Resümee nach drittem Durchlauf: Erfolge und Defizite bei
der Vokalkategorie Jugend musiziert
Berufs- wie Laienchöre beklagen mangelnden qualifizierten
Sängernachwuchs. Auch der solistische Nachwuchs für Musikbühne
und Konzertpodium aus dem eigenen Lande hat Schwierigkeiten, sich
zu behaupten. Aber wo sind die Stimmbegabungen zu finden? Diese
Frage beschäftigte in den zurückliegenden Jahrzehnten
immer wieder die Verantwortlichen und sie drängten, mit dem
Förderprojekt Jugend musiziert nach seinen unumstrittenen
Erfolgen im instrumentalen Bereich auch auf vokale Talentsuche zu
gehen. Das war vor fast zehn Jahren. Nach dem dreimaligen Durchlauf
der Vokalkategorien bei Jugend musiziert fragten wir
Professor Peter Ziethen, Gesangspädagoge, engagiert im DTKV
und selbst mit seinem Rat in der Planungsphase der Vokalkategorien
bei Jugend musiziert beteiligt, nach seiner Einschätzung:
neue musikzeitung: Was brachte die Einführung der Kategorie
Sologesang und vokale Ensemblemusik beim Wettbewerb Jugend
musiziert, und was wäre für die weitere Planung
Sologesang ist wieder für das Jahr 2002 vorgesehen
zu bedenken?
Ziethen: Nach meiner Meinung hat der Wettbewerb Jugend
musiziert gerade an den Musikschulen einen verstärkten
Schub für das Fach Stimmbildung oder Gesang ausgelöst.
Speziell nach der Wiedervereinigung im westlichen Teil Deutschlands.
Das ist eine sehr positive Entwicklung, die besonders die These
stützt, dass die Musikausbildung auf jeden Fall auch schon
in der Basis den Gesang einbeziehen sollte das natürlichste
Instrument. Durch Jugend musiziert sind natürlich
Motivation und Anreiz geschaffen, auf ein Ziel eben den Wettbewerb
hinzuarbeiten, das auch weitgehend aufgenommen wurde. Es
hat auf jeden Fall dazu geführt, dass sich mehr Interessenten
für eine stimmliche Ausbildung interessieren.
nmz: Ist in der beruflichen Ausbildung erhöhtes Interesse
an Vokalausbildung spürbar?
Ziethen: Da Jugend musiziert ja ein Laienwettbewerb
ist, können Auswirkungen im Hochschulbereich nur in indirekter
Form wahrgenommen werden. In erster Linie ist das die Altersgruppe,
die vor dem Abitur steht, die sich also Gedanken darüber macht,
welchen Beruf man ergreifen kann. Die an Gesang Interessierten nehmen
zum großen Teil deshalb auch an dem Wettbewerb Jugend
musiziert teil, um sich selbst zu testen und dem Wunsch, Sänger
oder Sängerin zu werden, einmal innerhalb des Jurygesprächs
mit Fachkollegen zu diskutieren und sich beraten zu lassen. Der
Wettbewerb Vokale Ensemblemusik wurde nach meiner Meinung bisher
erst etwas zögernd aufgenommen, aber man kann auch hier eine
durchaus positive Entwicklung sehen. Man muss auch berücksichtigen,
dass gerade in der Privatausbildung eine vokale Kammermusik für
die Lehrer zum großen Teil ein Problem darstellt, da sie ja
in der Regel nur Einzelstunden im Fach Gesang geben.
nmz: Brachten die Literaturlisten Jugend musiziert
brauchbare Anregungen und Empfehlungen?
Ziethen: Die Literaturlisten von Jugend musiziert
sowohl von Solo- wie vokaler Ensemblemusik sind von einem Großteil
der Ausbilder äußerst positiv aufgenommen worden. Was
die Einteilung des Schwierigkeitsgrades angeht, so gibt es unterschiedliche
Meinungen, aber ich glaube, hier lässt sich keine ideale Lösung
finden. Vieles ist eben individuell.
nmz: Hat sich die Aus- und Weiterbildung der Vokallehrer
und Stimmbildner auf die neuen Anforderungen eingestellt?
Ziethen: Was die Aus- und Weiterbildung für diese
Ausbilder angeht, so hat sich ja das Fach Gesang als solches bereits
längst etabliert und wird auch im reichhaltigen Maße
abgedeckt.
Die speziellen Stimmbildner, die auch auf chorische Arbeit geschult
werden, wären ein Kapitel, das von den Hochschulen in verstärktem
Maße berücksichtigt werden sollte, da gerade in dieser
Hinsicht sehr viele Chorvereinigungen dazu übergegangen sind,
sich Stimmbildner zu nehmen, die den technischen Teil der zum Teil
ja äußerst anspruchsvollen Literatur mit dem Chor erarbeiten
sollen. Dies ist auch sehr begrüßenswert, denn wenn man
meinetwegen ein Oratorium mit einem Laienchor aufführt, setzt
sich das Orchester in der Regel aus Berufsmusikern zusammen. Der
Anspruch an die Laien wird aber im gleichen Maße aus musikalisch-gestalterischer
Sicht gestellt und hierfür müssen auch technische Voraussetzungen
geschaffen werden. Also sollte gerade der Beruf des Stimmbildners
noch weiter gefördert werden.
Was die Weiterbildung für Vokallehrer angeht, wäre auch
das Fach oder die Sparte Musical wichtig. Hier wurde ja schon viel
diskutiert, in wie fern diese Kunstgattung in den Wettbewerb Jugend
musiziert eingebracht werden kann oder soll. Es wäre
zu sagen, dass eben gerade die Jugendlichen über diesen Weg
sehr oft erst zur Musik finden und dass eine fachkundige Unterstützung
dieses Bereichs durchaus förderungswürdig ist. Das heißt,
dass auch hier Lehrer sich kundig machen müssen, was die Literatur
und deren Anspruch in technischer und musikalisch-darstellerischer
Hinsicht angeht. Hier ist noch eine große Lücke, denn
viele Gesangslehrer diskutieren über Musicals, ohne sie eigentlich
genau zu kennen. Weiterbildende Maßnahmen in dieser Hinsicht
wären auf jeden Fall besonders für die Lehrkräfte,
die an Musikschulen unterrichten, zu bedenken. Denn die Musikschullehrer
werden am stärksten mit Schülern konfrontiert, die bereits
in ihrer Schule oft ein Musical aufführen und hier eine Unterstützung
gebrauchen könnten.
nmz: Zeichnen sich Auswirkungen ab für die Berufsorientierung?
Ziethen: Was den Mangel an geeignetem Nachwuchs insbesondere
an Männerstimmen angeht, muss man sagen, kann auch der Wettbewerb
Jugend musiziert nicht mehr Stimmen finden, als vorhanden sind.
Ich habe den Eindruck, dass sich aus allen Sparten auch aus
den männlichen Stimmen ein interessantes Material meldet,
muss aber doch feststellen, dass insbesondere die tiefen Stimmen
(sei es bei Frauen die wirkliche Altstimme wie auch bei Männern
wirkliche Bassstimmen) in viel zu geringem Maße vorhanden
sind ein Punkt, der nicht nur hier zu Lande sondern auch
andernorts auftritt, wie ich in meinen Meisterklassen in Asien,
Neuseeland und auch in Australien immer wieder bemerke.
Der Wettbewerb Jugend musiziert und die Möglichkeit,
dort als Preisträger hervorzugehen, hat schon sowohl für
die Vokalausbilder wie auch für die Jugendlichen selbst oder
deren Eltern einen sehr starken Anspornwert. Nicht immer allerdings
sind diese Wertgefühle mit dem identisch, was die Berufsausbildung
angeht, das heißt, es wurde immer wieder bei Aufnahmeprüfungen
festgestellt, dass manche Kandidaten, die eine Aufnahmeprüfung
nicht bestanden, nun sehr enttäuscht waren, weil sie vorher
Preisträger bei Jugend musiziert waren. Damit will
ich sagen, ein Preis bei Jugend musiziert ist eben durchaus
noch keine Garantie dafür, eine Aufnahmeprüfung an einer
Musikhochschule zu bestehen. Sicherlich ist ein positives Ergebnis
bei eindeutigen Talenten in allen Gremien zu erwarten, aber es gibt
eben auch Fälle, die in diesem Alter oder Stadium nur Teilaspekte
der Begabung zeigen können; anderes muss eben im Verlauf einer
weiteren Ausbildung erarbeitet werden, oder es sollte sich weiterhin
im Laienbereich bewegen.
nmz: Warum ist es so schwierig, für die jungen Sängerinnen
und Sänger, die sich bei Jugend musiziert vorstellen,
geeignete Klavierpartner zu finden?
Ziethen: Das liegt daran, dass besonders bei komplizierter
Literatur aus dem Bereich des Musiktheaters die berufsmäßigen
Korrepetitoren eine größere Stütze für die
Kandidaten darstellen, da sie einfach wissen, was aus diesem Klavierauszug
hervorzuheben ist, welche Tempovorstellungen realisiert werden sollen,
und vor allem, dass sie selbst sicher sind und somit eine Stütze
für den Sänger darstellen. Im konzertanten Bereich ist
natürlich das Duo Sänger- oder Sängerin-Klavier zu
bevorzugen, da hier dann wirklich echte Kammermusik gemacht wird.
nmz: Welche Wunschvorstellungen haben Sie für die
Weiterführung der Vokalkategorie bei Jugend musiziert?
Ziethen: Der Wettbewerb Jugend musiziert konnte,
wie gesagt, schon einen Boom auslösen, was die Ausbildung in
gesanglicher und stimmbildnerischer Hinsicht insbesondere an Musikschulen
angeht. Die Defizite oder Wunschvorstellungen liegen bei mir im
Bereich Musical. Denn nach meiner Ansicht ist keine musikalische
Gattung bei Schülern so gefragt, aufgenommen und akzeptiert
wie das Musical, und anstatt über die stimmlichen Probleme,
die dabei entstehen können, zu sprechen, sollte man eher überlegen,
wie man diese Problematik angeht, das heißt, wie also gerade
die Gesangausbilder sich mit diesem Metier mehr beschäftigen
müssen und weitergeben können, wie man auf eine gesunde
Art und Weise diese Stücke singen kann. Das geht nach meiner
Meinung so weit, dass das Fach Musical als eine Sondersparte innerhalb
des Gesangwettbewerbes Jugend musiziert auftreten sollte.