Die Initiative Konzerte für Kinder der Jeunesses
Musicales Deutschland nimmt Fahrt auf
Das Konzertpublikum von morgen als ein heutiges ernst nehmen
so könnte das Motto lauten, wenn es darum geht, sich einer
der zentralen kulturpolitischen Herausforderungen zu stellen. Dabei
geht es nicht darum, Kinder qua Moderation und programmatischer
Anbiederung (bald kommt wieder die Zeit musikalischer Schlittenfahrten!)
für künftiges Stillsitzen in ritualisierten Drei-Punkte-Konzerten
zu dressieren. Das Problem der Überalterung, das sich in Deutschlands
Konzertsälen weitaus stärker manifestiert als anderswo,
ist Symptom tiefer sitzender Defizite. Sie betreffen die musikalische
Bildung ebenso wie den Bereich der Vermittlung, der in der professionellen
Ausbildung ein Schattendasein fristet. Auch die Frage nach Qualität
stellt sich unvermeidlich. Welches ist die Musik, die jüngeren
Generationen nahe gebracht, für die deren Sinne dauerhaft geschärft
werden sollte? Barbara Stiller stellt die Initiative der
Jeunesses Musicales Deutschland vor, deren Leitung sie ab Oktober
übernimmt:
Laut
Umfragen der musikpädagogischen Fachpresse bietet mittlerweile
ein Großteil der deutschen Kulturorchester regelmäßig
Konzerte, mitunter sogar ganze Konzertzyklen für konkrete Zielgruppen
an. Das allgemeine Konzertwesen verfolgt seit geraumer Zeit einen
neuen Trend zu konzipierten Programmen mit thematischer Schwerpunktsetzung.
In zusätzlichen Einführungsveranstaltungen erfährt
der Hörer Hintergrundinformationen über inhaltlich und
musikgeschichtlich aufeinander abgestimmte Werke. Alle Bemühungen
sind für ein breites Publikum gedacht und zielen darauf ab,
den Konzertbesuch zu einem noch tieferen Erlebnis werden zu lassen,
das nach Wiederholung verlangt.
Diese Überlegungen zur Intensivierung des Musik-Hörens
und -Begreifens gelten auch für den Bereich der Konzerte für
Kinder und Jugendliche. Mitunter fallen diese sogenannten Gesprächskonzerte
jedoch zu kopflastig aus und entsprechen kaum einer Musikvermittlung,
die unter dramaturgischen Gesichtspunkten polyästhetisch angelegt
sein sollte. Aus kultur- und gesellschaftspolitischer Sicht rennt
die Zeit: Nur Konzerte, deren Inhalt und Ablauf das Kind spontan
emotional treffen, können neue Perspektiven für eine lebendige
Auseinandersetzung mit der Musikkultur aufzeigen.
Eine kontinuierliche Förderung junger Hörergenerationen
setzt ein neues künstlerisches wie musikpädagogisches
Denken über innovative Konzeptionen, deren Vermittlungsformen
sowie motivations- und bildungsästhetische Ansätze voraus.
Wenn es gelingt, das vielschichtige Medium Musik in all seinen Sparten
so zu präsentieren, dass sich das junge und unerfahrene Publikum
sinnlich, emotional und mental positiv berührt fühlt,
wird ein erhöhtes, heutzutage häufig vermisstes Konzentrationsvermögen
frei, Papierflieger aus Programmheften bleiben aus. Nur durch eine
Musikvermittlung, die an erster Stelle die Erschließung eigener
kindlicher Gefühlsbereiche anstrebt, wird Kindern auch das
tiefe Verstehen von Musik als kulturellem Gut möglich. Lieb
gewordene Traditionen der deutschen Konzert-Landschaft sind für
ein junges Publikum letztendlich nur zu retten, wenn sie unter neuen
dramaturgischen Handlungs- und Gestaltungsprinzipien bestätigt
werden können.
Problem Neue Musik
Dies gilt insbesondere für die Förderung der sogenannten
Neuen Musik. Bittet man zeitgenössische Komponisten zu Aussagekraft
und Wirkung ihrer Werke Stellung zu nehmen, so lehnen sie eine Antwort
häufig mit dem Argument ab, die Musik spräche für
sich und bedürfe keines weiteren Kommentars. Diese intellektuellen
Ansprüche an ein Werk bedeuten in der Musikvermittlung für
ein junges Publikum ohne Vor- und Hörerfahrungen eine deutliche
Überforderung, auf die es nur mit hilflosem Abwehrverhalten
reagieren kann. Gelingt es aber, Hörbeispiele Neuer Musik in
eine ansprechende und Fantasie anregende Szenerie zu integrieren,
so führen eine besonders intensive und faszinierende Freude
am Zuhören, Lauschen und Zuschauen beim Kind zu künstlerischer
Interessenbildung und dem häufig geäußerten Wunsch
nach eigener musikalischer Aktivität.
Andererseits spielt aber die Art der Musik dabei grundsätzlich
keine Rolle. Ob Klassik, Jazz, Rock oder Pop, ob E- oder U-Musik,
jede Stilrichtung kann es wert sein, aktiv vermittelt zu werden.
Entscheidendes Kriterium sollte Qualität sein, worüber
sich im Gegensatz zu Geschmack durchaus streiten lässt und
worüber man in Zukunft vielleicht vermehrt streiten sollte.
Mit unterschiedlichem Interesse verfolgen und analysieren verschiedene
Kultur schaffende Institutionen seit geraumer Zeit die Situation
des Konzertlebens in Deutschland. Die Säle werden leerer, das
Publikum wirkt überaltert, die Anzahl der Abonnenten ist rückläufig,
nach wie vor sind klassische Best-of-Programme an der
Tagesordnung, und im ohnehin raren Musikunterricht der allgemein
bildenden Schulen sind Schulkonzerte und Konzertbesuche noch lange
keine Selbstverständlichkeit.
Als Dachverband, der seine Hauptaufgabe in der musikalischen Nachwuchs-
und Breitenförderung sieht, reagierte die Jeunesses
Musicales Deutschland (JMD) auf den bundesweit dringenden Handlungsbedarf
und gründete im Februar 2000 die Initiative Konzerte
für Kinder. Mittlerweile gehören diesem Netzwerk
mehr als 220 Mitglieder aus Berufsorchestern, Musikschulen, Musikhochschulen,
Universitäten, Jugendorchestern, sozio-kulturellen Zentren,
Kulturämtern und anderen Institutionen an. Angesprochen sind
alle Kultur schaffenden Organisationen und Bildungseinrichtungen,
denen das Thema Musikvermittlung als neues und eigenständiges
musikpädagogisches Handlungsfeld ein besonderes Anliegen ist.
eigene Vermittlungsgesetze
Konzerte für Kinder haben ihre eigenen Vermittlungsgesetze.
Neben einer guten Stückauswahl ist die Art und Weise einer
kindgemäßen und sprachlich fantasievollen Präsentation
für ein gelungenes Konzert maßgeblich von Bedeutung.
Die Bundesakademie Wolfenbüttel und die Musikhochschule Detmold
werden in Kooperation mit der JMD eine Moderatorenfortbildung anbieten,
die neben dem Training rhetorischer, stimm- und sprechtechnischer
Fertigkeiten das eigene Erstellen pädagogisch-künstlerischer
Konzert-Konzepte zum Inhalt haben wird.
Als weiteren Leitfaden wird die JMD ein umfangreiches Praxishandbuch
in Form einer erweiterbaren Lose-Blatt-Sammlung herausgeben. Vorbild
ist dabei die Brundibár-Mappe, mit der es gelungen ist, dieses
Projekt zu einem Selbstläufer zu machen. In einem sogenannten
Einmaleins eines gelungenen Kinderkonzerts sollen zahlreiche Arbeitshilfen,
Checklisten, Literatur- und Repertoiretipps erscheinen, die für
die Erfolg versprechende Durchführung eines Konzerts unerlässlich
sind. Neben verschiedenen Good-practice-Modellen für
unterschiedliche Zielgruppen, Konzertkategorien und Veranstaltungsformen
werden auch Richtlinien zu organisatorischen, marketingstrategischen
und finanziellen Fragen beschrieben sein.
Je mehr Interessierte sich aktiv an der Initiative Konzerte
für Kinder beteiligen und das Netzwerk mit all seinen
Kommunikationsmöglichkeiten als Ideenbörse und Forum für
regelmäßige Diskussion nutzen, um so größer
ist die Chance, mit innovativen Konzepten schon bald Einfluss auf
unser Konzertwesen (übrigens nicht nur für Kinder) nehmen
zu können.
Barbara Stiller
Netzwerk Konzerte für Kinder
Die Initiative Konzerte für Kinder ist ab Oktober
mit einer eigenen Seite im Internet vertreten: www.konzerte-fuer-kinder.de
(im Aufbau). Dort sollen grundsätzliche Informationen zum Thema
ebenso gesammelt werden wie Neuigkeiten zu einzelnen Projekten und
Veranstaltungen, die nicht zuletzt die Mitglieder des Netzwerks
beisteuern sollen. Ein offenes Kommunikationsboard lädt zu
Diskussion und Informationsaustausch ein, Mitglieder des Netzwerks
werden außerdem über einen Newsletter auf dem Laufenden
gehalten. Die nmz wird der Initiative von der November-Ausgabe an
regelmäßig eine eigene Seite widmen. Informationen und
Anmeldung zum Netzwerk außerdem direkt bei der