Eine weitere Rekonstruktion der d-Moll-Toccata von Johann Sebastian
Bach
Nun neigt sich das Jahr 2000 dem Ende entgegen und mit ihm die
ausführlichen Feierlichkeiten zum 250. Todestag des wichtigsten
deutschen Barock-Komponisten, Johann Sebastian Bach. Und wie kein
zweites Jahr hat dieses eine ganze Reihe von neuen Erkenntnissen
über den Leipziger Thomaskantor gebracht, als hätten es
die Musikforscher darauf angelegt, dem alten Herrn noch ein paar
neue Ansichten abzugewinnen.
So
ist in diesen Tagen ein Buch des deutschen Cembalisten und Dirigenten
Siegbert Rampe und des Schweizer Musikwissenschaftlers Dominik Sackmann
erschienen, denen die lange Zeit als schwierig bis unmöglich
angesehene Datierung der Bachschen Orchesterwerke gelungen
sein soll. Und jüngst betrat der Franzose Bruce Fox-Lefriche
die Bühne der Bach-Entschlüssler und präsentierte
der Öffentlichkeit seine Version der weltberühmten Toccata
und Fuge d-Moll BWV 565 (Les Editions Musicales Regia No. 5631).
Damit ist der Franzose der bislang letzte einer langen Reihe von
Musikforschern, die dem ungelösten Geheimnis des wohl bekanntesten
Orgelstücks der gesamten Literatur auf den Grund gehen wollen.
Fox-Lefriches Rekonstruktionsversuch ist der zu diesem Zeitpunkt
werbetechnisch wohl am geschicktesten platzierte, zumal er in Deutschland
nur über das Internet zu beziehen ist. Er versucht nachzuweisen,
dass es sich bei Toccata und Fuge in d-Moll um die Orgelbearbeitung
einer Violinsonate in a-Moll handele, die beide nicht von Bach stammten.
Zu häufig träten Ungereimtheiten in Stimmführung
und Tonsatz auf, zu simpel sei die dramatische Anlage des Stückes,
als dass es originaler Bach sein könnte. Und es sei schon verwunderlich,
dass niemand auf diese offensichtliche Idee gekommen sei, so der
Franzose in seinen Erläuterungen.
Fragen lassen muss sich Fox-Lefriche jedoch, ob seine Idee wirklich
so neu und einzigartig ist. Besonders die Argumente für seine
Fassung decken sich erstaunlich wörtlich mit denen des Rekonstruktionsversuchs
von Jaap Schröder, und der ist immerhin schon fünfzehn
Jahre alt. Dem Plagiatsvorwurf weicht er jedoch durch eine leicht
unterschiedliche Notenfassung aus, die im Gegensatz zur Schröder-Version
eine größere Nähe zur überlieferten Fassung
aufzuweisen scheint.
Die Zentren deutscher Bachforschung sehen solche Rekonstruktionsversuche
mit einer Mischung aus Neugier und Distanz. Ulrich Leisinger vom
Bach-Archiv in Leipzig verweist auf die mehr als ungesicherte Quellenlage
des Werkes. Angesichts des Fehlens einer Partitur, die sicheren
Rückschluss auf Komponist und Entstehungszeit zulässt,
sei natürlich den Spekulationen Tür und Tor geöffnet.
Solange diese Spekulationen aber sinnvolle Beiträge zur musikalischen
Literatur nach sich zögen und nicht den Anspruch erhöben,
sie seien die einzig richtige Lösung des Problems, sei nichts
dagegen einzuwenden, so der Musikwissenschaftler.
Also bleibt doch alles beim Alten. Die Forscher hoffen auf die spektakuläre
Entdeckung der Originalnoten, während die Musiker sich in Bearbeitungen
von Bearbeitungen versuchen. Dabei gibt es genug echten
Bach, der musikalisch weitaus interessanter ist. Warum also in die
Ferne schweifen, wenn Toccata, Adagio und Fuge C-Dur BWV 564 liegen
so nah?