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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 33
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Liebesleid der Toten
Uraufführung von Giuseppe e Sylvia
Flüchtig und geheimnisvoll sind die Klänge aus dem Reich
der Toten, das die Lebenden seit jeher angezogen hat. Dunkle Mythologien
wurden um den Ahnenkult gezimmert, auch die Kraft der Religionen
beruht nicht zuletzt darin, den Menschen glauben zu machen, im Jenseits
wende sich alles zum Besseren. Heilserwartungen im Himmelreich wird
man Hans Neuenfels zwar kaum vorwerfen können, wenngleich seine
Proklamation durchaus im Trend jahrtausendealter Traditionen steht:
Wir müssen die Toten retten lautet ein Kernsatz
seines für die Stuttgarter Staatsoper entstandenen Librettos,
das wohl auf die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins reflektiert,
mit der Kraft rettender Kritik Bruchstücke des
Vergangenen dem Trümmerfeld der Geschichte zu entreißen,
um sie für die Gegenwart nutzbar zu machen.
Sargnägel mit Köpfen: Sylvia
Plath (Evelyn Herlitzius, stehend) erweckt Guiseppe Verdi
und seine Frau Margherita.
Foto: Staatsoper Stuttgart
Schon 1981, im Vorfeld seiner legendären Frankfurter Aida-Inszenierung
meinte Neuenfels, eine merkwürdige Parallele der Biografien
Giuseppe Verdis und Sylvia Plaths entdeckt zu haben, die er in einer
kurzen Novelle festhielt. Dass Neuenfels just im todesseligen Wien
auf eine Partnerin stieß, um diese lang gehegte Idee zu verwirklichen,
den italienischen Komponisten und die britische Dichterin auf der
Bühne einander begegnen zu lassen, ist auch kein Zufall: Die
rumänien-deutsche Komponistin Adriana Hölszky, deren Musik
stets mit einem transsylvanischen Lächeln auf das Totenreich
blickt, war mit ihrer Genet-Vertonung Die Wände,
die Neuenfels 1995 für die Wiener Festwochen inszeniert hatte,
bereits ganz beim Thema.
Für die im Auftrag des Stuttgarter Staatstheaters entstandene
Oper Giuseppe e Sylvia wird dieses fiktive, von vielerlei
Projektionen bestimmte Treffen von einem Filmregisseur arrangiert,
der die beiden Toten wieder erweckt, um mit ihnen eine unsterbliche
Filmszene drehen zu können. Dazu gesellt sich ein ermordeter
Kellner, Roberto, der sich gleichsam als geiler Götterbote
zwischen Giuseppe und Sylvia drängt. Was Verdi, den erfolgreichen
Opernkomponisten, mit der an ihren eigenen Ansprüchen gescheiterten
Dichterin verbindet, ist freilich nur in blassen Konturen erahnbar:
Psychoanalytisch angehauchte Rückblenden auf das verflossene
Leben lassen ein Trauma Verdis erkennen, als er um 1840 innerhalb
zweier Jahre seine beiden Kinder und seine erste Frau Margherita
durch den Tod verlor. Sylvia Plath, von der Mutter zur Perfektionistin
getrimmt, erlebte einen ähnlichen Schock durch die Trennung
von ihrem Ehemann, dem englischen Dichter Ted Hughes, die 1963 letztlich
in den Selbstmord der erst 31-jährigen amerikanischen Dichterin
mündete.
Daraus eine Parallele zu ziehen, wirkt aber doch reichlich konstruiert,
selbst wenn Neuenfels deftige Sprache alle Unebenheiten glatt
bügeln will. Da nutzte auch der Kulminationspunkt der Oper
wenig, als der virile Roberto, der stets einen Knoten in seinen
überlangen Schwanz dreht, um seine Geilheit zu bezähmen,
den Geschlechterkampf gegen den alten Verdi gewinnt, um die im Negligee
umhergeisternde Sylvia triumphierend davonzutragen. Am Ende der
dreizehn Bilder sitzt das Totentrio dennoch friedlich an einem Tisch
der Bar Ridente auf Ischia: Ja, lassen wir die Lebenden ruhen,
verkündet Sylvia, weil sie den Liebesalptraum der Lebenden
nicht länger spielen will. Worin ihr schließlich sogar
Roberto Recht gibt.
Adriana Hölszky ist diese mit vagen Assoziationen spielende
Story, die Neuenfels selbst auf dem glatten, aber von schrundigen
Rissen durchzogenen Marmorboden der sonst ziemlich leeren Bühne
Reinhard von der Thannens inszenierte, hörbar fremd geblieben.
Dennoch schlägt die Musik ihrer rund achtzigminütigen
Oper, die vieles von der Tonsprache der Wände weiterspinnt,
immer wieder in den Bann. Ohne Verdi je zu zitieren, kokettiert
die Musik mit höchst melodiösen Phrasen, um sogleich oft
nur dumpf artikulierte, streng durchrhythmisierte Passagen folgen
zu lassen. Mit solch jähen, filmischen Schnitten sucht die
filigrane Partitur Neuenfels wildem Libretto zu begegnen.
Schattenhaft sind vor allem die oft nur per Computer zugespielten
und über Lautsprecher im gesamten Auditorium kreisenden Chöre,
die Otto Kränzler vom Studio des Künstlerhauses Stuttgart
überaus gekonnt abgemischt hat.
Durch diese elektronischen Zuspielungen erhält die sehr streng
konstruierte Partitur eine große Dichte, obwohl unter
der profunden Leitung Johannes Kalitzkes nur 23 Musiker des
Staatsorchesters Stuttgart im Orchestergraben spielen. Celesta,
Cembalo und Gitarre verleihen der Musik überdies eine gläserne
Jenseitigkeit, durch die vor allem die Szenen mit den bleich geschminkten
Toten in surreale Abgehobenheit gleiten. Der würdevolle Bariton
Michael Ebbecke als Giuseppe, die Sopranistin Evelyn Herlitzius
als hysterisch aufgeladene Sylvia, der counterartige Tenor Rolf
Romei als buhlender Roberto und vor allem der Chor der Stuttgarter
Oper verleihen dieser Aufführung eine charakteristisch entrückte
Atmosphäre.