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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 36
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Unter dem Himmel von Los Angeles
Peter Sellars inszeniert in Paris die Oper El Niño
von John Adams
Passender als mit dem Projekt Bach 2000 hätte
das Jahrtausendende nicht begangen werden können, um umfangreich
auch an den oft verloren gelaubten Moralkodex christlicher Prägung
zu erinnern. Doch der missionarisch-religiöse Eifer ist bis
in die Musik des 20. Jahrhunderts hinein nie ganz ausgeblendet worden.
Sei es nun im Spätwerk Igor Strawinskys oder Franz Schmidts,
dessen Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln erst kürzlich
durch Nikolaus Harnoncourt beeindruckend rehabilitiert worden ist.
Oder bei Olivier Messiaen mit seiner Franziskus-Oper
und in György Ligetis Apokalypsen-Fantasie Le Grand Macabre,
die zu den jüngeren, wenngleich unterschiedlichen Musiktheater-Prozessionen
gehören. Und denen sich auch Peter Sellars bereits angenommen
hat. Hier als ein reduziertes Regie-Gebet, dort über surrealistische
Regie-Ingredienzen.
Nicht lange musste er jetzt auf das Abschluss-Tableau für
sein eklektizistisches Bibel- Triptychon warten. Geliefert wurde
es von John Adams, der seinen selbstverliebt bastelnden Kollegen
aus dem Minimalismus-Kolleg schon immer gerne herzerfrischend auf
der Nase rumtanzt. Und der erfolgreich mit den Opern Nixon
in China und Death of Klingelhoffer den langen
Atem seiner weit reichenden Doppelbödigkeit und Vielfarbigkeit
demonstrierte.
Unendliche Bewegungsfluten:
Das Modern Dance Trio in John Adams Oper El Niño.
Foto: Marie-Noelle Robert
Ganz so munter geht es aber in dem Zwei-Akter El Niño
(Die Geburt) nicht zu, der im Pariser Théâtre
du Châtelet uraufgeführt wurde. Schließlich dreht
sich alles um die Mütter dieser Welt, für die stellvertretend
niemand anders als Maria herhalten muss. Weshalb auch das Libretto
aus der Rippe des Neuen Testaments geschnitten wurde, angereichert
von Mythenschreibungen von unter anderem Hildegard von Bingen, altenglischen
Mystikern und der mexikanischen Schiftstellerin Rosario Castellanos.
2.000 Jahre Menschheits-, genauer: Frauengeschichte also, in denen
das Familienglück oft genug mit Füßen getreten worden
ist.
Was lag da näher, als die Legende von Maria und Joseph in
ein Roadmovie von heute zu verpacken. Wobei Adams und Sellars nur
ihre kalifornische Haustür zu öffnen brauchten, um genügend
Wind vom alltäglichen Straßenkampf zu bekommen. Auf einer
Filmleinwand erzählen sie dann die Geschichte von einem Latino-Paar,
das die Frucht ihrer Liebe in einem schäbigen Hinterhof zur
Welt kommen lassen muss. Um dann Highway und Strand zu ihrem Zuhause
zu machen. Begleitet von einer kleinen Freak-Gemeinde und drei Cops
in der Rolle der Hirten, die am liebsten entrückt den Sternenbahnen
folgen. Wenn sie nicht gerade voller Pathos ein Tränchen verdrücken.
Das ist die photogen abgelichtete Wirklichkeit. Die Kunst spielt
sich hingegen auf einer Bühne ab, auf der mit geringstem inszenatorischem
Aufwand der entsprechende Soundtrack geliefert wird.
Die in Freizeitkleidung gewandete Dawn Upshaw wechselt sich mit
Lorraine Hunt-Lieberson in der Rolle der Maria ab, während
Willard White in Jeans und muskelbetonendem T-Shirt der fürsorgende
Joseph wie der bärbeißige Herodes ist. Da aber der Aktionsradius
dieser unterforderten Sängertrias auf die reine Kommentierung
eingeengt ist, bietet ein Modern-Dance-Trio unendliche Bewegungsfluten.
Als ein Werden und Vergehen choreografiert, mal in einer ausgedörrten
Landschaft plaziert, mal als Bühnenfüller. Oder gleich
als synchroner Pas de Six.
So harmlos das alles ist, so frappant ist die Halbwertzeit der
Partitur. Natürlich kann Adams nicht umhin, mit Motiven aus
der Gregorianik und ein bisschen Fugen-Rhetorik den Bogen ins Gestern
zu schlagen. Aber von seiner bisweilen aus der Ferne aufgesuchten
Nähe zu Charles Ives ist nichts mehr zu hören. Stattdessen
macht Adams nur gepflegte Miene zu diesem Krippenspiel made in USA.
Das Vokale überlebt nur knapp die Überdosis an strahlender
Emotion und elegischer Anmut. Das Deutsche Symphonie-Orchester muss
derweil die oft atemlos dahinziehenden Repetitionen, den bis auf
den letzten Tropfen ausgepressten Melodiensaft und die wenigen Jazz-Sidesteps
neu sortieren. Was unter seinem Chefdirigenten Kent Nagano wenigstens
in eine versöhnliche Transparenz mit Rückgrat umschlägt.
Dieser Statur fehlt es Sellars hingegen auf ganzer Linie, kommt
die politische Brisanz doch kaum über das Niveau eines noch
nicht mal herzerwärmenden Sozio-Kitsch-Musiktheaters hinaus.
Bis in das Finale hinein, wenn Sellars seinen letzten Hoffnungsschimmer
mit einem leicht bekleideten Mädchen-Chor formuliert. Auf dass
diese jungfräulichen Knospen als potenzielle Mütter von
morgen eine etwas rosigere Zukunft erwarten möge. Amen.