Jubiläen können angenehme Feiern sein. Zumal beim unprätentiösen
Umgang mit deren Anlässen. Davon gab es Anfang Juni in Lübeck
zwei zugleich: den 10. Geburtstag des Kammermusikfests und den 150.
Geburtstag eines seiner Patrone, des Pianisten und Komponisten Xaver
Scharwenka (18501924). Dessen Lebensdaten bilden auch die
ungefähre Zeitklammer für Konzept und Programm des dreitägigen
Festivals. Nämlich anderswo nicht beachtete Musik-Merkposten
diverser Schichten und Niveaus von der Romantik bis zum Übergang
zur Moderne von namhaften Solisten und Ensembles sowie begabten
Talenten zu präsentieren. Ein exzentrischer Mix, der das Prestige
dieser Konzerte insofern beförderte, als sie, aus internationaler
Szene besetzt und dort auch rezipiert, ziemlich konstant vor jedesmal
vollem Saal stattfanden.
Zu
den Favoriten gehörten im Jubiläumsjahr die drei Meister-Solisten
von The Romantic Chamber Group of London, die mit Philip
Scharwenkas Klaviertrio G-Dur opus 112 einen Überraschungscoup
landeten: Denn diese Musik ist völlig bei sich, sie breitet
sich in notierten Glücksmomenten aus. Und dann Eduard Brunner,
der mit seiner Klarinette und dem Vlach- Quartett aus Prag das empfindsame,
im Andante elegische opus 102 von Eduard Fuchs aufführte. Geschrieben
1914 ist dies ein Werk ohne Ahnung vom nahenden Krieg, die allerdings
in den vier Stücken für Klarinette und Klavier opus 5
von Alban Berg aus dem Jahr zuvor zumindest in beklemmender Unruhe
zu spüren ist. Wobei der perfekte Klavierpart von der künstlerischen
Leiterin des Festivals, Prof. Evelinde Trenkner, daran erheblichen
Anteil hatte. Im Übrigen war Bergs Musik zu Fuchs spätromantischer
Tonsprache ein expressiver Kontrast, der nochmals mit Strawinskys
drei Stücken für Klarinette Solo und dem von Brunner 1995
entdeckten Pour Pablo Picasso gebrochen wurde. So bündelte
er höchst anspruchsvoll die Zeitlinien des Festivals in kleinsten
Einheiten.
Weniger anspruchsvoll, aber mit vereinnahmendem Charme erwies die
Grand Dame der Renaissance von Xaver Scharwenkas Musik, Seta Tanyel,
dem ehemaligen Grandseigneur des Pianos die Reverenz. Mit rasanter
Virtuosität widmete sie sich seinem Polnischen Tanz
opus 3 und anderen Werken opulenter Klavierklänge. Diese Tendenz
zeigte sich auch in der unvermeidlichen Verbeugung zum 250. Geburtstag
von Johann Sebastian Bach: Bearbeitungen der Toccata &
Fuge d-Moll und des Brandenburgischen Konzerts Nr. 3
von Max Reger stellte das renommierte Klavierduo Sontraud Speidel/Evelinde
Trenkner in Richtung weisenden Interpretationen vor. Zugängliche
Arrangements im Vergleich zu Prokofieffs Sonate für Violine
und Klavier Nr. 1, die voller düsterer Passionen und leichenblassem
Gewebe ist. Geneviève Laurenceau, eine Schülerin des
schon legendären Violinlehrers Zakhar Bron, hatte sich mit
ihrem Partner Thomas Preuß erstaunlich sicher in dieser sperrigen
Komposition bewegt. Die Kunst von Keisuke Okasaki, der ebenfalls
bei Bron Unterricht hat, ist bereits als genial, zumindest als überragend
zu bezeichnen. Denn seine Darbietungen der Brahms-Sonate d-Moll
opus 108 und der verschlungenen Arabesken des Tzigane
von Maurice Ravel waren schlicht perfekt und atemberaubend. Für
die angemessene Zuordnung der Posten und Personen dieses Festivals
sorgte Hermann Boie, dessen mit vielen Anekdoten geschmückte
Moderation ein weiteres Merkmal dieses kleinen Festivals mit großem
Format ist.