3. Internationale Jugend-Kammerchor-Begegnung
auf Usedom
Neun Tage war ich also mittendrin! Ungefähr 250 Jugendliche
aus sieben Ländern hatten sich vom 26. 7. bis 3. 8. 2000 zur
3. Internationalen Jugend-Kammerchor-Begegnung auf der Insel Usedom
eingefunden. Dazu drei Workshopleiter und was für welche!
Helmut Steger, Dirigent des Stadtsingechores zu Halle, neuer Vorsitzender
des AMJ (toll, einen Top-Musiker an der Spitze eines Verbandes zu
finden und nicht einen Funktionär) und so nebenbei auch noch
Bariton-Solist in einer Uraufführung des Festivals, erarbeitete
mit seinen gemischten Chören das Ecco mormorar londe
von Monteverdi, Kodálys Horatii Carmen,
Toutes les nuits von Janequin (kaum zu glauben, wie
Norweger, Ungarn und Deutsche innerhalb von zehn Tagen federleichtes
Französisch singen können), ein mazedonisches Volkslied
(die ganze Lebenslust der Jugendlichen explodierte heraus) und als
Tribut ans Bach-Jahr die doppelchörige Motette Ich lasse
dich nicht.
Dann die Belgierin Marijke Coghe. Sie hatte für drei Mädchenchöre
aus Russland, der Slowakei und Deutschland Literatur zum Gloria
zusammengestellt. Der Bogen reichte von Dufay und Zagatti bis zu
den Zeitgenossen Colding-Jørgensen und Bikkembergs. Es war
herzerfrischend zu erleben, wie die jungen Damen sich begeistert
den nicht leichten Aufgaben der neuen Stücke stellten und wie
die Begeisterung auf fast 1.000 Zuhörer im Wolgaster Dom übersprang.
Sage noch einer, Neue Musik könne nicht vermittelt werden
sie muss ernst genommen, sachgerecht umgesetzt und geliebt werden,
dann gehts.
Schließlich Bob Chilcott aus England. Noch so ein Multitalent.
Zwölf Jahre lang war er Mitglied der Kings Singers. Und
heute heizt er jungen Workshop-Teilnehmern ein. Sie kommen aus Belgien,
Polen und Deutschland und lassen sich in kürzester Zeit anstecken
von der unbändigen Energie und Lebenslust Chilcotts. Sein Credo:
Was ist der Beifall eines noch so großen Publikums der
Kings Singers gegen die Freude dieser jungen Menschen und
die Dankbarkeit, die sie mir entgegenbringen? Und so schafft
er es scheinbar mühelos, dass alle alles im Schlusskonzert
auswendig singen: sowohl die rhythmisch-tänzerisch mitreißenden
Island Songs des Australiers Stephen Leek (Sängern
wie Publikum zuckt es gleichermaßen in allen Gliedern und
die Kirche tobt ganz unandächtig vor Begeisterung) als auch
das kanadische Tell My Ma von Jon Washburn (welch treffende
Stückwahl: die jungen Leute finden sich selbst in ihren pubertären
Nöten und Freuden im Inhalt wieder). Und auch die Uraufführung
wird ohne Noten gesungen: ein Lobgesang des Simeon
von Chilcott selbst eigens für das Festival komponiert und
dem AMJ gewidmet. Der AMJ darf stolz sein auf solche Verbindungen
und die Ergebnisse, die daraus resultieren. Übrigens: kein
Problem für die Kids, von heißen Rhythmen und großer
Ausgelassenheit auf die tiefe Nachdenklichkeit in Text und Musik
des Simeon umzusteigen. Kompetent geführt, als
Partner verstanden und sogar geliebt sind Jugendliche zu großen
Leistungen fähig.
Und das spürte man während der gesamten Zeit des Festivals:
hier sind Menschen als Verantwortliche am Werk, die die ihnen anvertrauten
jungen Leute annehmen. Das gilt sowohl für die Musiker als
auch für den gesamtleitenden Kopf und stillen, aber unglaublich
effektiven Organisator im Hintergrund: AMJ-Generalsekretär
Rolf Pasdzierny. Der Ablauf des Schlusskonzertes mit neun Chor-Einzelauftritten,
drei Workshop-Präsentationen mit wechselnder Besetzung und
zweimaligem Gemeinschafts-Auftritt aller Beteiligten war ein logistisches
Meisterstück.
Ach ja, und dann war da noch der schreckliche Mordfall in Ahlbeck.
Und da war Peenemünde mit seiner wechselvollen und irritierenden
Geschichte. Da war auch der Gang zu Fuß über die polnische
Grenze. Aber da waren auch zehn Konzerte der einzelnen Chöre
in den wunderschönen Inselkirchen (alle rappelvoll!) und die
Ausgestaltung von acht Gottesdiensten. Und schließlich die
Insel selbst mit ihren wunderschönen Fleckchen und ihrem Strand
und sogar recht viel Sonne am Tag und dem Mond in den Nächten
mit gemeinsamem Gesang und vielen vielen Gesprächen. Mittendrin
war ich dabei. Stundenlang habe ich tolle Musik gehört. Viele
Kilometer habe ich zurückgelegt. Geschlafen habe ich wenig.
Es war anstrengend aber toll, toll, toll. Die beste Frischzellenkur,
die ich je hatte.