Bei den diesjährigen Darmstädter Ferienkursen gab der
englische Pianist Nicolas Hodges ein viel beachtetes Konzert mit
den rund dreiviertelstündigen Etudes en série
von Bill Hopkins. Es war das erste Mal, dass das Werk außerhalb
Englands erklang und wohl das erste Mal überhaupt, dass ein
internationales Publikum dem Namen des Komponisten begegnete.
Wer war Bill Hopkins? Geboren 1943 in Prestbury (Cheshire), begann
er schon als Schüler mit seriellen Experimenten, besuchte dann
einen Kompositionskurs bei Nono an der Dartington Summer School
und studierte in Oxford unter anderem bei Egon Wellesz. Ende 1964
ging er mit einem Stipendium nach Paris, wo er als Hörer in
die Klasse von Messiaen aufgenommen wurde, bei Jean Barraqué
Privatunterricht nahm und Heinz-Klaus Metzger begegnete, der ihn
mit dem Werk Samuel Becketts bekannt machte. Der knapp halbjährige
Paris-Aufenthalt wurde zum Auslöser einer Reihe von Werken,
unter denen die Etudes en série, komponiert zwischen
1965 und 1972, den Rang eines Hauptwerkes einnehmen. Zurück
in England lebte er isoliert und schrieb nur noch eine Handvoll
Werke, bis ihn 1981 der Tod in Form eines Herzschlags ereilte.
Zeitgleich mit der Darmstädter Premiere veröffentlichte
Nicolas Hodges die Etudes en série zusammen mit
anderen Klavierwerken von Hopkins nun bei col legno. Der Pianist,
der sich bisher als Einziger an die horrend schwierigen Werke heranwagte,
hat auch die informativen Kommentare im Begleitheft verfasst. Mit
seinem Engagement empfiehlt er sich als effizienter und überaus
kompetenter Anwalt der Musik des bisher weitgehend unbekannten Komponisten.
Die Etudes en série sind luzid und mit viel Sinn
für subtile Klangvaleurs komponiert Eigenschaften, die
unter den Händen von Hodges, der Debussy und Sciarrino zu seinen
Favoriten zählt, besonders gut zur Geltung kommen. Als seriell
durchorganisiertes Werk sind sie vollgepackt mit den charakteristischen
Schwierigkeiten, die man schon aus den Structures und
der dritten Sonate von Boulez oder von Barraqués monumentaler
Sonate her kennt: eine komplexe Polyphonie, weite Sprünge,
funkelnde Ton- und Akkordkaskaden, die sich über den ganzen
Tonraum erstrecken.
Das alles ist unverkennbar vom abstrakten Strukturdenken des Serialismus
geprägt. Doch macht sich in ihnen ein neuer Ton bemerkbar.
Ein Hauch von flüchtiger Eleganz durchzieht die Musik. Die
strenge Polyphonie löst sich manchmal in eine fluktuierende
Bewegung auf, die sich wellenförmig über den Tonraum ausbreitet,
sich in Arabesken kristallisiert oder zu dramatischen Verdichtungen
führt. Über längere Strecken hervortretende Basis-
oder Spitzentöne schaffen eine flächige Harmonik, die
die Form erkennbar gliedert. Auf hohem Abstraktionsniveau bilden
sich somit immer wieder narrative Elemente heraus Orientierungspunkte,
die das Ohr dankbar zur Kenntnis nimmt. Gut möglich, dass diese
außergewöhnliche Ausgrabung den Anfang für eine
breitere Rezeption des vergessenen englischen Serialisten macht.
Max Nyffeler
Bill Hopkins: Complete Piano Music (Etudes en série; Ebauches).
Nicolas Hodges, Klavier Col legno WWE 1CD 20042