Lars von Triers modernes Musical Dancer in the Dark
mit Björk
Ach wär das Leben doch wie Fred Astaire, sang
in den frühen 80ern Erika Pluhar, zu einer Zeit, als das Filmmusical
in den letzten Zügen lag. Innerhalb kurzer Zeit waren noch
einmal drei große Filme entstanden, die nur als Schwanengesänge
auf das Golden Age des Musikfilms zu betrachten waren: Herbert Ross
Pennies from Heaven, Blake Edwards Victor/Victoria
und Barbra Streisands Yentl. Etwa um diesen Dreh rum
war der Däne Lars von Trier auf der Suche nach einem verlorenen
Song in seinem Debütfilm Element of Crime. Schon
damals konnte man bei ihm in einem Ocean of Sound ertrinken,
wie ein Jahrzehnt später wieder bei der egomanischen Isländerin
Björk und ihrem Post-Album.
Björk sang darauf ein Lied aus dem Nachkriegsdeutschland (das
von Trier in Europa beschwo ren hat), Jetzt ist
es still, das über den Umweg Amerika als Its
Oh So Quiet bei ihr gelandet war. Das beschwingte Begleitvideo
war im Stil der Jacques-Demy-Musicals der Sixties, man wartete nur
noch auf das Auftauchen von Catherine Deneuve womit wir endlich
bei Dancer in the Dark gelandet wären.
Irgendwie hatte man immer darauf gehofft, dass sich Lars von Trier
an ein Musical wagen würde. Und nun erzählt er selbst
von seinem Traum: Aber wer weiß wirklich, wie man ein
Musical macht? Ich versuchte oft, mich zurückzubesinnen auf
meine Kindheit, als ich Musicals im Fernsehen sah und völlig
davon fasziniert war, besonders von denen mit Gene Kelly.
Musicals wie An American in Paris oder West Side
Story, die dem Melo nahestanden, haben seine Sichtweise auf
das Kino so stark geprägt wie seine Liebe zu dem dänischen
Meisterregisseur Carl Theodor Dreyer.
Ach wär das Leben doch wie Fred Astaire... Selma kommt
aus dem Osten, erzählt Lars von Trier über seine
Protagonistin, ihr Leben ist hart, aber sie steht es durch,
denn sie hat ein Geheimnis. Wenn die Dinge zu unerträglich
werden, dann tut sie, als wäre sie in einem Musical...
Wie das funktioniert? Die Links zu dieser Gegenwelt
sind Melodiefetzen und die Geräusche ihrer Alltagswelt. Sie
liebt die Klänge von allem was lebt: von Händen, Füßen,
Stimmen, den Lärm von Maschinen und mechanischen Dingen, die
Töne der Natur und vor allem die kleinen Klänge von Defekten,
einer losen Bodenplatte etwa. Von wem spricht Lars von Trier
hier eigentlich, von seiner fiktiven Selma oder seiner Komplizin
Björk, Hauptdarstellerin und Komponistin in Personalunion.
Die Grenzen verschwimmen. Björk jedenfalls war seine Wunschbesetzung
neben Peter Stormare, Udo Kier und Joel Grey, dem Master of
Ceremonies aus Cabaret. Catherine Deneuve dagegen
hat von sich aus ihre Dienste angeboten, als Verbeugung vor seinem
Musical-Projekt, das sie wohl auch an die alten Zeiten mit Jacques
Demy erinnerte.
Die Songs in den klassischen Hollywoodmusicals von Stanley Donen,
Vincente Minnelli oder Charles Walters, sie sind oft Selbstgespräche
gewesen, sie haben funktioniert wie das Singen im Walde. Ich singe,
also bin ich. Das könnte auch das Credo von Selma und Björk
sein, den Schwestern im Geiste. Es sei für sie
geradezu befreiend gewesen, die Ängste und Freuden eines anderen
nachzuempfinden. Man ist distanzierter, wenn man Filmmusik
komponiert. Bei dem Filmprojekt habe sie deshalb ihre Rastlosigkeit
überwunden. Für Björk hat sich dieser Kraftakt, der
sie freilich in der Haut von Selma bis zum Rand der Verzweiflung
trieb, aber noch auf weitere Weise gelohnt. In Cannes erhielt sie
für ihre schauspielerische Leistung den Preis als Beste Darstellerin.
Manchmal ist das Leben eben doch wie Fred Astaire aber nur
manchmal.