haben für den Charme der französischen
Klangwelt des Impressionismus und Postimpressionismus. Petit
bezieht sich mit eigenen Worten bei seiner Arbeitsweise auf
die Vorbilder Olivier Messiaen (,,Modes mé1odiques“)
und Arnold Schönberg (12-Tonreihen). Sowohl eigenständig
mit kurzen Soli in engvernetzten Dialogeinheiten oder gar bewusst
im Auseinanderdriften (letzter Teil!), als auch gemeinsam – acht
Takte lang sind fünf Hände der Spieler in schneller
Abfolge der Noten unisono, also messerscharf, in komplexe Figurenkaskaden
eingebunden! – werden die drei Spieler in gleicher Gewichtung
und hochdiszipliniertem Zusammenwirken gefordert. Die Präsentation
des Werkes in der Ausgabe bei Dohr lässt einiges im Unklaren:
Die Überschrift ,,IV. Déconstruction“ (S.
47) müsste folgerichtig bedeuten, dass es zuvor die Teile
(Sätze?) I bis III gibt. So bezeichnete Abschnitte sind aber
nicht vorhanden.