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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 15
50. Jahrgang | Februar
Deutscher
Kulturrat
Kulturpolitik und Informationsgesellschaft
Kulturwirtschaft rückt in Zukunft stärker ins Blickfeld
· Von Olaf Zimmermann
Kulturpolitik und Informationsgesellschaft scheinen zunächst
zwei Bereiche zu sein, die weit auseinander liegen. Unter Kulturpolitik
wird zumeist die Förderung von Kultureinrichtungen oder kulturellen
Projekten, also Förderpolitik, verstanden. Die Entwicklung
der Informationsgesellschaft wird als politische Aufgabe in erster
Linie von der Wirtschafts- und Technologiepolitik aufgegriffen.
Kulturpolitik erscheint in diesem Zusammenhang häufig als Randthema.
Diese Betrachtungsweise hängt unter anderem auch damit zu-
sammen, dass gerade in den letzten beiden Jahren die Kulturpolitik
stark auf die bereits angeführte Förderpolitik fokussiert
wurde. Im Mittelpunkt der Debatte stand und steht immer noch die
Aktivierung privater Mittel für Kultureinrichtungen, kulturelle
Projekte sowie für Künstlerinnen und Künstler. Die
Debatte um die Reform des Stiftungssteuer- und des Stiftungszivilrechts
ist zu erheblichen Teilen eine Diskussion um künftige Wege
der Kulturfinanzierung.
Die Dominanz der staatlichen Förderpolitik in der kulturpolitischen
Debatte hat zur Folge, dass die Kulturwirtschaft wie zum Beispiel
Tonträgerhersteller, Musikverlage, Galerien aus dem Blick geraten
und damit ebenso die Künstlerinnen und Künstler.
Die Entwicklung der Informationsgesellschaft ist eine Herausforderung
für alle Politikfelder, so selbstverständlich auch für
die Kulturpolitik. Wie kaum eine andere technische Neuerung in der
Vergangenheit verändert die Entwicklung der Informationsgesellschaft
alle Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens innerhalb
kürzester Zeit. Dauerte die Industrialisierung noch mehrere
Jahrzehnte, bis sie im Wirtschaftsleben Platz griff, verändern
die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb
weniger Jahre Produktion und Handel. Auf den Wirtschaftsseiten der
Zeitungen und Zeitschriften ist von den Chancen und Risiken der
New Economy die Rede und fast könnte man meinen, die herkömmliche
Ökonomie sei von gestern. Auch wenn die Kursverluste
der jüngsten Zeit viele der hoch gesteckten Erwartungen auf
ein realistisches Maß zurückgeschraubt haben.
Überholt uns also die Realität der Informationsgesellschaft
und wird damit jedes Nachdenken über eine zukunftsfähige
Kulturpolitik in der Informationsgesellschaft zu einem Nach-denken
im Sinne des Hinterher-denkens? Ich meine entschieden,
dass dies nicht der Fall sein darf. Meines Erachtens ist es vielmehr
die vornehmste Aufgabe der Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker,
Ideen, Visionen für eine zukunftsfähige Kulturpolitik
zu entwickeln und hierfür zu streiten. Die Informationsgesellschaft
ist dabei der Hintergrund auf dem die neuen Ideen entwickelt werden
müssen.
Wandel der Kulturwirtschaft
Entwicklung der Informationsgesellschaft heißt zunächst
einmal, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien in
breitem Umfang in der Produktion, im Dienstleistungssektor und in
den privaten Haushalten genutzt werden. Die Nutzung dieser neuen
Technologien hat zu beträchtlichen Produktivitätszuwächsen
und einer erheblichen Beschleunigung geführt. Ebenfalls können
Arbeitsprozesse räumlich getrennt voneinander stattfinden.
Die Informations- und Kommunikationstechnologien verändern
auch die Produktion und Distribution in der Kultur- und Medienwirtschaft
erheblich. Beispiele hierfür sind in allen Kulturwirtschaftsbranchen
zu finden.
Book On Demand, das heißt der Druck von Büchern
auf Bestellung, ist eine tief greifende Veränderung der gesamten
Verlagsbranche. Bücher, die nur auf einen kleinen Kreis an
Interessenten treffen, können mit Hilfe der neuen Technologie
auf Bestellung in der gewünschten Stückzahl gedruckt werden.
Investitionskosten in die Produktion können so gesenkt werden.
Ebenso entfallen die Lagerhaltungskos-ten. Für kleinere Verlage
kann die Nutzung dieser Technologie eine Überlebenschance bedeuten,
da Kosten gesenkt werden können. Zu berücksichtigen ist
aber auch, dass schon heute der Zwischenbuchhandel, der bislang
nicht verlegerisch tätig war, Angebote für Books
on Demand unterbreitet. Das heißt der Zwischenbuchhandel
erobert für sich ein neues Geschäftsfeld. Welche Auswirkungen
diese Entwicklung auf die gesamte Verlagsbranche haben wird, kann
heute noch nicht abgeschätzt werden. Es ist aber anzunehmen,
dass sich die Situation der mittleren Verlage, die zu klein für
internationale Kooperationen und zu groß für das Agieren
eines Kleinverlags sind, dramatisch verschärfen wird.
Neue Überlebensstrategien
Doch nicht nur der Verlagsbereich verändert sich durch die
neuen Produktionsmöglichkeiten. Auf Grund des Internetbuchhandels
unterliegt auch der Buchhandel einem Wandlungsprozess. Obwohl die
Internetbuchhandlungen wie bol, amazon et cetera bislang noch nicht
gewinnbringend wirtschaften, werden sie auf Dauer gesehen am klassischen
Buchhandel nicht spurlos vorübergehen. Daher bleibt auch der
Buchhandel von Konzentrationsprozessen nicht verschont. Bereits
seit langem gibt es die überregional tätigen Buchhandlungen,
die sich mit gemeinsamen Marketingmaßnahmen eine entsprechende
Marktposition erobern konnten. Demgegenüber haben sich die
Spezialbuchhandlungen etabliert, die mit einem auf ihr Publikum
zugeschnittenen Sortiment ihre Marktstellung halten wollen. Auch
hier werden die mittleren Buchhandlungen ebenso wie die Verlage
Strategien zum wirtschaftlichen Überleben entwickeln müssen.
Eine kulturpolitische Herausforderung wird der Erhalt der Buchpreisbindung
sein, die auf Grund der bestehenden Konzentrationsprozesse und der
Marktstrategien vieler Verlage auf wenige schnell drehende
Titel zu setzen, immer schwerer zu verteidigen ist. Auch Musikverleger
und Musikalienhandlungen werden von den Veränderungen, die
sich auf dem Literaturbuchmarkt abzeichnen, nicht unberührt
bleiben.
Im Hinblick auf die Tonträgerindustrie zeigt sich, dass die
Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien beim
Endverbraucher Auswirkungen auf die Marktposition der Kulturwirtschaftsunternehmen
hat. Mit MP3 gibt es einen Standard, der es erlaubt, in akzeptabler
Geschwindigkeit und Qualität Musik direkt aus dem Internet
zu laden. Der Tonträgerindustrie entsteht dadurch ein erheblicher
wirtschaftlicher Verlust, der letztlich zu Lasten des Aufbaus junger
noch nicht bekannter Künstlerinnen und Künstler geht.
Darüber hinaus entstehen massive wirtschaftliche Verluste durch
illegale Kopien von CDs. Auf Grund des Preisrückgangs bei der
Hardware haben CD-Brenner eine starke Verbreitung gefunden. Das
Kopieren von Musiktiteln und das Brennen von CDs mit Lieblingstiteln
ist seither preisgünstig möglich. In den Schulen hat sich
daraus ein teilweise schwunghafter Handel mit Raubkopien entwickelt.
Ein Bewusstsein, dass dieses Brennen von eigenen CDs illegal ist,
besteht zumeist nicht.
Die Filmbranche erlebt durch das neue Komprimierungsverfahren
derzeit mit ein wenig Verspätung den MP3-Schock der Tonträgerindustrie.
Andere künstlerische Sparten wie die bildende Kunst oder auch
die darstellende Kunst stehen vor ähnlichen Herausforderungen.
Eine zukünftige und zukunftsfähige Kulturpolitik muss
meines Erachtens von der Vorstellung, Kulturpolitik ist allein die
Förderung von Kultureinrichtungen, Abstand nehmen. Zwar wird
Kulturpolitik immer auch Förderungspolitik bleiben müssen.
Dank der staatlichen Kulturförderung verfügt Deutschland
über eine einmalige Infrastruktur an Kultureinrichtungen. Es
steht meines Erachtens außer Frage, dass der Staat als Kulturstaat
auch in der Zukunft die Verpflichtung hat, Einrichtungen wie Museen,
Theater oder Bibliotheken zu finanzieren.
Bessere Rahmenbedingungen
Es muss aber ebenso radikal auf den Prüfstand gestellt werden,
ob die vorhandenen Formen der Kulturfinanzierung tauglich sind oder
ob andere Instrumentarien entwickelt werden müssen, die betriebswirtschaftliches
Handeln und die Einwerbung von privaten Mitteln möglich machen.
Kulturpolitik muss aber zugleich wesentlich stärker als bisher
darauf achten, dass die Rahmenbedingungen im Arbeits- und Sozialrecht,
im Urheberrecht, im Steuerrecht und im Wettbewerbsrecht stimmen.
Der Kulturwirtschaft muss ein erheblich größerer Stellenwert
eingeräumt werden. Kulturpolitik der Zukunft muss die Märkte
stärker in den Blick nehmen. Und sie muss für einen vernünftigen
Ausgleich der Rahmenbedingungen für die Künstler und die
Verwerter Sorge tragen. Beide, Künstler und Verwerter, sind
existenziell aufeinander angewiesen und beide brauchen vernünftige
Rahmenbedingungen, um auf dem Markt Chancen zu haben. Zukunftsfähige
Kulturpolitik muss zugleich dafür Sorge tragen, dass die Unternehmen
den europäischen und internationalen Wettbewerb standhalten
können. Der Kulturwirtschaftsmarkt Deutschland ist keine Insel.
Die Rahmenbedingungen müssen daher so sein, dass die kultur-
und medienwirtschaftlichen Unternehmen international konkurrenzfähig
sind. Kulturpolitik muss die Entwicklung der Informationsgesellschaft
aufnehmen und Anforderungen für gesetzliche Rahmenbedingungen
formulieren.