Troja, die Liebe und der Tod, um dieses Thema kreisten einige
der Opernaufführungen der diesjährigen Salzburger Festspiele.
Über die wichtigsten Inszenierungen haben wir in der vorigen
Ausgabe berichtet (nmz 9/2000). Zwar nicht um Troja, aber ebenso
um Eros und Thanatos kreisten die anderen aufgeführten Werke:
Mozarts Don Giovanni, Wagners Tristan und Isolde,
vor allem jedoch Mozarts Cosi fan tutte und die Uraufführung
von Kaija Saariahos erster Oper Lamour de loin.
Die
erste richtige Opernuraufführung der Mortier-Ära.
Mortiers Zögern in dieser Hinsicht hatte einen tieferen Grund.
Er wollte nicht einfach nur eine weitere Opernneuheit in Auftrag
geben, nach dem Rezept: Man nehme einen literarischen Stoff, kürze
diesen zu einem Libretto und unterlege das Ganze mit Gesang und
Musik. Wer über die Zukunft des Genres Oper nachdenkt, kann
nicht einfach immer so weitermachen wie bisher. Das ästhetische
Material muss neu geordnet, untersucht, erweitert werden. Daran
arbeiten die avanciertesten der Komponisten. Daher wäre es
so wichtig gewesen, Lachenmanns Oper Das Mädchen mit
den Schwefelhölzern in der Zusammenarbeit mit der Stuttgarter
Oper in Salzburg aufzuführen. Dass dafür nun auf einmal
kein Geld beschafft werden kann, lässt Spekulationen sprießen.
Ist Haider wirklich daran schuld? Ist es nicht vielmehr Kleinmütigkeit
der speziell politischen Vertreter im Kuratorium der Festspiele,
die das finanzielle Wagnis scheuen wobei nicht bewiesen ist,
ob nicht gerade ein so extremes Werk wie das Lachenmanns die Neugier
erweckt und gesteigert hätte.
Kaija Saariaho
Dafür also Kaija Saariahos Lamour de loin
die Liebe aus der Ferne. Auf ein Libretto von
Amin Maalouf schrieb die finnische, in Paris lebende Komponistin
die Geschichte einer märchenhaften Fernliebe aus
dem 12. Jahrhundert: Der provencalische Troubadour Jaufré
Rudel steigert sich in die ferne Liebe zu der im morgenländischen
Tripoli lebenden Clémence, die er nur aus Erzählungen
eines Pilgers kennt. Als er sich entschließt, die ferne Geliebte
zu besuchen, erkrankt er auf der Überfahrt und stirbt in den
Armen von Clémence: Ein zweiter Liebestod sozusagen, nicht
von Wagner. Kaija Saariaho wurde zu ihrer ersten Oper durch den
Besuch von Messiaens Franziskus-Oper 1992 in Salzburg
angeregt. Im Gestus von Lamour de loin lassen
sich deshalb gewisse Animationen durch Messiaens Werk feststellen.
Auch liegt als Vorbild ein Vergleich mit Debussys Pelléas
et Mélisande nahe, doch Saariahos Musik bleibt in Ausdruck
und Duktus über weite Strecken doch zu eindimensional, um das
Reflexionsniveau der genannten Vorbilder auch nur annähernd
zu erreichen. Eher scheint ihre Musik von den Spektralisten, von
Grisey oder Murail, beeinflusst, und die Nähe zum Ircam-Computer
mag auch nicht für besondere Originalität gesorgt haben.
Die Inszenierung von Peter Sellars in der Felsenreitschule mit
zwei gläsernen Türmen für die fernen Liebenden (Bühnenbild
George Tsypin), dem spiegelnden Wasser dazwischen und dem schwarzen
Nachen, mit dem der Troubadour (Dwayne Croft) schließlich
zur Überfahrt nach Tripoli aufbricht (siehe unser Bild oben)
konnte solange in ihrer Stilisierung gefallen, bis sich der Sterbende
mit der sich in diesem Augenblick nahen Geliebten vereint: Da versinkt
die Inszenierung in einem planen, anekdotischen Realismus, aus dem
auch die wunderbar leicht und glockenklar singende Dawn Upshaw als
Clémence, Kent Naganos spürbares Engagement (mit dem
SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden) und der seitlich postierte Arnold-Schönberg-Chor
(Leitung Erwin Ortner) keinen Ausweg mehr zeigen.
Um mit einem Octavio-Paz-Zitat zu enden: Die Geschichte
der höfischen Liebe, ihrer Wandlungen und Metamorphosen, ist
nicht nur die unserer Kunst und unserer Literatur, sie ist auch
die Geschichte unserer Sensibilität und die Geschichte der
Mythen, die seit dem 12. Jahrhundert bis in unsere Tage die Fantasie
entflammt haben. Sie ist die Geschichte der Zivilisation des Okzidents.
Vielleicht hätten Henze und Auden dies auf der Höhe ihrer
Kunst gestalten können, vielleicht auch ein Benjamin Britten
oder in unseren Tagen Salvatore Sciarrino. Kaija Saariaho umhäkelt
den Stoff, sie ergreift ihn nicht: Mit der Gewaltsamkeit des autonomen
Künstlers, der hier gefordert wäre.
Cosi fan tutte
Was künstlerische Radikalität und Gewalt sind, das demonstrierte
der Regisseur Hans Neuenfels an Mozarts Cosi fan tutte.
Neuenfels entdeckte hinter der Komödienfassade der Oper die
Blumen des Bösen, die surrealen Abgründe.
Giftige Blüten, gemeine Insekten, wilde Hunde (in Gestalt zweier
erniedrigter Mannsbilder, die Fiordiligi begleiten) spielen mit
im Quidproquo der bösen Liebe. Die Atmosphäre
eines Buñuel-Films überlagert die amüsante, zynische
Farce. Auf die Liebes-und Treueprobe werden hier nicht die Frauen
und auch nicht die Männer gestellt, vielmehr die Liebe selbst.
Liebe nicht, wie man sie heilt, sondern wie man sie zum Verschwinden
bringt. Das wird von Neuenfels mit unerschöpflicher Fantasie,
überbordender Theatralik und großem Frage-Ernst virtuos
durchgespielt, wobei natürlich die genaue Kenntnis der Oper
das Vergnügen an der neuen Deklination merklich steigern kann.
Glänzend gesungen von Karita Mattila (Fiordiligi), Vesselina
Kasarova (Dorabella), Maria Bayo (Despina), Rainer Trost (Ferrando),
Simon Keenlyside (Guglielmo) und Franz Hawlata (Don Alfonso in Neuenfels-Maskierung)
und pointiert dirigiert von Lothar Zagrosek (mit den Wiener Philharmonikern)
konnten die Festspiele einen bemerkenswerten Mozart-Erfolg verbuchen,
der um so höher zu bewerten ist, weil er nicht mit der Rückkehr
zum tradierten, oft leidvollen Salzburger Mozart-Stil erkauft wurde.
Man wird sehen, ob sich diese Radikalität einer Erneuerung
bis zum Mozart-Jahr 2006 unter Peter Ruzicka konsequent fortsetzt.