Punk, New Wave, Hiphop, Independent-Szene in der DDR 1980-1990, herausgegeben
von Ronald Galenza und Heinz Havemeister, Schwarzkopf & Schwarzkopf
Verlag GmbH Berlin, 1999, 462 S.
Mit dem Phänomen Punk verbanden sich um das Jahr
1980 auch in der ehemaligen DDR gemeinhin zunächst die spezifische
Haartracht, der ungezügelte Pogo, der Schmuck derber Ketten
und Klingen sowie eine wohl primitive, aber auch rabiate und exzessive
Jugendmusik.
Konfliktfelder diskutieren
Dass derlei im eigenen Lande gedieh, kursierte außerhalb
aller Öffentlichkeit und war eher in Leutzsch, Steinbrücken
und Mockau als im Zentrum der Hauptstadt bekannt, wo Bands wie Wutanfall,
Lattentat oder Freygang höchstens illegal spielten. Anders
als im Urheberland verkam die neue Strömung mit ihren Klängen,
Gesten und Accessoires im Underground östlich der Elbe nicht
zur gängigen Mode sie wurde vielmehr mit staatlichen
Mitteln bekämpft, also als ernsthafter Faktor bewertet, und
sie hat sich intern als Alternative verstanden und zu behaupten
versucht. Ich war Punk aus politischen Überlegungen,
resümiert der inhaftierte Berliner Musiker Michael Horschig
in seinem Erfahrungsbericht, Punk war der Ausdruck meines
Protestes ..., Resultat der Ereignisse aus dieser Zeit. Andere
wie Dieter Ehrlich, Bernd Jastram und André Greiner waren
fasziniert von einer Musik, die alle Regeln ignorierte und sich
auf eine völlige Freiheit des Machens berief. Genau dieses
Konfliktfeld, die Kontroverse zwischen dem Versuch unabhängiger
Kunst und Doktrinen der Staatspolitik möglichst universell
und im Detail zu dokumentieren, ist Anlass und Ziel vorliegender
Publikation. Der Künstler Heinz Havemeister und der Journalist
Ronald Galenza, zwei Zeitzeugen und Beteiligte, haben zu diesem
Zweck Dokumente, Erinnerungen, Interviews, aber auch soziologische
Studien zusammengestellt, die ein plausibles, in sich auch widerspruchsvolles
Gesamtbild der musikalischen Independent-Szene der DDR der 80er-Jahre
ergeben.
Das geringe Sozialprestige der Punks in der Gesellschaft, der
fehlende Rückhalt in der evangelischen Kirche und in den westlichen
Medien so analysiert Literaturhistoriker Klaus Michael, seinerzeit
Mitinitiator von Untergrundpublikationen habe es den Repressionsorganen
leicht gemacht, die zahlenmäßig leicht überschaubare
Szene gezielt zu drangsalieren. Politisierung erwuchs im Regelfall
aus der direkten Konfrontation mit der Staatsmacht: Konzerte wurden
gestört und im Vorfeld verboten, Auftrittserlaubnisse waren
nicht erteilt oder auf längere Zeiten entzogen, Musiker wurden
kriminalisiert und verurteilt, zum Wehrdienst geholt oder auf dem
Ausreise-Weg außer Landes geschafft.
Die Paranoia der DDR in Sachen Jugendmusik erreichte hier eine
qualitativ neue Form. Anders als noch Mitte der 70er-Jahre im Falle
der Combo Klaus Renfts, ging es nicht mehr um poetisch-intellektuelle
Systemkritik. Bezüglich des Punk war zu verhindern, dass ein
Lebenskonzept um sich griff, das Rebellion gegen grundlegende Normen
des bürgerlichen Alltags und auf geringstem Niveau soziale
Gleichheit verhieß.
Ausnahmezustand
Der Untergrund trotzte, die Aktivisten der Szene so der
Lyriker Papenfuß-Gorek haben sich mit ihrem Körper
bekannt und, wie Klaus Michael schreibt, im permanenten
Ausnahmezustand gelebt. Kleinste Punk-Enklaven wuchsen im
Thüringer Raum, in Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt, im proletarischen
Süden Berlins und in der Bohème des Prenzlauer Bergs.
Die Mehrzahl der kurzlebigen, musikalisch oft dilettierenden Bands
favorisierte das Happening; im Einzelfalle wurde in illegalen, technisch
primitiven Studios auch für die Konserve produziert. Susanne
Binas, ehemals Expander des Fortschritts, unterstreicht in ihrer
Studie, wie wichtig die unabhängige, private Homerecording-Bewegung
war, deren Produkte (nachgewiesen von immerhin gut 150 Bands) in
geringer Stückzahl in der Szene kursierten und gelegentlich
auch über die Frequenzen des RIAS und zuletzt sogar des DDR-Jugend-Radios
DT 64 zu hören waren.
Kulturgeschichtlich ist das Punk-Konzept übrigens auch von
Belang, wo es sich im Underground von Leipzig, Berlin oder Dresden
mit der Bohème anderer Künste berührte. Beispielsweise
in den Freejazz-Exkursen der Dresdener Maler Helge Leiberg und A.R.
Penck, im Falle Frank Bretschneiders Audio-Art, in Gestalt der literarisch
motivierten Aktionen von Peter Wawerzinek und Tohm di Roes.
Papenfuß-Gorek erinnert an eine ästhetische Sprengkraft,
die, doppelt frei von Markt und Staatsideologie, in der Begegnung
der Künste radikalste Formen erzwang. In der Verbindung mit
Live-Acts von Performern, Malern, Tänzern und alternativen
Literaten geriet Punk made in G.D.R. im Einzelfall so
zur Angelegenheit der Avantgarde.
Ausgerechnet der Skinhead-Überfall im Oktober 1987 auf ein
Punkkonzert in der Zionskirche im Berliner Prenzlauer Berg geriet
zum Wendepunkt. Anders als zuvor griffen Polizei und Staatssicherheit
nicht mehr direkt in eine Veranstaltung ein, Musiker und Fans erklärte
man plötzlich zu Opfern, in der Folge wurde zwischen Punks
und Skins unterschieden und im Land formulierte sich
ein nicht ganz folgenloser Protest gegen rechte Gewalt. Der Vorfall
läutete jedoch auch jene Auflösung ein, die die Subkultur
mit ihrem Staat, der sie terrorisierte, am Ende verband. In Ermangelung
jeder Art Ökonomie und Infrastruktur, aber auch nach dem Fortfall
des gemeinsamen sinnstiftenden Feindbilds, so resümiert am
Ende der Lektüre Wolf Kampmann, bestand für die ostdeutsche
Punkmusik in den Strukturen des westlichen Markts ganz objektiv
keine Überlebensnotwendigkeit.