Cellisten dürften sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit
seitens der Komponisten und der Verleger beklagen. Immer wieder
bringt der Paketbote Neuheiten ins Haus, die indes nicht immer zu
überzeugen vermögen. Schon äußerlich ansprechend
ist Die 4 Temperamente für Cello und Klavier op.
175 von Heinz Kratochwil (Doblinger Wien, Dob 03 821) mit vier Zeichnungen
des Pianisten von Wilhelm Busch.
Heinz Kratochwil
Kratochwil (19331995) bezeichnete sich selbst als kompositorischen
Grenzgänger und fuhr fort: Ich bin absolut kein (...)
Typ, der nur eine ganz bestimmte Richtung gelten lässt (...)
Seit jungen Jahren versuche ich eine Synthese aus Alt und Neu, aus
E- und U-Musik zu verwirklichen (...), verflechte ich kirchentonale
Melodik, klassische Polyphonie, expressive Harmonik, dodekafone
Strukturen, jazzige Rhythmen und avantgardistische Techniken zu
einem neuen Ganzen. Das ist für ein knapp zehnminütiges
Stück ein bisschen viel auf einmal... Die 4 Sätze tragen
die bekannten Überschriften, eine Coda nach Sanguinisch
rekapituliert noch einmal Elemente aller vorhergehenden Sätze.
Sowohl dem Cellisten als auch dem Pianisten werden neue Spieltechniken
abverlangt, letzterer möge sich einige Basssaiten markieren,
damit er sie gezupft finde, und vergesse auch zwei Xylophonschlägel
nicht. Das Stück lohnt aber sicher eine Annäherung, es
passt gut in bestimmte Themen-Programme und mit einigem Witz kann
man dem Polystilisten Kratochwil Effekt abgewinnen.
Martin Herchenröder
Eine ganze Generation jünger ist Martin Herchenröder
(geb. 1961), der sich Gedanken über den Tod gemacht hat: Stücke
über den Tod für Cello und Klavier (Tonger Köln,
PJT 2565). Es sind zwei Stücke mit den Titeln Thanatos
und Mneme. Zu Thanatos vermerkt der Komponist:
[so] nannten die Griechen der Antike den Tod (...), er wurde
dargestellt als Jüngling mit Fackel. Es bedarf keines großen
Erinnerungsvermögens, um sich klarzumachen, welch grauenvolle
Perversion dieses Bildes unsere Zeit bietet (...): Der Tod heute
(...) rafft seine Opfer hin, atomar, brandstiftend, ethnisch säubernd;
die Fackel, in deren Schein der Grieche ins Reich der Schatten geleitet
wurde, ist selbst zum Mordinstrument geworden. Zum Glück
habe ich das Stück vor der Lektüre des Vorwortes durchgefingert:
Von solcher Gedankenschwere war eigentlich nichts zu merken. Meine
Fragen sind schlichterer Natur: wie zum Beispiel spielt man eine
Dreiviertelnote mit der Bezeichnung: Kna-cken; die
Saite mit übergroßem Druck auf den Bogen streichen; es
entsteht ein Knackgeräusch? Wieso fehlt in der Cellostimme
der 2. Satz völlig? Wer hat (das Lektorat darf sich angesprochen
fühlen!) die Schlüsselsetzung verbrochen? Zugegeben: Reichlich
banale Einwände gegen das apokalyptische Gedankengebäude
zur Stützung der Stücke über den Tod. Das zweite
Stück, Mneme, steht für die allmähliche
Zersetzung von Bewusstsein im Erleiden des Todes. Die (...) Ungeheuerlichkeit
unserer Mordmaschinerie bekommt erst hier ihre volle Dimension:
Wenn schon ein Tod soviel Leben, Erleben, Bewusstsein, Weisheit,
Liebe auslöscht, was zerstört da das kollektive Morden?
Der Rezensent sinniert und schweigt.
Wolfgang Hildemann
Aus demselben Verlag kommt eine Sonata da chiesa IV
(Tonger Köln, PJT 2735) des aus Cheb stammenden Wolfgang Hildemann
(19251995). Dieses Stück darf allein schon wegen seiner
Besetzung Cello und Orgel Interesse beanspruchen.
Es zählt zu einer Reihe von Kompositionen für ein Melodieinstrument
mit Orgel und hat 4 Sätze: In modo chorale, Turbae, Praefatio,
Elevatio. Vielleicht außer dem Satz Turbae ist es nicht besonders
schwer zu spielen, dafür sehr dankbar. Insbesondere die letzten
beiden Sätze entwickeln ein sehr schönes Kolorit. Dankbar
erkennt der Rezensent an, dass der langjährige Schulmusiker
Hildemann ein sicher nicht hoch bedeutendes, aber gut spiel- und
verwendbares Werk geschrieben hat, das auch ganz ohne ideologischen
Überbau auskommt.
Paul Lewis
Last and least soll noch ein kurzes Stückchen erwähnt
werden mit dem Titel In Memoriam Jacqueline du Pré
für Cello und Klavier von Paul Lewis (Simrock Hamburg, EE 4035).
Das Gehaltvollste dieses Werkes ist sicher die geniale englische
Cellistin im Titel. Seichte Harmonien und ein penetrant werdendes
Triolenmotiv dominieren das Elaborat. Immerhin gibt es Ausdrucks-
und Tempowechsel; warum aber die letzte Bezeichnung ausgerechnet
jubiloso heißt, bleibt des Autors Geheimnis.