[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 38
50. Jahrgang | Februar
Cluster
Schleimer sakral
Neulich in einer ap-Meldung: Bei einem Besuch mit seiner
Gruppe U2 in Rio de Janeiro bezeichnete sich Bono als verdorbenen
Rockstar. ,Ich bin überbezahlt, überernährt und zu
gut angezogen. Der Einsatz für Amnesty International
und das Dritte-Welt-Projekt Jubilee 2000 rühre von einer Art
katholischem Schuldgefühl her. Wie krank ist dieser Mann
eigentlich?
Wir müssen noch einmal darauf zurückkommen, auf diesen
Hallraum, diese schmachtende sakrale Euphorie, die gegen Ende des
vergangenen Jahres immerhin schon wieder die ersten Ränge der
Hitparaden belegte. Dieser altvertraute Sound, der mit den billigsten
Mitteln der Studiotechnik das Gänsehauterlebnis des Stadionrocks
hervorkitzelt. Sowohl die immer gleichen Guitarrero-Orgasmen von
Edge als auch Bonos schmonzige Heulstimme füllen diesen Raum,
machen sich breit wie eine mit weichem Glibber gefüllte Gasblase,
die über den Köpfen der Hörer wabert und immer
wieder platzt, auf dass sich alle wie mit Ursuppe beschmiert fühlen.
Das ist der Klang der großen Gesten, des Alle-in-den-Arm-nehmen-Wollens,
des Welt-Verstehens und Daran-Leidens.
Seit 22 Jahren werkeln U2 an diesem schrecklich einfältigen
feeling, und sie kommen immer wieder damit durch, haben
alle Nachmacher ausgesessen. Eine Zeit lang konnte man darin eine
normierte Rockmusik aus Irland hören, entworfen für die
Charts, man denke nur an die Cranberries, die als Pendant mit weiblicher
Stimme diesen katholischen Melancholikerkitsch mit ähnlichen
Mitteln pflegten. Die sich bei Kritik jedes Mal auf das Elend des
irischen Bürgerkriegsalltags beriefen, den auch sie aber einfach
nur für ihre Gottesträne im Knopfloch ausbeuteten. Das
entspricht genau Bonos Stil, nur hat er längst das Leid der
ganzen Welt entdeckt und will am liebsten seinem Gott als Büßer
an der Seite stehen. Das gesamte Text- und Klangdesign der neuen
Platte strebt mal wieder dorthin: Touch me, take me to that
other place. Teach me, I know Im not a hopeless case
heißts in Beautiful Day, der ersten Single
und gleichzeitig dem Eröffnungsstück des Albums. Higher
than the sun, You shoot me from a gun, I need you to elevate me
here, geht es zwei Tracks später weiter was für
ein Blödsinnsreim im übrigen ,Hm, was reimt sich
denn auf sun ? Fun geht ja nicht, oh ja: gun!.
Und auf Reim passt Schleim, wer nicht aufpasst, wird besudelt,
auch Brian Eno, der das neue Album co-produzierte. Vielleicht hat
der aber auch Geldschein gehört. Bono sichert sich
da ja immer wieder präventiv ab, die eingangs zitierte Selbstbeschreibung
steht da nur in einer Reihe mit überlieferten Geißelhieben
wie Arschloch mit Mercedes. Das ist nicht nur besonders
eklig, weil eine Beschimpfung danach tatsächlich weniger befriedigt,
sondern vor allem, weil er damit natürlich nur seinen Status
als glamouröses Sünderlamm unterstreicht. Und als solches
darf er umso wahlloser gegen das Böse in der Welt herumkriechen.
Lässt alle Adressen von Welfare-Organisationen, die er kriegen
kann, im U2-Booklet abdrucken, schenkt dem Papst eine seiner doofen
Sonnenbrillen, macht Diener vor Staatsoberhäuptern, schreibt
Texte für irgendein Buch der Psalmen (Zitat: Meine
erste Begegnung mit eingebungsvoller Musik) und kitschige
Short Stories über arme Seelen. Die dann verfilmt werden, natürlich
von Wim Wenders.
Sicher, die Einzelposten dieser Aufzählung sind nicht per
se verwerflich. Auch nicht Bonos Einsatz für den Schuldenerlass
für die Dritte Welt. Es ist vielmehr die alles
überrollende Gutmensch-Walze in Verbindung mit dem plumpen
musikalischen Sendungsgestus, die die öffentliche Person, den
Popstar Bono als aufdringlichen Kasper erscheinen lässt. Und
am Ende stehen die dumm da, die tatsächlich ernsthaft und differenziert
arbeiten, von Amnesty International über die Jubilee
2000 Coaltion bis War Child. Die Hitparaden können
letztlich so einen wie Bono noch am ehesten verkraften. Auch wenns
nervt.