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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 37
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Auf allen Fluren und Treppen
Helmi Vents Raum-Theater in Frankfurt
Ein Mann versucht verzweifelt, eine Treppe zu ersteigen: Die Füße
setzt er auf die falsche obere Stufe, mit den Armen zieht er mühsam
den waagerecht liegenden Körper nach. Der Aufstieg fällt
schwer. Die Szene könnte aus einem Stummfilm stammen. Wie soll
man wissen, wie eine Treppe zu benutzen ist, wenn man noch nie eine
gesehen hat. Schließlich aber, nach vielerlei Mühsal
und einem Absturz à la Ikarus erreicht der Mann doch den
höchsten Treppenabschnitt im verwinkelten Eingangsfoyer der
Frankfurter Musikhochschule. Dort hegt ein Gärtner seine Pflanzen
und funktioniert eine Gießkanne zum Blasinstrument um.
Spiel mit den Verschachtelungen,
Treppen, Durchblicken und baulichen Besonderheiten des Foyers
der Frankfurter Musikhochschule: Helmi Vents Raum-Klang-Körper-Theater-Stück
„Auf weiter Flur“. Foto: Charlotte Oswald
Auf weiter Flur nennt die Salzburger Professorin Helmi
Vent ihr Stück. Das Raum-Klang-Körper-Theater hat sie
mit Studenten verschiedener Disziplinen Tänzern, Sängern,
Instrumentalisten und angehenden Musikpädagogen erarbeitet.
Es ist speziell für das Foyer der Musikhochschule mit seinen
Verschachtelungen, Treppen, Durchblicken, Öffnungen, Wänden,
Fenstern und Wegen, die oben ins Unsichtbare führen, angelegt.
Auf der Empore im Erdgeschoss schlängelt sich eine Tänzerin
im Trikot unter der unten offenen Brüstung unablässig
hin und her, schlingt sich um die Pfeiler und stößt gelegentlich
mit dem Kletter-Mann zusammen, der vibrierende, röhrende Töne
ausstößt, aber mit der Situation nichts anzufangen weiß.
Ist die Schlange aus der Schöpfungsgeschichte entflohen? Oder
symbolisiert das kriechende Wesen die Situation der Frau schlechthin?
Für inhaltliche Ausdeutungen bietet Helmi Vents Flur-Stück
manche Anregung. Das aber ist nicht das Entscheidende der Produktion,
die gleichsam in einer prozesshaften Gemeinschaftsleistung entstand.
Der Raum diente als Vorgabe, im Raum entwickelten die Akteure quasi
in freier Improvisation das Spiel.
Musik, Klänge, Geräusche entstanden oft aus den Spiel-Abläufen,
wenn zum Beispiel der Klettermann die Plattenverschalungen der Wände
abklopfte oder mehrfach mit dem Kopf gegen eine Wand anrannte, worauf
ihn der Posaunist beruhigend mit sanften Tönen anblies. Das
instrumentale Theater kehrt in solchen Zusammenhängen gern
immer wieder. Helmi Vents Auf weiter Flur will kein
abgeschlossenes Kunstwerk sein, sondern eine Etüde zur Einübung
in die verschiedensten Kunstgenres, die sich unter dem Oberbegriff
Musik-Theater subsumieren lassen.
Es ist zugleich eine Aufforderung an die Akteure, Fantasie zu entwickeln,
diese im Spiel umzusetzen, sich der eigenen Figur im Raum zu vergewissern.
Manches gerät dabei sehr gelöst, bildhaft, plastisch.
Anderes verharrt noch im Stadium des Tastens, auch der Verlegenheit.
Ein gewisser additiver Gestus überwiegt. Vielleicht müsste
man doch eine präzisere dramaturgische Grundlinie vorgeben,
an der sich die freien Improvisationen orientieren könnten.
Im Prinzip jedoch fördern solche Unternehmungen wie Auf
weiter Flur die Kreativität junger Künstler. Sie
gewinnen Gelöstheit sowie die Einsicht, wie schwierig die Gestaltung
improvisatorischer Freiheiten in der Bühnenwirklichkeit sein
kann.