[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 50
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Noten
Wegbereiter rhythmischer Komplexität
Klavierneuheiten von Hoch, Huber, Ruzicka, Skrjabin und Rautavaara
Der 1937 geborene Peter Hoch ist durch seine langjährige
erfolgreiche Tätigkeit als Dozent und zeitweise stellvertretender
Direktor der Bundesakademie Trossingen weithin bekannt geworden
und wird sehr geschätzt. Nach einem Studium bei Heinrich Konietzny
in Saarbrücken sowie mehrfacher Teilnahme an den Darmstädter
Ferienkursen hat er als Komponist gewirkt, für dessen Schaffen
seine musikpädagogische Arbeit sehr wichtig war. Er schrieb
eine große Anzahl von Kompositionen für Kinder und Jugendliche,
um diese an Neue Musik heranzuführen.
Seit 2005 ist der Hubert-Hoche-Verlag, Helmstadt, zu seinem Hauptverleger
geworden. In dieser Edition sind bisher circa 20 Titel von Hoch
erschienen, darunter sechs zwischen 1967 und 2004 entstandene Klavierwerke
mit Dauern von 2 bis 13 Minuten: Klavierstück ’67 (1967),
9 Haiku (1988), Burla (1997), Kleine Klavierstücke (2003),
Sternenflug (2003) und Henka (2004); Sternenflug ist mit einer
Zuspiel-CD ausgestattet. Die Stücke sind ansprechend, weil
sie erkennbar aus der Feder eines Fachmannes stammen, der sich
mit Problemen des Instrumentalspiels auskennt und sich auch für
Kinder und Jugendliche verständlich ausdrückt. Zudem
erklärt er neue Notationsweisen und vermittelt Anregungen
zum Improvisieren.
Happy birthday von ppp bis sfffz
Nicolaus A. Huber (1939) zieht als Titel für sein Heft „Pour
les Enfants du paradis. Kurze Charakterstücke für Klavier
Plus“ den berühmten Film von Marcel Carné – nach
dem Drehbuch von Jacques Prévert – aus dem Jahr 1945
heran, der in Deutschland unter der Bezeichnung „Kinder des
Olymp“ zu einem Kultfilm wurde. Hubers Komposition entstand
2003, wurde 2004 in Darmstadt durch einen 17-jährigen Jungen
uraufgeführt und erschien in der Edition Breitkopf (EB 9166).
Als Aufführungsdauer hat der Komponist elf Minuten angegeben.
Für die kurzen, aus sehr unterschiedlichen Arten von Ton-
beziehungsweise Geräuscherzeugung komprimierten Stücke,
wird ein Flügel benötigt, dazu unter anderem ein Tisch
und ein Metronom. Potenzielle Spieler/-innen sollten bereits Erfahrung
im Umgang mit Effekten haben, die für Klavierspieler zumindest
ungewöhnlich sind. Dazu gehört nicht nur die Aufgabe,
den Beginn des Liedes „Happy Birthday to you“ im ppp
zu spielen – „dünn und zart, wie die Stimme von
Marilyn Monroe“; verlangt werden auch „Klavierdeckelschläge“ und „Schellentrommel
im hinteren Teil des Flügels heftig auf Saiten schleudern
(Fell unten)“. Am Schluss von Seite 8 steht die Anweisung „Zunge
zwischen die Lippen, Geräusch wie ein Furz, sfffz“.
Die drei Abteilungen des Heftes haben die Titel: 1.) Dripping,
2.) mit Metronom, Hand- und Zungengelenk, 3.) Erik Satie im Mund
Robert Schumanns.
Den Stücken sind umfangreiche Anmerkungen zu den diversen
Aktionen beigefügt; die Umsetzung derselben ist nicht einfach.
Virtuoses Beiwerk
Peter Ruzicka (1948) hat nach den beiden erfolgreichen Heften „Ausgeweidet
die Zeit“ (1969) und „Sechs Préludes“ (1987)
jetzt eine dritte Sammlung von Klavierstücken veröffentlicht: „PARERGON.
Sechs Skizzen zu HÖLDERLIN für Klavier“. Das griechische
Wort Parergon bedeutet Beiwerk, Anhang. Ruzickas neuer Zyklus erschien
2007 in der Edition Sikorski mit der Bezeichnung H.S. 8560. Im
Vorwort schreibt der Komponist unter anderem: „Der sechsteilige
Klavierzyklus PARERGON entstand parallel zur Arbeit an meinem Musiktheater
HÖLDERLIN um die Jahreswende 2006/2007. ... Es sind Klavierstücke,
die in der Abfolge virtuoser Szenen und kontemplativer ,Zuständlichkeiten’ wie
,Impromptus’ wirken mögen. Sie gehen neben der Oper
ihren durchaus eigenen Weg, als ein komponiertes Parergon.“ Alle
Einzelheiten der eindrucksvollen Stücke sind genau notiert,
einschließlich der Tempoangaben, die durch Metronomziffern
fixiert sind. Schwierig ist vor allem die Wiedergabe rhythmischer
Komplexität, wenn in dem durchsichtigen Satz zum Beispiel
3 gegen 4 gegen 5 Noten gleichzeitig und mit unterschiedlicher
Artikulation gespielt werden sollen. Anspruchsvolle Spieler, die
mit klanglichen, rhythmischen und auch virtuosen Finessen umgehen
können, werden an den Stücken ihre Freude haben, – ihre
Zuhörer ebenfalls.
Skrjabin melancholisch
Wegbereiter rhythmischer Komplexität im 20. Jahrhundert war
der bedeutende russische Komponist Alexander Skrjabin (1872–1915),
der selbst ein großer Pianist war und überwiegend für
Klavier solo komponierte. Seine 10 Klaviersonaten zählen mit
zu den wichtigsten ihrer Gattung. Nach den bereits früher
veröffentlichten 24 Préludes op. 11, der Sonate Nr.
6 op. 62 sowie der Sonate Nr. 7 op. 64 erschien 2007 im G. Henle
Verlag (HN 354) die Klaviersonate Nr. 8 op. 66 aus den Jahren 1912/1913.
Das großartige Stück besteht aus einem einzigen Satz
(499 Takte) mit wechselnden Szenen, die aufeinander bezogen sind.
Eine melancholische Grundstimmung ist vorherrschend, die Angabe „Tragique“ am
Beginn des „Molto più vivo“-Teils (Takt 186)
bezeichnend für das Werk. Die erweiterte Tonalität, die
bis in Schönberg-Nähe führt, komplexe Rhythmik sowie
polyrhythmische Elemente sind ebenso charakteristisch für
Skrjabin. Die russische Musikwissenschaftlerin Valentina Rubcova
hat den Notentext nach den vorliegenden Quellen erstellt, ein kurzes
Vorwort und einen Revisionsbericht geschrieben. Michael Schneidt
hat einen wohldosierten Fingersatz eingefügt, der dem Klaviersatz
angemessen ist und Spielern Anregungen und Hilfe bietet. Mit Skrjabins
8. Klaviersonate hat der G. Henle Verlag eine Ausgabe vorgelegt,
die in der Tradition seiner seit langem bekannten hohen Qualität
steht.
Leidenschaftlich
Der 1928 geborene Einojuhani Rautavaara zählt zu den führenden
finnischen Komponisten der Gegenwart. Nach einem Studium an der
Sibelius-Akademie in Helsinki und an der Juilliard School in New
York sowie privatem Unterricht bei Wladimir Vogel in Ascona machte
er sich international einen Namen vor allem durch sein sinfonisches
Werk, zu dem unter anderem acht Sinfonien und drei Klavierkonzerte
gehören, und durch seine Opern. Von 1976 bis 1990 lehrte er
in Helsinki als Professor für Komposition.
Rautavaara hat auch eine Reihe von Klavierstücken veröffentlicht,
darunter zwei Sonaten. Seine jüngste, 2003 geschriebene, Schöpfung
für das Instrument nennt er „Passionale“; der
Konzertsatz ist bei Boosey & Hawkes 2007 (Ed.-Nr. 13779) erschienen.
Er bildet ein sehr ansprechendes Virtuosenstück (Agitato):
In gemäßigt moderner Sprache und in übergeordneter
Zweistimmigkeit steht eine melodische Linie in einer Hand jeweils
schnellem Laufwerk beziehungsweise zerlegten Mehrklängen in
der anderen Hand gegenüber. Im ruhigen Mittelteil (Adagio
dolente) gibt es ein Problem, weil die permanent auftretenden Dezimen
in der linken Hand kaum ohne Arpeggio gespielt werden können.
Die Dauer des Stücks beläuft sich auf etwa 4:30 Minuten.
„Passionale“ von Einojuhani Rautavaara ist ein von Leidenschaft
erfülltes, eindrucksvolles Klavierstück, das Interesse
für andere Werke des Komponisten erweckt.