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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 35
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Der Tod ist ein Wiener, das Vergängliche gehört uns
allen
Jelinek, Neuwirth, Bienert: Der Tod und das Mädchen
II auf der EXPO in Hannover
Musste sich auch die EXPO in Hannover von einer Verlustwarnung
zur anderen hangeln und gingen auch schon die Rotstifte beim Schreiben
der Bilanzen aus, gab es dennoch Gewinne zu verbuchen. Sie lagen
insbesondere auf dem Sektor der Darbietungen. Es gab zum Beispiel
eine Reihe höchst interessanter musikalischer Uraufführungen.
Sehr bemerkenswert war ein Projekt der Komponistin Olga Neuwirth
mit Elfriede Jelinek und dem Choreografen Roger Bienert, das in
einer Koproduktion mit dem Staatstheater Saarbrücken und dem
Karlsruher Medienzentrum entstand.
Man sagt den Österreichern und speziell den Wienern nach,
dass sie verlogen seien. Gemeint ist damit zumeist, dass sie nicht
das sagen, was sie eigentlich meinen. Bernd Roger Bienert, der Ballettchef
des Staatstheaters Saarbrücken, ist selbst Wiener und sieht
dies ähnlich. Er bezeichnet es als eine spezielle Wiener Eigenart,
etwas zu sagen und vielleicht auch noch etwas anderes damit
zu meinen. Etwas Tieferes, Langlebigeres. Bienert hat dies
formuliert im Hinblick auf die Literatur der Wienerin Elfriede Jelinek,
mit der er schon wiederholt zusammengearbeitet hat. Nun hat er in
Koproduktion mit dem Zentrum für Medientechnologie Karlsruhe
und dem Kulturprogramm des Deutschen Pavillons ein Ballett über
Elfriede Jelineks Text Der Tod und das Mädchen II
kreiert. Als Dritte im Bunde wurde die österreichische Komponistin
Olga Neuwirth um Musik gebeten. Elfriede Jelinek hat in ihrem für
Bienert geschriebenen Text das Dornröschen-Märchen in
unsere Zeit versetzt und in der ihr eigenen bilderreichen, Assoziationen
freisetzenden Sprache bearbeitet. Ihr Text ist in ein wienerischer
Diskurs über das unbestimmbare Verhältnis von Tod, Scheintod,
Schlaf und Leben, und damit auch über Ewigkeit und Vergänglichkeit.
Und genauso wie die Österreicher allgemein gerne über
den Tod reden, aber nicht nur diesen meinen, so sind auch bei Jelinek
noch andere Bedeutungsebenen wahrnehmbar. Jelineks Text zielt auch
auf die von Macht geprägten Beziehungen der Geschlechter und
auch auf eine politische Bedeutungsebene. Ihr Text hat ein Doppelgesicht,
wenn nicht gar ein Mehrfachgesicht. Er meint eigentlich immer zusätzlich
noch etwas anderes als das, was er vorgibt.
In der Umsetzung dieses Textes als Ballett begaben sich alle beteiligten
Künstler, also sowohl Komponistin als auch Choreograf und auch
Bühnenbildner auf die Suche nach einer adäquaten, das
heißt ähnlich mehrgesichtigen künstlerischen Sprache.
Von besonderem Interesse ist dabei, wie Olga Neuwirth mit diesem
Text umgegangen ist.
Olga Neuwirth hat eine Tonbandkomposition geschrieben, in der sie
zumeist Computerklänge verarbeitet. Zugleich aber verwendet
sie auch elektronisch verzerrtes Klangmaterial eines Streichquartetts,
einer Flöte oder eines Cellos. Durch diese geräuschhafte,
eine Art Klangkruste bildende, computergenerierte Musik bricht immer
wieder eine zweite Musikschicht durch. Dann kristallisieren sich
harmonisch vertraute Zusammenhänge heraus und es entstehen
rhythmisch ungemein zwingende Abläufe. Eine weitere Ebene in
Neuwirths Komposition besteht zudem in der konkreten Verarbeitung
des Jelinek-Textes. Diesen hat sie, zum großen Teil von Hanna
Schygulla und Anne Bennent auf Band sprechen lassen und auf vielfältige
Weise mit dem Computer bearbeitet. Mit großem Gespür
für die Sache Jelineks und für deren dramaturgische Möglichkeiten
lässt sie beständig das Verhältnis von Text und Musik
zwischen Vordergrund und Hintergrund hin und her wechseln. Ist der
Text im Hintergrund, bleibt er zumeist unverständlich, vermittelt
vorwiegend die Emotion des Textes. Wird der Text aber in den Vordergrund
geholt, wird deutlich, dass Jelineks Sprache vergleichbar zugespitzt
wirken kann wie Boitos Sprache bei Verdi. Das ständige Changieren
zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen-Können erweist sich
als raffiniertes dramaturgisches und musikalisches Gestaltungsmittel.
Neuwirth schafft dabei Klangräume zwischen Realität und
Irrealität, die der Thematik des Stückes in hohem Maße
gerecht werden.
Die so kreierten literarisch-musikalischen Klangräume wurden
von Bernd Roger Bienerts Bewegungssprache zu einer faszinierenden
Theaterdimension erweitert.
Bienerts Figuren scheinen zunächst von fremder Hand gelenkt
zu sein. Wie in Trance bewegen sich seine Tänzerinnen und Tänzer
mit fast geistesabwesend anmutender Weichheit, dabei aber mit kaum
zu übertreffender Ausdruckskraft.
Im Verlauf des Stückes jedoch tritt in Text, Musik und Bewegungen
die Ebene der Realität mehr in den Vordergrund. Und dann wird
auch Bienerts Körpersprache realistischer, manchmal gar aggressiv.
Bienerts Körpertheater wandelt sich zu einem Tanztheater, das
tatsächlich aus rhythmisch geprägten Klangvorgaben solche
Bewegungen formt, die man mit der klassischen Bezeichnung als Ballett
assoziiert. Zusammen mit seinen vorzüglichen Tänzerinnen
und Tänzern, allen voran die außerordentlich intensive
und sinnliche Emma Gustafson, ist den Saarbrückern ein Ballettabend
gelungen, um den sie zu beneiden sind.