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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 38
57. Jahrgang | Juli/Aug.
ver.die
Fachgruppe Musik
Plädoyer für die kommunale Musikschule
Trotz Gefährdung: Eine für alle – NRW: Ein Diskussionspapier
zur Stärkung der Institution
Seit geraumer Zeit wird über die Zukunft der Musikschulen
diskutiert. Befürworter stützen sich vorrangig auf Transfereffekte
der geistigen Entwicklung von Kindern, auf die wachsende soziale
Kompetenz durch gemeinschaftliches Musizieren. Gegner, voran etliche
Kommunen, tasten aus Finanznot und Desinteresse die Existenz und
Qualität der kommunalen Musikschulen an und wollen andere,
meist privatisierte Modelle. Zugespitzt hat sich die Diskussion
durch diverse Schul- und Bildungsmodelle. Fakt ist: Die Musikschulen
müssen sich reformieren, um zukunftsfähig zu bleiben.
Die ver.di-Landesfachgruppe Musik in Nordrhein-Westfalen legt deshalb
ein 14-Punkte-Plädoyer vor, das wir hier zusammenfassen.
Unterrichtsformen
Eltern sollten in die Lage versetzt werden, sich ausschließlich
aus pädagogischen und psychologischen Gründen für
Einzel- oder Gruppenunterricht zu entscheiden. Anfängergruppen
sind auf der Basis sorgfältiger Vorauswahl nach pädagogischen
und psychologischen Kriterien zusammenzustellen. Die Lehrkräfte
müssen ein diesbezügliches Entscheidungsrecht haben.
Auch sollte es möglich sein, Anfänger in der ersten Unterrichtsphase
zunächst allein zu unterrichten und in einer zweiten Phase
bekannte Schüler zu kleinen, homogenen Gruppen zusammenzufassen.
Es sollten Rahmenbedingungen vorhanden sein, die den flexiblen
Wechsel und die Parallelität von Einzel- und Gruppenunterricht
sowie von Ensemblespiel ermöglichen. Diese Vielseitigkeit
kann nur organisiert werden an Musikschulen mit dauerhaft fest
angestellten Lehrkräften, deren Beschäftigungsumfang
so groß ist, dass flexible Stundenpläne gestaltet werden
können. Wir empfehlen daher, einen Teil der Unterrichtszeit
umzuwandeln in Dispositionsstunden.
Vernetzung mit allgemein bildenden Schulen
Die Kooperation mit allgemein bildenden Schulen stellt eine bildungspolitisch
sinnvolle Ergänzung zur originären Musikschularbeit dar.
Grundsätzlich sollte der Schulmusikunterricht mit seinem umfassenderen
Bildungsanspruch in gleichem Maße seinen eigenen Stellenwert
behalten wie die Instrumentalpädagogik der Musikschulen: Wir
können und wollen auf beides nicht verzichten. Streicher-
und Bläserklassen, wie sie seit geraumer Zeit vor allem an
Gymnasien eingerichtet werden, bieten weder gleichwertigen Ersatz
für ausfallenden Schulmusikunterricht, noch für instrumentalen
Einzel- und Kleingruppenunterricht: Sie können nur als wertvolle
Initialzündung dienen, der ein kontinuierlicher Instrumentalunterricht
folgen kann.
Ähnliches gilt für das Grundschulprojekt „JeKi“ („Jedem
Kind ein Instrument“). Allerdings zeichnet sich die Tendenz
ab, das qualifizierte Angebot an kontinuierlichem, qualitativ hochwertigem
Instrumentalunterricht zu Gunsten von „JeKi“-Stunden
zu reduzieren und damit einem Kernbereich der bisherigen Musikschularbeit „das
Wasser abzugraben“.
Diesen Kooperationsformen sind Probleme gemeinsam, die dringend
gelöst werden müssen:
•
Die Musikschullehrkräfte sollten eine vergleichbare Vergütung
wie ihre Kollegen an den allgemein bildenden Schulen erhalten.
•
Der obligatorische Klassenunterricht in allgemein bildenden Schulen
stellt grundlegend andere Anforderungen an die Lehrkräfte
als der freiwillige Kleingruppen- und Einzelunterricht an den Musikschulen.
Insbesondere Disziplinschwierigkeiten versucht man in der Praxis
mit Hilfe des sogenannten „Team Teaching“ zu begegnen;
dabei ist es durchaus nicht unüblich, dass der gut bezahlte
Schulmusiker die Aufsicht führt, während die schlechter
bezahlte Musikschullehrkraft die musikpädagogische Arbeit
leistet.
•
Die Musikschulen müssen den kontinuierlichen Anschlussunterricht
personell sicherstellen können, um die wertvolle Anfangsmotivation
nicht im Sande verlaufen zu lassen.
Offene Ganztagsschule
Die Diskussion über das Thema „Ganztagsschule“ berührt
die kommunalen Musikschulen in besonderem Maße: Viele Räume
in allgemein bildenden Schulen stehen für den Instrumentalunterricht
nicht mehr zur Verfügung; die Zeit, die Musikschulschülern
für den Unterricht, für die Teilnahme an Ensembles, Chören
und Orchestern sowie zum häuslichen Üben bleibt, wird
durch die längere Verweildauer in der Schule zum Teil drastisch
reduziert.
•
Erklärtes Ziel der offenen Ganztagsschule ist es, Schüler
gezielt und individuell zu fördern, das heißt unter
anderem passiven Freizeitkonsum durch sinnvolle Aktivitäten
unter fachkundiger Anleitung zu ersetzen. Doch an manchen Schulen
findet lediglich eine Beaufsichtigung statt. Es wäre absurd,
wenn Schüler der kommunalen Musikschule ihren Instrumentalunterricht
aus Zeitgründen aufgeben müssten. Musikschulschüler
sind für den Besuch der Musikschulen freizustellen.
•
Darüber hinaus sind in den allgemein bildenden Schulen Übungsräume
bereitzustellen, um die Reduktion der häuslichen Übezeiten
partiell auszugleichen.
•
Musikschul- und Honorarlehrkräfte, die in allgemein bildenden
Schulen tätig sind, müssen anfallende Mehrarbeit, auch
Fahr- und Regiezeiten, angemessen vergütet bekommen.
Verkürzung der Gymnasialschulzeit auf acht Jahre – G8
Die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die kommunalen Musikschulen
sind mindestens so gravierend wie die Auswirkungen durch die Einführung
der offenen Ganztagsschule: Die Stundenpläne der Gymnasien
werden „aufgestockt“, um den Lehrstoff von neun in
acht Jahren zu vermitteln; die für Hausaufgaben benötigten
Zeiten werden länger. Der frühe Nachmittag steht somit
oft für den Musikschulunterricht nicht mehr zur Verfügung;
die Zeit für das häusliche Üben wird drastisch reduziert.
Da es einer bildungspolitischen Katastrophe gleichkäme, wenn
motivierte und begabte Schüler „en masse“ aus
Zeitnot das praktische Musizieren aufgäben, sind geeignete
Maßnahmen zu ergreifen, um größeren Schaden abzuwenden.
Beschäftigungsverhältnisse und Betriebsstrukturen
Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze – von manchen
als Luxus und Nostalgie diffamiert – sind ein Gebot sozialpolitischer
und wirtschaftlicher Vernunft.
Musikschullehrkräfte verfügen über eine fundierte
Hochschulausbildung und sollten nicht wie Tagelöhner behandelt
werden. Honorarverträge sind nur in Ausnahmefällen für
kurzzeitige Projekte abzuschließen, wenn diese eine spezielle
Qualifikation verlangen und vom Stammpersonal nicht durchgeführt
werden können. Selbstverständlich sollten auch Honorarkräfte
Anspruch haben auf: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten
Urlaub, regelmäßige Angleichung der Honorare an die
allgemeine Einkommensentwicklung.
Demokratische Betriebsstrukturen
Wir empfehlen den Ausbau betrieblicher Mitbestimmung, die Einrichtung
von Mitarbeitergremien für fachliche Fragen, vom Kollegium
zu wählende Leitungsgremien sowie eine verbindliche Beratung
mit Elternbeiräten vor wichtigen schulinternen Entscheidungen.
All dies sollte in den Satzungen beziehungweise Geschäftsordnungen
verbindlich festgelegt werden.
Wir fordern: Den Erhalt kommunaler Musikschulen als öffentliche
Bildungseinrichtung gesetzlich zu verankern (Musikschulgesetz).
Auslagerung und Privatisierung führen grundsätzlich zur
Einschränkung möglicher demokratischer Einflussnahme.
Musisch-kulturelle Bildung sollte Pflichtaufgabe des Staates sein.
An den öffentlichen allgemein bildenden Schulen sollten nur
kommunale und gemeinnützige Musikschulen agieren dürfen.