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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 37
50. Jahrgang | Februar
Oper
& Konzert
Wiederentdeckung eines Opern-Erstlings
Prager Erstaufführung von Martinus Der Soldat und die
Tänzerin und ein Symposion
Die Stadt Prag, die sich selbst stolz die Goldene nennt,
mag den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht dasselbe Attribut
zuerkennen. Dabei fällt dieses Jahrzehnt in die heute fast
verklärten Jahre der Ersten Republik Tomas G. Masaryks, eine
Phase also, in der sich die Schöne an der Moldau dank eines
wirtschaftlichen Aufschwungs besonders selbstbewusst präsentierte.
Doch einen echten Wandel in Kunstdingen oder eine etwa mit Paris
vergleichbare Aufbruchstimmung gab es hier zunächst kaum.
Der 1890 in Ostböhmen geborene Bohuslav Martinu erklärte
Mitte der Zwanzigerjahre, gegen den allgemeinen Konservatismus nicht
mehr weiter ankämpfen zu wollen. Ähnlich wie viele namhafte
Kollegen aus anderen Kunstsparten, etwa die gerade in jüngster
Zeit wiederentdeckte Surrealistin Toyen, zog es ihn von der Moldau
an die Seine. Martinu war in jungen Jahren ein ausdrücklicher
Gegner romantischer Gefühlswallungen, er begab sich mit diesem
Schritt auf die Suche nach einer größeren Leichtigkeit
und Lebendigkeit des Seins. In Paris war er von Strawinsky, Diaghilew
und Debussy fasziniert, hier schloss er nach wenigen Jahren künstlerische
Bündnisse mit Dadaisten und Surrealisten. Martinus eigene Musik
dieser Zeit lässt bemerkenswert viel davon spüren. Doch
erst allmählich tritt das ins Bewusstsein, denn ein nicht unerheblicher
Teil seines umfangreichen uvres gerade der Zwanziger- und
frühen Dreißigerjahre ist bis heute selbst bei Fachleuten
nur wenig bekannt. Dies galt bislang auch für seinen Opernerstling
Der Soldat und die Tänzerin, ein 1928 in Brünn
uraufgeführtes und danach kaum je wieder realisiertes Werk,
das nun in einer Inszenierung des in Prag sehr geschätzten
Briten David Poutney seine verspätete Prager Erstaufführung
erlebte.
Das heimliche Hauptthema dieser Oper ist eine Apotheose des Tanzes.
Im Mittelpunkt stehen Modetänze wie Charleston und Tango, die
damals als Ausdruck des neuen Lebensgefühls aufgefasst wurden.
Martinu verwendet sie auf originelle, leicht verfremdete Weise.
Die auf einer antiken Komödie des Plautus basierende Story
der Oper, der mit viel Glück und Geschick vereitelte Verkauf
einer Tänzerin an einen Soldaten, wirkt eher marginal. Gerade
diese Tendenz wird in der neuen Version, die Poutney gemeinsam mit
Nicola Raab erstellte, noch zugespitzt. Viel wichtiger indes als
dieser Inhalt ist ohnehin die Art, wie er präsentiert wird.
Das Stück folgt dabei den Pfaden, die schon Plautus vorzeichnete:
dem Umweg über eine Fülle ausladender Assoziationen und
Imaginationen, die nach Maßgabe klassischer Erzählmuster
eigentlich verzichtbar wären. Doch allenthalben wird deutlich,
dass diese kubistische Sprunghaftigkeit des Werkes kein
Defizit, sondern sogar eine Qualität ist. Noch dazu ist es
gerade diese Tendenz, die Martinus erste Oper mit seiner letzten,
der weit bekannteren Griechischen Passion, verbindet;
dies gilt besonders für die von Ales Brezina rekonstruierte
Erstfassung, die ebenfalls in der Regie von David Poutney erstmals
1999 in Bregenz vorgestellt wurde. Womöglich liegt gerade in
diesem Verzicht auf Linearität Martinus originellster Beitrag
zum Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Darin ist Der Soldat
und die Tänzerin ein mutiger Vorgriff auf Späteres,
namentlich auf die unlängst in Stuttgart uraufgeführte
Oper Giuseppe e Sylvia von Adriana Hölszky und
Hans Neuenfels. Die Intensität dieses theatralischen Ansatzes
hängt bei Martinu nicht anders als bei Hölszky/Neuenfels
eng mit der Kenntlichkeit des Theaters als bloßer Fiktion
zusammen. Deutlichstes Indiz dafür sind jeweils Auftritte eines
Regisseurs, der den Fortgang der Handlung an dramaturgischen Scharnierstellen
aus den Angeln hebt.
Diese imponierende Neuproduktion der Prager Staatsoper, gewiss
eine der spannendsten an diesem Hause seit Jahren, wurde konzeptionell
wie finanziell wesentlich mitgetragen von der vor 25 Jahren gegründeten
Martinu-Stiftung. Nach dem Vorbild der Frankfurter Hindemith-Aktivitäten
hat diese weitgehend mit Aufführungstantiemen finanzierte Stiftung
nach 1989 damit begonnen, eine Fülle von Veranstaltungen
zu Martinu auf den Weg zu bringen.
Das seit 1993 am Kinsky-Platz residierende, von Mitteln der Stiftung
getragene Bohuslav-Martinu-Institut tat um so mehr gut daran, um
die Opernpremiere herum auch ein zweiwöchiges Festival zu organisieren.
Dessen höchst informativen Mittelpunkt bildete ein international
besetztes Symposion, ausgetragen in Zusammenarbeit mit den musikwissenschaftlichen
Instituten der Karlsuniversität Prag und der Freien Universität
Berlin. Dabei wurde außer den Werken selbst auch ihre schwierige
Rezeption diskutiert. Es war die erste Veranstaltung dieser Art
überhaupt, die sich mit Martinus Opernschaffen beschäftigte,
das bislang einen weißen Fleck der Forschung markiert. Auf
tschechischer Seite hatte die jahrzehntelang geübte Abstinenz
mit politischen Vorbehalten zu tun.
Außerhalb von Martinus alter Heimat, etwa in den drei anderen
Ländern, in denen Martinu zeitweise lebte (Frankreich, USA
und Schweiz) hat sich die musikwissenschaftliche Forschung noch
nicht so recht für diesen Wanderer zwischen den Welten zuständig
gefühlt. Gerade der internationale Zungenschlag
seines Komponierens blieb beim Symposion sinnfälligerweise
relativ unbeachtet: Ganz bewusst galt das Hauptaugenmerk nicht jenen
neoklassizistischen Werken, die bislang noch am ehesten einen Platz
im europäischen Musikleben gefunden haben. Martinu weiter darauf
zu verkürzen, sollte von nun an eigentlich unmöglich sein.
Gerade das hat dieser erste ernsthafte Gehversuch mit einem vitalen
Schlüsselwerk dieser Zeit eindrucksvoll gezeigt.