Leserbrief zum Artikel Folk-Festivals als Rituale...,
nmz
9-00, S. 50/51
Interkulturelles Musizieren ist ein Jetztzeit-Phänomen insofern,
als dass es in der Vergangenheit erst in der Nachfolge von Überfällen
einer Kultur über eine andere entstand, in der Auseinandersetzung
mit neuen Machthabern, also auch schon früher existierte,
nur eben in ganz anderem Zusammenhang und auf andere Art, in der
Entstehung einer neuen Folklore nämlich. Waren
früher imperialistische Überfälle mit Tod und unendlichem
Leid der Bevölkerung verbunden und gleichzeitig mit dem Anbruch
paradiesischer Zeiten der Auseinandersetzung mit dem Neuen
durch die örtlichen Kunstschaffenden, ist es heute, wenn auch
sicher oft im Endeffekt durchaus mit diesen Überfällen
vergleichbar, der schleichende Import/Export und das Aufeinandertreffen
von kulturellen Eigenarten sicher nicht, wie Herr Baumann in seinem
Artikel behauptet, durch technologisch bedingte Globalisierung der
Fall, sondern wenn überhaupt, durch ökonomisch bedingte
Globalisierung so naiv darf man dann doch nicht sein zu meinen,
www., die Internationalisierung der Musik würde im luftleeren
Raum, nur durch sich selbst und neue Technologie bedingt, stattfinden
können.
Diametraler Widerspruch
Es ist das internationale oder neu, globale Wirtschaften der Unterhaltungskonzerne,
die sozusagen den kriegerischen Eroberungsfeldzug von ehedem ersetzen,
mit identischer Zielsetzung übrigens. Das Paradebeispiel in
diesem Zusammenhang, inzwischen mehrfach rückbefruchtet durch
Verbreitung und Re-Import in die USA von Afrika zum Beispiel, ist
wohl der Jazz ganz allgemein: Eine hochentwickelte, virtuose Spielkultur
ist in der Lage, jederzeit Einflüsse von außen
nicht nur zu ver- und bearbeiten, sondern zu vereinnahmen, ganz
selbstverständlich zu integrieren und damit dem musikalischen
Phänomen an sich neue Impulse und Möglichkeiten zuzuführen,
die wiederum in anderen geografischen Räumen wie zum Beispiel
Europa dann zu anderen interessanten Ergebnissen führen kann.
Nicht umsonst wird Joe Zawinul und Weather Report als
der Vater oder Erfinder von Ethno oder ähnlichem
angesehen.
Geradezu im diametralen Widerspruch zum Ethno-Phänomen Jazz
steht Ethno oder Folk, Worldmusic an sich als vermeintlich vom Jazz
unabhängiges Genre: ist es im Jazz die Prädisposition
der multikulturellen Einflüsse von Chopin, Debussy, Salonmusik,
Afrika und andere, die für eine sozusagen prophylaktische Empfäng-
lichkeit und Aufnahmebereitschaft, ja schon eines Hungers nach Neuem
sorgt, ist es im Folk eben genau das Gegenteil davon: zunächst
die aus der Natur der Sache heraus unmögliche Verarbeitung
verschiedener Inspirationen von aussen. Folklore an sich ist nicht
dadurch zu charakterisieren, dass sie (jazzähnlich) andere
Musizierformen prädisponiert, bereitwillig übernimmt und
verarbeitet, um im Anschluss insgesamt (auch) neu zu erklingen,
das Gegenteil ist richtig: Folklore ist meiner Meinung nach a priori
hermetisch, sie versucht, museal und schon rituell-religiös
zu pflegen und zu bewahren. Die handwerklich-instrumentaltechnischen
Voraussetzungen, die im Jazz einen entsprechenden Esprit
und Kapazitäten bereitstellen, sind nicht gegeben, wenn ich
auch zugebe, dass es Folklore aus bestimmten Regionen gibt, die
hohe spieltechnische Anforderungen stellt. Die definitorische Disposition
der Hermetik erzeugt konsequent Xenophobie.
Nimmt man nun noch die allerorten grassierende Mittelmässigkeit
und mangelnde Reflexion der Ausführenden hinzu, ergibt sich
ein Bild, das zunächst streng von der Musik ausgehend nicht
anders als kaum überbietbar naiv genannt werden
muss. In Herrn Baumanns Artikel findet sich hierzu nicht ein Wort.