Akustische Kunst: das Kulturreferat München und sein Projekt
t-u-b-e
Die Ursprünge der relativ jungen Gattung akustische Kunst,
die erst seit den 80er-Jahren größeren Anklang bei Publikum
und Produzenten findet, liegen im futuristischen Manifest des Italieners
Luigi Russolo, das er bereits 1913 aufstellte. Darin kommt zum ersten
Mal das Geräusch, O-Töne oder künstlich erzeugt,
als Gestaltungsmittel vor, als Material für künstlerische
Schaffensprozesse. Aber erst in den 70er-Jahren entdeckten meist
Hörfunkredakteure und Rundfunkanstalten in Deutschland die
Möglichkeiten einer spannenden Form, die als Bastard zwischen
Neuer Musik, Hörspiel und futuristischem Klängeerzeugen
das Interesse der Öffentlichkeit weckte. Aus verschiedenen
Strängen haben sich vor allem die Formen der Klanginstallation,
der Audio-Performance und der radiophonen Kunst herauskristallisiert.
Gerade
in letzter Zeit lässt das In teresse der Rundfunkanstalten,
in den 80ern noch Vor- und Wegbereiter, an dieser Kunstgattung jedoch
nach, niemand weiß etwa, was nach der Pensionierung des 70er-Jahre-Pioniers
Klaus Schöning mit seinem Studio für akustische
Kunst beim WDR passieren wird. Oft fehlen die Mittel, der
Etat und die Orte für die Produktion im öffentlich-rechtlichen
und gigantisch teuren Rundfunkapparat.
Hier setzt ein Projekt des Kulturreferates München ein: t-u-b-e,
so der klingende Titel dieser Galerie für radiophone Kunst,
Installationen und Audio-Performances mit festen Räumlichkeiten
im Haidhausener Einstein-Kulturzentrum. Kulturreferent Christoph
Höfig will zusammen mit seinen Kuratoren Ulrich Müller
und Jörg Stelkens eine möglichst große Bandbreite
unters Volk bringen. Künstler sollen hier abseits der Rundfunkanstalten
die Möglichkeit zum Produzieren, Ausprobieren und Aufführen
ihrer akustischen Kunstprodukte haben. Neben dem Abspielen von bereits
vorhandenen Produktionen soll also mit den Performances auch der
Live-Aspekt nicht zu kurz kommen.
Harte HÄngste steht als eine Art Oberthema über
der ersten Saison, die im Juli mit Klanginstallationen Sarah Neumeisters
und Sibylle Wagners, Vorträgen und Gesprächen eröffnet
wurde, was nicht bedeuten soll, dass die Künstler ausschließlich
zu diesem Oberbegriff liefern müssen, sondern die Ängste
sind als eine Art Focus auf einen bestimmten Themenkomplex gedacht.
Die Kunstschaffenden können sich auch dagegen stellen,
sich daran reiben, Stellung beziehen, so Christoph Höfig,
auf diese Weise soll nur ein Gemischtwarenladen vermieden
werden, der auch keinem Festival gut tue. Die Arbeiten sollen sich
in eine gesellschaftliche Situation einordnen, in das Grundthema
Ängste also, die innerhalb der modernen Gesellschaft entstehen
durch Leistungsdruck, durch die Auflösung von Rollenverständnissen,
und das In-Frage-Stellen gesellschaftlicher Normen.
Kein kurzes Strohfeuer
Die Herbstspielzeit nach der Sommerpause wurde etwa mit einem Vortrag
von Wolfgang Korb vom Saarländischen Rundfunk zum Thema radiophone
Kunst eröffnet. Ein bunt gemischtes Publikum fläzte sich
auf den roten und grauen Kissen auf improvisierten Bühnenteilen.
Das zweite Saisonthema des Jahres ab Januar werden Rituale sein:
vom Sport bis hin zum Tod sollen hier gesellschaftliche Gewohnheiten
aufgezeigt werden, innerhalb derer sich der moderne Mensch so selbstverständlich
bewegt, dass er solche Situationen gar nicht mehr als Rituale erkennt.
Der Name t-u-b-e ist dreifach motiviert: einmal von den Räumlichkeiten
die Galerie ist in einem ehemaligen Brauereikeller untergebracht,
der schon als Theater diente und die Form eines Tunnels aufweist
, zum Zweiten gibt er einen Hinweis auf den räumlichen
und künstlerischen Untergrund in Anlehnung an die
Londoner U-Bahn (the Tube), und im Englischen wird das Wort tube
auch für die Röhre verwendet, die als Verstärker
für die Radioröhre diente, technologisch der Ausgangspunkt
für alle weiteren Entwicklungen, die die radiophone Kunst seitdem
erfahren hat.
Seit August 1999 ist das Einstein-Kulturzentrum in städtischer
Hand, und Höfig und sein Kollege Christoph Schwarz wollen mit
t-u-b-e ein Projekt realisieren, das neben dem Jazzclub Unterfahrt
ebenfalls einen täglichen Betrieb mit sich bringt. Kein kurzes
Strohfeuer soll hier geschürt werden, sondern die Besucher
sollen Gelegenheit haben sich über eine unbegrenzte Zeit mit
einer Kunstform auseinander zu setzen.
E-Musik-Komponisten wie Heiner Goebbels treffen hier auf Musiker
und DJs wie zum Beispiel 48Nord, die aus einer ganz anderen Ecke
kommen. So ergeben sich aufregende Perspektiven, die die Neue Musik,
Jazz, Pop und den Medienkunstbereich verbinden. Abseits des Alltagsgeschäftes
mit Gig hier, Auftritt da könnten Musiker hier
zu einer neuen inhaltlichen Ebene des Schaffens finden. Es gibt
zahlreiche Künstler, die in diesem Bereich bereits sehr aktiv
sind wie etwa die junge Münchner Komponistin Helga Pogatschar
, aber die Möglichkeiten, mit ihren Produkten öffentlich
in Erscheinung zu treten, sind verschwindend gering. Deshalb liegt
es Höfig am Herzen, hier einen Ort zu schaffen, wo das Thema
dauerhaft präsentiert werden kann. Auch die Produktionsmöglichkeiten
und -mittel sollen innerhalb der t-u-b-e demokratisiert, das heißt
zur allgemeinen Verfügung gestellt werden, was inzwischen gut
zu realisieren ist, denn was früher hinsichtlich Hard- und
Software eine Million kostete, ist heutzutage bereits für etwa
50.000 Mark zu haben. Entscheidend sei auch, dass wir einen
Raum haben, der funktioniert, man hat Raumakustik, man kann unterschiedlichste
Konstellationen aufbauen, und die Produzenten können mit und
in dem Raum sofort arbeiten.
Das Kulturreferat München will so auch eine allgemeine deutschlandweite
Entwicklung anstoßen und eine Perspektive aufzeigen, die unendlich
wichtig sei: Da liegen echte Zukunftslinien vor unseren Augen,
eine interdisziplinäre Geisteshaltung ist von vornherein impliziert.
Um die akustische Kunst auch außerhalb der t-u-b-e zu verbreiten,
wolle man auch das Thema Internetradio einbeziehen und nutzen.