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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 38
50. Jahrgang | Februar
Oper,
Konzert
Knirschende Zeitebenen: Sean/Nua Alt/Neu
Bericht zum 4. Sligo Festival für zeitgenössische Musik
in Irland
Am Atlantik im Nordwesten der Republik Irland knirschen nicht
nur die Steine, wenn die starke Dünung über sie hinweg
fegt. In Sligo knirschen auch die Zeitebenen: Monumente der Megalihtkultur
und gotischer Baukunst bilden harsche Kontraste in der Muschelstadt
(so die Übersetzung von Sligo). Wohl nicht zufällig
hatte deshalb das 4. Sligo Festival für zeitgenössische
Musik das Motto Sean / Nua: Alt / Neu. Das ist
geradezu extravagant, wenn man bedenkt, dass es in Irland zwar eine
lange Tradition der Folklore, aber keine Geschichte notierter Musik
mit Klassik, Romantik et cetera gibt. Vom 24. bis 26 November 2000
hat der künstlerische Leiter dieses in und für Irland
wachsenden Festivals, der in Hamburg lebende Komponist Frank Corcoran,
versucht, Brücken über die historische Zeitkluft zu bauen.
Indem er den örtlichen Barden Colm ODonnell, der solo
jahrhundertealte Melodien wie auch neue sang, und Schüler der
St. Patricks National School zusammenbrachte. Der hoch motivierte
Laienchor und Musiker der Sligo Town Band führten die von Corcoran
und seinem Kollegen Jim Buckley komponierte Queen Medbs
Megalithic Cantata auf.
Eigenwilliges Profil: ein
neues Festival im irischen Sligo. Foto: Grünefeld
Eine in Europa wohl einmalige Art der Musikförderung genießt
das Vogler Quartett aus Deutschland, das in Sligo für drei
Jahre zu Gast in residence ist. Es präsentierte
Streichquartette aus Vergangenheit und Gegenwart, von Joseph Haydn
das Sonnenaufgang Quartett op. 76 Nr. 4 und,
als Gegensatz, Wander Darkling von Ian Wilson aus Belfast.
Wilson, der sich 1999 in Belgrad während der NATO-Angriffe
aufhielt, reflektiert in dieser Musik seine bedrückenden Erlebnisse
in grellen Vierteltonphrasen und schaurigen Momenten der Ruhe.
Dieser harte Kontrast von alt und neu wurde von Beispielen
der klassischen Moderne, Igor Strawinskys Drei Stücke
für Streichquartett und Anton Weberns Opus
5, sowie, als irischer Premiere, das Quartett Nr. 1
vom Zeitgenossen Wolfgang Rihm gemildert. Mit verblüffender
Sicherheit meisterte das vielseitige Vogler Quartett diesen anspruchsvollen
Gang durch die Musikgeschichte. Bis es die aktuelle Front, auch
im Sinne einer Musikreflexion zum Thema Krieg und Frieden, erreichte.
Denn das Finale war die Welturaufführung von Mutiny of
Angels (Meuterei der Engel). Das Werk von Eunan McCreesh gewann
den 1. Preis für Neue Musik 2000 in Sligo und ist von der Offenbarung
des Johannes inspiriert. In eine fast idyllische Tonwelt brechen
Gewalt und Feindschaft, wohl bezeichnend für traumatische Erfahrungen
in Irland, mit dramatischen tonalen und atonalen Bewegungen ein.
In nur 15 Minuten hat McCreesh den Fall Luzifers, dessen Konflikt
mit Gott in drei kleinen Klang-Szenen montiert.
Werke für Streichquartett bildeten einen Schwerpunkt des Sligo-Festivals,
Werke für Holzblasinstrumente einen anderen. Das Daedalus-Quintett
aus Dublin, das aus Solisten des Nationalen Symphonie Orchesters
besteht und bereits über 20 Jahre zusammenarbeitet, erfreute
das Publikum mit einer eleganten Interpretation der schon klassisch
zu nennenden 6 Bagatellen für Bläserquintett
von György Ligeti aus dem Jahre 1953. Sie prallten auf Sweenys
Wind Cries (Sweenys Wind Schreie) von
Frank Corcoran, ein Auftragswerk des Arts Council und somit eine
Weltpremiere. Elementare Naturlaute messen sich mit lyrischer Klangrede,
die Register der Blasinstrumente werden in Extremen beansprucht,
doch beruhigen sich die Schreie auch wieder. Doch das war nicht
der einzige Auftritt des verrückten mittelalterlichen irischen
Königs Sweeny. Dessen von Nobelpreisträger Seamus Heaney
in Verse übertragene Geschichte hat Corcoran schon zu einem
mehrteiligen Zyklus ausgebaut, der mit Mad Sweeny für
Kammerensemble und Sprecher beginnt. Beide genannten Kompositionen
hatten in Sligo eine sehr positive Resonanz, weil sie nahtlos ins
Konzept alt / neu passten. Und zwar als Erfindung des
Mittelalters in der Musik und als Vertonung des poetischen Erbes
der Nationalliteratur. Wortkunst dieser Art war auch von Gabriel
Rosenstock in seiner englisch/gälischen Lesung von The
Erotic Haiku of Cold Moon zu hören sowie in den wirbelnden
Rezitativen I am wind on Sea, einer Komposition von
Jim Buckley nach alten irischen Poemen. Judith Mok selbst sang diesen
Part für Solo- Sopran und Perkussion wie eine Wasserfee: klar
und wild.
Wir glauben an die Wallfahrt, meinte Una McCarthy,
die für die Organisation verantwortlich war. Der Glaube allein
hatte jedoch nicht Kraft genug, ein zahlreiches Publikum nach Sligo
zu locken. Ein sehr kleines Festival an einem abgelegenen Ort, doch
mit freundlichen, ja familiären Umgangsformen. Vielleicht auch
ein Grund dafür, dass viele junge Leute da waren, vor allem
Studentinnen und Studenten aus Dublin. Sie waren als Instrumentalisten
wesentlich an den Konzerten beteiligt.
Die Sean / Nua Mixtur des Sligo- Festivals hatte sicher
ein eigenständiges und eigenwilliges Profil, ein typisch Irisches
übrigens, das international Beachtung und Anerkennung erwarten
kann. Denn die Neue Musik in Irland ist von hohem Niveau, Komponisten
und Interpreten haben begonnen, eine haltbare Brücke zur Musik
des europäischen Kontinents zu bauen.
Hans-Dieter Grünefeld
Infos:
The Contemporary Music Centre (CMC), 19 Fishamble Street, Temple
Bar, Dublin 8, Republic of Ireland, E-Mail: info@cmc.ie http://www.cmc.ie