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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 35
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Die Erfahrung Land gründlich reflektiert
Robert HP Platz ist neuer Leiter des Schreyahner Herbstes in
Niedersachen
Im goin up the country, where the water tastes
like wine so sang die Rockband Canned Heat vor dreißig
Jahren. Für die Neue Musik ist das Land allerdings kaum ein
Ort, wo Wasser wie Wein schmeckt. Ausnahmen bestätigen die
Regel. Eine davon ist der Schreyahner Herbst, ein Festival Neuer
Musik, das seit 1986 im Dorf Schreyahn im niedersächsischen
Landkreis Lüchow-Dannenberg stattfindet. Nahe der früheren
Grenze zur DDR ist gelungen, was auf dem Land selten gelingt
das Festival hat seit Jahren ein motiviertes, festes Publikum. Ort
ist der Künstlerhof Schreyahn, eine Stipendiatenstätte
des Landes für Schriftsteller und Komponisten.
Matthias
Kaul (LArt pour lArt) und Instrument
bei der Aufführung von
I. Das Löwentheater II. Das Ärgertheater.
Foto: Janssen
Nahe liegend also, im Programm Musik und Literatur zu verbinden.
Nahe liegend auch, das Thema Land als zentrales Motto
zu verwenden zumindest wenn ein Programm in relativ kurzer
Zeit erarbeitet werden muss. Das war die Situation für den
Kölner Komponisten Robert HP Platz, als er im Frühjahr
die künstlerisches Leitung des Schreyahner Herbstes übernahm.
Sein Vorgänger, der Berliner Komponist Gerald Humel, hatte
dem Schreyahner Herbst in 13 Jahren Tätigkeit ein Profil gegeben,
das hohe interpretatorische Qualitäten mit einem ausgeprägten
Blick auf die Vielgestaltigkeit aktueller Tonkunst verband.
Land also war das erste Thema des Schreyahner Herbstes
nach dem Wechsel: Die Umsetzung bot mehr als Naheliegendes. Der
Begriff Land bringt zusammen, was das Englische in country
und nation aufteilt: Regionen abseits der Metropolen
und den Nationalstaat. Die Erfahrung des Lebens abseits der Metropole,
seiner Kultur und die künstlerische Reflexion beider war ein
Strang des musikalischen Teils: Kagels Kantrimiusik,
Schreyahn von Platz selbst waren dafür zentrale
Kompositionen. Schreyahn, während der Stipendiatenzeit
im Künstlerhof geschrieben, reflektiert diese Erfahrung in
vielen thematisch-motivischen Metamorphosen, Kagels Pastorale
(1975) wirkt mit ihren subtilen Verschiebungen von Scheinbekanntem
ins Absurde auch heute aktuell.
Die Aufführung beider Stücke waren für Platz wohl
auch ein Stück ästhetischer Positionsbestimmung in seiner
neuen Rolle. Wie das gesamte Programm wurden sie von dem diesjährigen
Ensemble in Residence aufgeführt: Das Ensemble
Köln hatte die in Schreyahn neue Funktion übernommen.
Es zeigte sich durchgängig als souverän, subtil ausnuanciert
spielend und mit Genauigkeit unterschiedliche ästhetische Ansätze
aufgreifend. Karlheinz Essles spektralistisch angehauchtes Deviation
etwa erklang genauso interpretatorisch pointiert wie das akademisierende
Gestalt... Gesplittert von Steffen Schleiermacher.
Der war einer von vier Komponisten aus der früheren DDR, deren
Werke auch auf den Aspekt der Nation im Begriff Land verwiesen.
Unter den Stücken der anderen drei herausragend und deutlich
am Eigenständigsten das zerrissene Nachtschwarz wird
das Blau von Annette Schlünz.
Maria des Alvears Land für zwei Rapper und Ensemble
griff im letzten der acht Konzerte eine zentrale Form übernationaler
Popkultur auf, bricht sie in der kontrastierenden Verbindung mit
aktueller Kunstmusik. Wenn das Werk so auch die Idee Nation relativieren
will, gerät es in seiner Methode doch zu einer tendenziellen
Deutschland-Affirmation.
Die Erfahrung von Land als einem eigenständigen Lebensort prägte
auch den literarischen Teil des Programms, selten jedoch kam es
zu tiefer gehenden Korrespondenzen beider Programmteile. Eine Besonderheit
war ein Kompositionsworkshop für Kinder und Jugendliche, dessen
Ergebnisse das Ensemble LArt pour lArt bei
einem eigenen Konzert vorstellte nicht unerwartet das, welches
am meisten Gäste anzog. Die Workshops sollen wie die Verbindung
von Musik und Literatur fester Bestandteil des Schreyahner Herbstes
bleiben.
Finanziell hat sich dessen Situation in diesem Jahr verbessert.
Allein die Landesförderung wuchs in diesem Jahr von 40.000
auf 70.000 Mark, der Gesamt-Etat stieg von 45.000 auf 125.000 Mark.