Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2000/10
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

 

nmz 2000/10 | Seite 44
49. Jahrgang | Oktober

Nachschlag

 

Nachschlag

Voralarm geben

Die neue Spielzeit beginnt und wir pfeifen, Mut uns machend, im dämmerigen Luftschutzkeller der Kultur das Lied vom Dahinsterben der „Kleinen Negerlein”: Brandenburg, Frankfurt/Oder, Potsdam, Senftenberg, Stendal, Wittenberg – um nur die seit 1991 aufgelösten Musiktheater zu nennen – mussten wir zu Grabe pfeifen. Da war’n es nur noch... Und bang lauschen wir den aus dem Volksempfänger krächzenden kulturellen Luftlagemeldungen: Kulturfeindliche Bomberverbände haben das Reichs-, pardon: das Bundesgebiet erreicht und bewegen sich von Planquadrat A1 Richtung Südosten. In Berlin, Bonn, Bremen, Erfurt/Weimar, Freiberg, Gelsenkirchen/Wuppertal, Gera/Altenburg, Kiel, Lübeck, Nordhausen, Schwerin und Würzburg wurde für die Musiktheater Voralarm ausgelöst. Den Anweisungen der Luftschutzwarte ist unbedingt Folge zu leisten. Wie damals im Krieg glauben wir, mit der Feuerpatsche alias Haustarifvertrag, mit der Handspritze alias Sparmaßnahme, mit Gasmaske und kleinem Beil alias Personalabbau den Terrorangriffen, wie das hieß, widerstehen zu können. Damals glaubten wir es, bis wir verschüttet waren. „Die Krise ist die Chance des Theaters,” lautet ein geflügeltes Wort. Aber hatte nicht auch der gewissenlose Demagoge Joseph Goebbels die Zerstörung der deutschen Städte als Chance bezeichnet, sie „ungebrochenen Mutes schöner denn je wieder aufzubauen”? Seine persönliche Hölle befindet sich hoffentlich in Dresden.

Wissen jene, die da heute in Springerstiefeln Heil-Rufe gröhlend unter dem knatternden Flattern der schwarz-weiß-roten Reichskriegsflagge durch die Straßen marschieren und Heß, Himmler, Hitler, Speer feiern, dass auf unabsehbare Zeit niemand mehr jeglichem Deutschtum, auch jeglicher Reichsidee größeren Schaden zugefügt hat, als diese nationalsozialistische Bagage? Sie wissen es nicht – und können weder für ihr nationales Nichtwissen noch für ihre soziale Lage verantwortlich gemacht werden. Nicht Verbote ihrer Organisationen, sondern Aufklärung, Bildung, Kultur, also gemeinsames zivilisatorisches Niveau tun not. Der zivilisatorisch-gesellschaftliche Kanon ist nicht zuletzt auch Voraussetzung für alle sozialen Umverteilungs- und Generationenverträge.

 

Narkotisierende Dampfwolken des Ökonomismus

 

Diejenigen aber, die mit dem Kopf in den narkotisierenden Dampfwolken des Ökonomismus für Kultur- und Bildungsdefizite politische Verantwortung tragen, können Nicht-Wissen nicht geltend machen. Sie wissen, was sie tun. Als Hans Magnus Enzensberger in seinem fulminanten Essay „Ausblicke auf den Bürgerkrieg” darlegte, warum die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt Gefahr liefen, in die Barbarei abzugleiten, und darauf hinwies, dass ohne Bindung stiftende Erziehungsprozesse die Menschen zu Tieren degenerieren, da schalt ihn die herrschende Meinung der Republik des Verstoßes gegen die political correctness. Und Botho Strauß erging es ebenso, als er im „Anschwellenden Bocksgesang” seinen Hass auf den „devotionsfeindlichen Kulturbegriff” formulierte und die von der Gesellschaft tolerierte Verhöhnung von Tradition und Autorität beklagte. Wilhelm Liebknechts seinerzeit verständlicher Aufruf zum Kampf gegen das Kultur- und Bildungssystem der Bourgeoisie, das Teil des Beherrschungssystems sei, hat sich zum größten Missverständnis des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt, weil er nicht als Aufruf zur Demokratisierung, sondern als Anweisung zu Nivellierung und Demontage von Kultur und Bildung befolgt wurde.

Die Erosion der musischen Bildung in unseren Schulen, das Kaputt-Sparen der Theaterkultur in der Fläche unseres Landes sind nur Spitzen kleiner Eisberge im drohenden Dauerfrost des demokratischen Konsumismus. Noch muss nur Voralarm gegeben werden.

Stefan Meuschel,
Herausgeber der Zeitschrift „Oper & Tanz“

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |