Seit 30 Jahren debütieren Preisträger beim Haydn-Cello-Wettbewerb
in Marl
Requiem las man auf dem Titelblatt der improvisierten
Dankeschön-Einlage der drei Fachjuroren nach der Preisverleihung
im Haydn-Cello-Wettbewerb, ein in Klängen schwelgendes, herzzerreißendes
Stück des Komponisten David Popper, den alle Cellisten zur
Genüge kennen, nur kaum diesen sinfonisch begleiteten Konzertsatz
für drei Solocelli. Galt dieser Abgesang ungewollt gar dem
Begleitorchester, jener Philharmonia Hungarica unter dem Kanadier
Daniel Lipton, um das die kulturpolitischen Wogen zur Zeit besonders
hoch gehen, weil seine Tage bis Ende dieses Jahrs gezählt zu
sein scheinen? Es sei denn, Bund, NRW und die Stadt Marl und einige
Mäzene einigen sich in letzter Minute auf ein weiteres Durchhalten
dieses in der einst reichen Hüls-Stadt gastfreundlich aufgenommenen
ehemaligen Exilorchesters (siehe Seite 4).
Noch engagiert sich die Gesellschaft zur Förderung der Philharmonia
Hungarica einfallsreich für ihr Tourenorchester. Für diesen
Sommer mit Haydn hatte man noch den extra Einfall, von den 23 deutschen
Musikhochschulen deren besten Cellisten-Nachwuchs einzuladen, der
sich mit Haydns D-Dur-Konzert immerhin einen 10.000-Mark-Preis erspielen
konnte. Nicht alle reagierten, aber immerhin zwölf traten an.
Wo sonst in der Essener Hypothekenbank Finanzbosse bilanzierten,
jurierten unter dem scheidenden Essener Folkwang-Hochschulrektor
Edmund Illerhaus Maria Kliegel, Claus Kannegiesser und Catalin Ilea,
einst selbst Cellistin des Marler Orchesters, zusammen mit drei
Journalisten (auch die nmz war dabei) zwölfmal die korrepetierten
und durchwegs originellen und persönlich geprägten Interpretationen
besagten Cellokonzertes.
Eigentlich kein üblicher Wettbewerb, sondern mehr ein Auswahlspiel:
die vier auszuwählenden Finalisten hatten ihren Soloauftritt
mit dem jeweils gleichen Orchester, jener PH, garantiert, allerdings
an vier, damit auch raumakustisch verschiedenen Aufführungsplätzen
des nördlichen Reviers, in Gladbeck, Hamm, Essen und Marl.
Bei diesen vier Konzerten galt es, den würdigsten Cellisten
zu ermitteln, und die Jury fand ihn im jüngsten Spieler,dem
18-jährigen Julian Steckel aus Pirmasens, Oberprimaner und
gleichwohl Jungstudent an der Musikhochschule des Saarlandes, der
die stärkste Personalität spüren ließ (und
der sich dann auch noch in seiner Zugabe, einer frappierenden Wiedergabe
des 3. Satzes der Solosonate von Zoltan Kodály übertraf).
Auch das Orchester durfte seinen Eindruck wiedergeben, und es traf
sich ebenfalls bei Julian Steckel, der nun noch eine weitere Solo-Einladung
für einen Auftritt mit der Philharmonia Hungarica mitnehmen
darf.
Marler Debut
Die Fördergesellschaft und ihr Leitungsgremium überschlagen
sich mit Ideen und ehrenamtlichem Einsatz, die Philharmonia Hungarica
nicht nur zu retten, sondern mit Aufgaben und weltweiten Verpflichtungen
deren Erhaltungswürdigkeit zu beweisen. Dazu gehört die
ins Leben gerufene Orchester-Akademie, in der fünf junge Musiker
aus Osteuropa volontieren dürfen. Dazu gehört das Marler
Debut, bei dem immer wieder neue Jugend musiziert-Bundespreisträger,
übrigens seit über 30 Jahren, mit diesem Orchester als
Solisten debütieren dürfen. Da muten dann doch Kontroversen
am Rande mitbekommen , Verschanzung hinter Tarifvertrag
und Feilschen um Dienste, recht peinlich an, wenn es um das Eigenengagement,
die Lauterkeit der Orchestermusiker selbst, zum Beispiel um ausreichende
und eventuell wünschenswerte extra Probenminuten bei einem
Unternehmen wie diesem Cello-Haydn-Wettbewerb geht. Schließlich
steckt dahinter die tolle Hauptidee, dem eigenen Nachwuchs fehlende
Orchestererfahrung zu vermitteln. Dazu passt nur good will, keine
tickende Zeituhr, erst recht nicht zu einem Zeitpunkt, an dem es
so aussieht, die Stunde könnte für das Orchester selbst
schlagen.
Die Idee dieses Wettbewerbes, dieses Auswahlspieles, das dem Solistennachwuchs
unserer Hochschulen gleichsam Übungsplatz sein kann, ist zu
gut, als dass man sie nicht fortspinnen und vervielfältigen
sollte, im Wechsel der vor allem vernachlässigten Soloinstrumente
in Partnerschaft mit einem oder mehreren willigen Orchestern, die
bei dem Workshop-Charakter und dem Ernstfall-Proben mitziehen. Und
solche regionalen und überregionalen Festivals bieten das geeignete
Terrain.
Damit könnte der jährliche Hochschulwettbewerb und der
um den Mendelssohn-Preis, entsprechend koordiniert und abgesprochen
vor allem in den auszuschreibenden Kategorien und Werken, eine die
Ausbildungsklassen motivierende, recht sinnvolle und reizvolle Ergänzung
erfahren.