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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 34
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Ein Fest, ganz und gar nicht feierlich
Die Münchner Klang-Aktionen in ihrem vierzigsten Jahr
Festivals für Neue Musik gibt es erfreulich viele in Deutschland.
Doch steht hier in der Regel (konventionell besetzte) Orchester-,
Ensemble- und Kammermusik im Mittelpunkt des Geschehens, auch wenn
deutliche Tendenzen der Öffnung in Richtung auf musiktheatrale
Formen, Klanginstallationen und neue Instrumentarien auszumachen
sind. Man blicke etwa nach Donaueschingen, Witten oder Bremen. Eine
Öffnung in diesem Sinne war bei den Klang-Aktionen eigentlich
nie nötig. Als eine der langlebigsten Initiativen gehören
sie auch zu den charaktervollsten Veranstaltungsreihen im Bereich
der Neuen Musik.
Nein, feierlich ging es nicht zu, während des Festivals Klang-Aktionen
00/Neue Musik München 19602000. Und stünde
da statt der 40 eine 50: Feiern, das bedeutete
zu sehr ein Innehalten, womöglich gar verbunden mit nostalgischer
Retrospektion. Das ist wiederum Josef Anton Riedls Sache ganz und
gar nicht. Noch nie gewesen, seit er von Anbeginn dieser Reihe für
Programme und Organisation verantwortlich zeichnet. Wenn hier also
die Rede von Tradition sein soll, dann mit entsprechendem Vorbehalt.
Sicherlich gibt es für die heutigen Avantgarden (jawohl, es
gibt sie noch, wenn auch in der Mehrzahl!) wichtige historische
Anknüpfungspunkte. Und diese waren im Rahmen der Klang-Aktionen
mit einem wunderbaren Cage-Klavierabend von Herbert Henck und Werken
von Scelsi, Ligeti und frühem Steve Reich wie immer auch in
diesem Jahr präsent. Doch zentral ist für Riedls Programme
immer der konsequente Blick nach vorne, verbunden mit der steten
Suche nach und Förderung von jungen, unkonventionelle Wege
beschreitenden Komponisten. Das Insistieren auf dem künstlerischen
Experiment, das Festhalten an der Idee musikalischen Fortschritts,
die Einbeziehung von Schülern in die Aufführung Neuer
Musik, die Aufmerksamkeit für das Randständige, noch nicht
allgemein Bewährte, führte im einen oder anderen Fall
vielleicht tatsächlich zur Präsentation von Unausgegorenem.
Da kann ein Experiment auch einmal umschlagen in eine für den
Hörer kaum durchzuhaltende Anstrengung.
Zither und Karton
Ganz und gar unfeierlich also (sieht man einmal vom Vorwort des
damaligen Kulturreferenten Julian Nida-Rümelin im Programmheft
ab) war man einmal mehr dazu eingeladen, sich an sechs Abenden einzulassen
auf erstaunliche Hör- und Sehabenteuer, die wie es sich
gehört mit viel Vergnügen und auch einiger Anstrengung
verbunden waren. Im Wesentlichen war alles präsent, was diese
Konzertreihe in den vergangenen Jahren immer ausgemacht hat. So
gab es Musik für ungewöhnliches Instrumentarium: E-Gitarre
und Zither, Metronome und Kartons, geschweifte Tuba und Schlagzeug,
pendelnde Mikrofone und Lautsprecher, Musik mit chemischen Tonrauschentladungen
und Körperbewegungen, Spieldose und Uhrenticken, dazu Lautpoesie
und Videoprojektion, Musik auf der Bühne wie auch im Film (an
zwei Abenden wurden filmische Essays von Peider A. Defilla etwa
zu den Komponisten Stache, Goebbels, Riedl, Kagel und Cage gezeigt).
Das alles klingt zunächst eher disparat, wirkt in der Aufzählung
geradezu materialistisch. Doch einerseits waren die Programme wie
gewohnt äußerst schlüssig zusammengestellt, zum
Teil raffiniert durchkonzipiert, so dass sich immer wieder faszinierende
thematische Querbezüge oder untergründige Verwandtschaften
zwischen Kompositionen unterschiedlichster Provenienz ergaben. Andererseits
erschöpft sich der Einsatz des ungewöhnlichen Instrumentariums
eben nie im materiellen Selbstzweck.
Mechanik bis Belcanto
Ein genauerer Blick auf das Programm des Festivals 2000 bringt
einige kompositorische und besetzungstechnische Schwerpunkte zum
Vorschein, die auch die einzelnen Konzerte untereinander in Verbindung
brachten. Bemerkenswert auch die Tatsache, dass mit Lois V Vierk,
Rebecca Saunders, Annette Schlünz und Magret Wolf junge Komponistinnen
prominent vertreten waren. Zwei der Themen, die immer wieder berührt
wurden, waren einerseits die Vorhersehbarkeit musikalischer Prozesse,
andererseits die Frage nach musikalischem Ausdruck. Von einmal angestoßenen
mechanischen Abläufen, wie in Ligetis Poème symphonique
für 100 Metronome (berauschend!) oder Steve Reichs Pendulum
Music (in einer enervierend lauten Realisation durch ein still
vergnügtes Anschubs-Quartett) bis hin zum expressiven Belcanto
in Magret Wolfs vielleicht etwas zu einfach gestricktem Tchinah
für Sopran, Viola und Basszither waren hier alle möglichen
kompositorischen Standpunkte vertreten. In Dror Feilers uraufgeführten
Involuntary Notes für Piccolo, E-Gitarre und Schlagzeug
etwa kippte die expressive Grundhaltung bald in pure Anstrengung
um, mit welcher komplexe rhythmische Abläufe in Verbindung
mit schier erzwungenem Tonmaterial zu koordinieren waren. Der Titel
legt immerhin nahe, dass es sich dabei um einen durchaus erwünschten
Effekt handelt. Gerhard Stäblers durch den italienischen Futurismus
inspiriertes futuressence 1 für Posaune, Akkordeon
und Schlagzeug wirkte durch extrem reduziertes Geschehen bei großer
zeitlicher Ausdehnung ähnlich extrem. Doch wollte sich die
Essenz dieses mehrfachen Wechsels zwischen kargem Linienspiel und
rätselhaften Papierabreißaktionen nicht recht erschliessen.
Lois V Vierks Io für Flöte, Marimbaphon und
E-Gitarre folgte einmal nicht der bei ihr bereits zum Markenzeichen
gewordenen Steigerungsdramaturgie, sondern legte mit kleinen kanonischen
Bildungen, Glissandopassagen und Hawaii-Effekten eher eine lyrische
Gangart ein, dies vor dem Hintergrund minimalistischer, antiexpressiver
Tendenzen. Rebecca Saunders wiederum verbindet in Mollys
Song Shades of Crimson rhythmisch sensibles, warm klingendes
Instrumentalspiel von Altflöte, Viola und Gitarre mit den mechanischen
Klängen von Radios und Spieldose und erzielt damit beim Hörer
bezüglich des Ausdrucksgehalts der Musik eigenartige Irritationen.
Neues von Wolf und Wolff
Ähnlich sensibel ausgehörte, ausgesprochen zarte Musik
wie Saunders boten Martin Smolkas Eight pieces for guitar
quartet, deren auratische Darbietung durch das Ensemble Go
Guitars zu einem der Höhepunkte des Festivals geriet. Das gerade
im Gitarrenensemble rhythmisch unendlich heikle Zusammenspiel, die
feinst ausgehörten mikrotonalen Verschiebungen und für
Smolka typischen Hoketuspartien meisterten die vier Gitarristen
mit Bravour. Überhaupt hatten die gezupften Saiteninstrumente
ihren großen Auftritt. Neben der häufig vertretenen (E-)Gitarre
war es die Zither, die besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Dies
vor allem mit einer spannenden Uraufführung von Christian Wolff:
Sein etwa viertelstündiges Zither Spieler (15 Pieces)
für das global gesehen kaum verbreitete Instrument Altzither
war unter den Händen Georg Glasls ein weiterer Höhepunkt
des Festivals. Entstanden ist ein für Wolffsche Verhältnisse
erstaunlich spielfreudiges Stück von großer struktureller
Dichte, mit teils perkussiver Behandlung des Instruments und Tonbandzuspiel
weiterer Zither-Parts. Im Bereich der Schlagzeugmusik hinterließen
die Komponisten Michael Wertmüller und Peter Manfred Wolf
des letzteren Rand-Erscheinung für Schlagquartett
wurde uraufgeführt einen eher schwachen, die Werke von
Scelsi und Schlünz einen durchaus starken Eindruck.
Kämpfende Hände
Nicht unerwähnt bleiben darf der Leipziger Klangkünstler
Erwin Stache, von dem gleich vier Arbeiten zum Teil erstmals präsentiert
wurden. Seine meisterhaft selbst gebauten Musikinstrumente haben
für sich genommen bereits großen Witz, doch das ist jeweils
nur der Ausgangspunkt für spannende Klang-Aktionen: Ob das
die mit Leuchtdioden versehenen überdimensionierten Dominosteine
sind, deren Augenzahl gekoppelt mit live eingespielten Sprach- und
Instrumentalsamples mittels kleiner Schwungräder verstellt
werden kann (was zum Teil herrliches Kauderwelsch ergibt), oder
verschieden große Kartons, welchen Stache zusammen mit seinem
Kollegen Henry Schneider Luftdrucktöne entlockt, oder
in Aktionen in der Schwebe die an die Decke entschwebenden,
mit ausgehender Luft langsam wieder herabsinkenden pfeifenden Ballons,
oder das fliegende Akkordeon, sozusagen eine Pullman-Version des
Instruments, das Teodoro Anzellotti dann in einem der folgenden
Konzerte virtuos bediente...
Immer horcht und schaut man wie gebannt und stellt erstaunt fest,
dass hässliche Geräusche einem plötzlich zum Schieflachen
und kindlichen Vergnügen gereichen.