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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 40
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Jeunesses Musicales Deutschland
Eine Begegnung auf Augenhöhe
Das Junge Orchester Hamburg auf Austausch in Polen
Die JMD fördert aktiv den Dialog der Kulturen und Nationen.
Besonders im Rahmen von Austauschprojekten der Mitgliedsorchester
können Jugendliche persönliche Kontakte knüpfen, öffnen
sich Horizonte gegenseitigen Verstehens. Simon Kannenberg, Vorstand
des Jungen Orchesters Hamburg, berichtet vom Polenaustausch seines
Ensembles und einer eindrücklichen Reise.
Stille. Vor meinen geschlossenen Augen ziehen die Eindrücke
aus dem KZ Neuengamme vorüber, Bilder ermordeter und zu medizinischen
Experimenten missbrauchter Kinder, Fotos abgemagerter Häftlinge.
Es folgen Gedanken an die Mitglieder meiner eigenen Familie, die
im Zweiten Weltkrieg an der Front fielen oder in Gefangenschaft
starben; Menschen, die ich nie kennenlernen konnte, deren Schicksal
aber meine Familie geprägt hat; genauso wie die Vertreibung
aus Pommern, die sie bis auf den heutigen Tag gezeichnet hat.
Meine trüben Gedanken werden von begeistertem Applaus jäh
zerrissen. Der Dirigent des Jungen Orchesters Hamburg, Dave Claessen,
hat den Taktstock auf das Pult gelegt und mit einer dezenten Verbeugung
die Gedenkminute beendet, die allen Opfern des Zweiten Weltkriegs
gleichermaßen galt. Hinter mir stehen erleichtert und erfüllt
die Mitglieder des polnischen Jugendchores „Resonans con
tutti“ aus dem oberschlesischen Zabrze, die zwischen dem
29. April und dem 3. Mai 2008 unsere Gäste waren. Den „Musikalischen
Jugendaustausch“ führten beide Ensembles anlässlich
des 63. Jahrestages der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht durch,
die das traurigste Kapitel der Deutschen Geschichte beschloss.
Die Aufführungen des Deutschen Requiems op. 45 von J. Brahms
am 3. Mai in der Hamburger Laeiszhalle und am 11. Mai in Zabrze
bildeten die Höhepunkte der beidseitigen Jugendbegegnung.
Musik baut Brücken. Das war schon Kerngedanke des Projekts,
bevor beide Ensembles voneinander wussten. In Hamburg tanzen abends
in geselligem Miteinander polnische und deutsche Jugendliche Polonaise
durch den Probensaal und singen gemeinsam die Schlager, die alle
kennen: „We all live in a yellow submarine“, „What
shall we do with the drunken sailor?“ „Wo ist Völkerverständigung
greifbarer, wenn nicht hier?“, frage ich mich. Musik baut
Brücken. Im Konzertsaal genauso wie im geselligen Teil der
Begegnung. Szenenwechsel: Der Pater der ehrwürdigen St. Anna-Kirche
zu Zabrze begrüßt uns in behäbiger Trockenheit
als das „weltbekannte“ Junge Orchester Hamburg. Ein
Schmunzeln geht durch die Reihen. Wer hat ihm diesen Text geschrieben?
Die Kirche ist voll, wir spielen vor etwa 800 Besuchern. Die Kirchenakustik
fordert uns in der klanglichen Differenzierung heraus, hilft uns
aber auch dabei, die Intonation zu halten und gegen den fast achtzigköpfigen
Chor anzukommen. Das Publikum in Zabrze belohnt uns wie in Hamburg
mit größter Begeisterung.
Und wenn auch nicht „weltbekannt“: In Zabrze kennt
man uns nun. Und in jedem Fall wird eine Fortsetzung der Begegnung
von beiden Seiten von Herzen gewünscht: „Resonans con
tutti“ 2010 in Hamburg mit Orffs Carmina Burana? Wir arbeiten
dran.