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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 4
50. Jahrgang | Februar
Cluster
Wir sind ja alle so lieb...
...und wer dies nicht ist, der gehe in sich und schwöre ab:
Sie, Herr Nono, mit ihren staatszersetzenden Werken wie der Oper
Intolleranza. Und Sie, Herr Henze, mit ihrem Ausspruch
Musik sei nolens volens politisch und nach ihrem Ruf
nach der Weltrevolution haben nicht wenig zum Selbstverständnis
der 68er-Ästhetik beigetragen. Sie, Herr Cage, mit ihrem Gefasel
von (musikalischer) Anarchie verderben noch heute junge Menschen
und verunsichern ältere. Ja was glauben Sie denn, wo wir hier
sind?
Unsere Staatshistorikerin Frau Merkel hat doch festgestellt: Unser
Staat, die Bundesrepublik Deutschland, ist seit 1949 ununterbrochen
eine freiheitliche, solidarische, weltoffene Republik, auf die wir
stolz sein können. Und wie wir das sind: Stolz auf den
Massenkerker des Hamburger Kessels, stolz auf freiheitliche
Isolationshaft und Berufsverbote für DKP-Postboten, stolz auf
die solidarischen alt-braunen Richter im neuen Staat,
stolz auf die weltoffene Asylpolitik. Wir sind stolz
auf die Kulturpolitik der Kommunen, die gerne mal eine Musikschule
schließen lassen oder ein Theater abwickeln. Ja,
Frau Merkel, das Gewaltmonopol liegt beim Staat und darum
sind wir stolz auf dieses freiheitliche, solidarische und weltoffene
Land. Gewiß, unsere Politiker werfen keine Grabsteine um,
aber Edmund Stoiber sprach einst von der durchrassten Gesellschaft,
oder sein Parteikollege Manfred Ritter, der Flüchtlinge mit
einem Heuschreckenschwarm der überall, wo er durchzieht,
eine Wüste hinterlässt verglich. Danke sehr, das
ist gelebte Demokratie in Worten und wenn es in die Köpfe
einsickert auch Taten.
Aber wir Künstler und Kulturschaffenden leisten schon mal
schnell Abbitte und distanzieren uns auf Wunsch von jeder Kritik,
ja am besten und sicherheitshalber von allem. Darum meine Bitte:
Zurück ins Glied mit Euch Komponisten, Euch Kulturkritikern
und -pessimisten, streift Euch schnell das Büßerhemd
über. Oder noch besser: erklärt einfach, dass ihr nie
ein anderes anhattet und unter Demokratie grundsätzlich nur
das versteht, was die jeweiligen amtierenden politischen Kasten
darunter verstehen. Schluss mit der Berliner Schüler-Terror-Einheit,
die ihr Taschengeld sammelt, um Firmen ein Darlehen zu verschaffen,
die sich weigern in den Fond zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter
einzuzahlen. Lasst uns doch alle einfach nur noch lieb sein.