Von einem Karrieresprung, wie ihn Dave Holland machte, träumt
jeder junge Musiker. Mit 22 wird er bei einem Club-Auftritt in London
zufällig entdeckt ausgerechnet von Miles
Davis. Der holt den jungen, unbekannten Briten in die USA und macht
ihn zum Rückgrat seiner Rhythmusgruppe. Bald ist er einer der
meistbeschäftigten (und meistbewunderten) Jazz-Bassisten aller
Zeiten. In den 80er-Jahren sorgt Dave Holland auch als Bandleader
für Furore: Mit Querdenker Steve Coleman (Saxophon), Einzelgänger
Kenny Wheeler (Trompete), Newcomer Robin Eubanks (Posaune) und Sound-Spezialist
Marvin Smitty Smith (Schlagzeug) entwickelt das Dave-Holland-Quintett
das markanteste, individuellste Bandkonzept jener Zeit. Es folgen
Quartette, Trios, Solo-Projekte, jede Menge Sideman-Jobs. Seit 1997
arbeitet Holland erneut mit einer Quintettbesetzung.
neue musikzeitung: Nun bist du also wieder beim Quintett
gelandet...
Dave Holland: Ich wollte zwei Bläser haben, weil das
die kompositorischen Möglichkeiten bereichert und auch mehr
Abwechslung in die Improvisationen bringt. Es hebt schlicht die
Qualität der Gruppe.
nmz: Kannst du in wenigen Worten das aktuelle Band-Konzept
(mit Chris Potter, sax, Robin Eubank, tb, Steve Nelson, vibes, Billy
Kilson, dr) beschreiben?
Foto: Ssirius W. Pakzad
Holland: Lange Zeit bis in die 80er-Jahre hinein
habe ich vor allem in offenen Formen gespielt, in denen der
freie Dialog und die Interaktion wichtig waren. Irgendwann begriff
ich aber, dass es bestimmte Dinge gibt, die man nur mit strengen,
geschlossenen Formen erreichen kann. Coltrane etwa schrieb Giant
Steps, um bestimmte Ideen auszuprobieren. Ich sah, dass geschlossene
Formen auch für mich wertvoll sein könnten, aber ich wollte
das auf eine neue Art versuchen mit asymmetrischen Perioden
von drei, fünf oder sieben Takten oder mit wechselnden Taktarten
innerhalb eines Stücks. Darum ging es mir auf den letzten beiden
CDs. Außerdem habe ich versucht, meine Musik gleichzeitig
einfacher und komplexer zu machen. Ich denke dabei an das Beispiel
von Duke Ellington: Eine klare Melodie und ein packender Rhythmus
sprechen die Leute unmittelbar an, aber dahinter und darunter gibt
es dann noch eine Menge anderes zu entdecken.
nmz: Du hast einst mit traditionellem Jazz begonnen, mit
Dixieland...
Holland: Tatsächlich habe ich sogar mit den Top-40-Hits
der Popmusik begonnen! Da war ich 13 und spielte Rhythmusgitarre
in einer kleinen Band: Wir hatten drei Gitarren, Schlagzeug und
einen Sänger. Nach ein paar Wochen sahen wir ein, dass wir
einen Bass brauchten, und ich meldete mich freiwillig. Das war 1959.
Zwei Jahre später wurde ich Profi, spielte bei Tanzveranstaltungen,
studierte andere Pop-Bassisten und entdeckte dann eines Tages ein
Exemplar des Jazz-Magazins Downbeat. Darin fand ich
die Polls, und der Sieger bei den Bassisten war ein gewisser Ray
Brown. Also beschäftigte ich mich mit seiner Musik, kaufte
mir bald einen Kontrabass, spielte mit 17 in einer Tanzkapelle und
kam so nach London. Dort studierte ich bei einem klassischen Kontrabassisten
und belegte dann einen Drei-Jahres-Kurs an der Guildhall. Meine
ersten Jazz-Konzerte in London waren tatsächlich Traditional
Jazz in der Art von Louis Armstrong und King Oliver. Von dort kam
ich aber innerhalb von vier verrückten Jahren über den
Bebop bis hin zu Auftritten mit John Surman, Chris McGregor oder
Evan Parker: Musik, die von Ornette, Cecil Taylor und Coltrane beeinflusst
war.
nmz: Passenderweise hast du nach der Zeit bei Miles dann
auch mit amerikanischen Avantgardisten gespielt, mit Anthony Braxton
oder Sam Rivers.
Holland: Ja, zu dieser Art von Musik hatte ich schon in
London gefunden. Aber auch bei den Live-Auftritten mit Miles spielten
wir in der Rhythm Section richtig freie Sachen, Improvisationen
in offener Form. Dann gingen Chick Corea und ich von Miles weg,
wir gründeten die Band Circle. Daraus entstand
auch meine erste Leader-Platte, Conference of the Birds:
Das waren drei Viertel von Circle plus Sam Rivers
statt Chick Corea.
nmz: Das heißt, es gibt einen musikalischen Faden,
der von Conference über das erste Quintett bis
zu deiner aktuellen Formation führt?
Holland: Absolut. Die Melodien sind immer noch ganz genauso,
nur die Ausarbeitung ist etwas anders.
Diskografische Empfehlungen
Dave
Holland Quartet 1972: Conference of the Birds Dave
Holland Quintet 1984: Seeds of Time Dave
Holland Quintet 1999: Prime Directive (alle: ECM/Universal)