[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 55
50. Jahrgang | Februar
Konzerte für Kinder
Haydn hören und mit den Walen tauchen
Das Jugendsinfonieorchester der Musikschule Bremen und seine
langjährige Kinderkonzert-Reihe
Es gibt viele gute und wichtige Gründe zur Durchführung
von Konzerten für Kinder (oder auch Familienkonzerte
wie sie oft genannt werden). In vielen unterschiedlichen Formen
und mit vielen unterschiedlichen Ideen werden diese Konzerte durchgeführt.
Leider bewegen sich dabei so manche Kinderkonzerte hart
an der Grenze der überzogenen Unterhaltungsveranstaltungen
ohne auch nur im Ansatz ihr Ziel zu erreichen. Die Kinder amüsieren
sich prächtig, ziehen aber das häusliche Fernsehgerät
oder sogar den Computer als Freizeitgestaltung vor (ohne auch nur
im Traume daran zu denken, ein Musikinstrument zu erlernen oder
in ein weiteres Konzert zu gehen).
Andererseits darf man annehmen, dass das Gros der Familienkonzerte
in der Gesamtkonzeption sehr gut durchdacht ist, dass sie kindgerecht,
aber nicht kindlich gestaltet werden und das Interesse der Kinder
für die Musik ebenso geweckt wird wie die Motivation, ein Musikinstrument
zu erlernen.
Dies waren zumindest meine Gründe, 1982 mit dem Jugendsinfonieorchester
Bremen die Kinderkonzerte einzuführen. Die dahinter stehende
Idee war, dass auch oder gerade ein Jugendorchester die Aufgabe
und die Möglichkeit hat, die Kinder an die Musik heranzuführen.
Der geringere Altersunterschied zwischen den jungen Musikerinnen
und Musikern des Orchesters zum Publikum motiviert und ermutigt
zum eigenen Musizieren frei nach der Devise Das kann
ich bestimmt auch. So schrieb der Weser-Kurier: Vor
14 Jahren war Johannes selber Besucher der Kinderkonzerte des Jugendsinfonieorchesters
Bremen: Das hat mich fasziniert. Mich hat beeindruckt, wie
viel Spaß die beim Spielen hatten. Da wollte ich auch in das
Orchester. (Johannes schaffte es tatsächlich. Er
erhielt Fagottunterricht, spielte schon bald in der Jugendsinfonietta
dem sogenannten Aufbauorchester und dann schließlich
bis zum Beginn seines Studiums mit großer Begeisterung im
Jugendsinfonieorchester Bremen.)
Seit nunmehr fast zwanzig Jahren führt das Jugendsinfonieorchester
Bremen der Musikschule Bremen unter meiner Leitung diese Kinderkonzerte
durch. Zunächst beschränkten sie sich noch darauf, jeweils
die einzelnen Instrumentengruppen eines Sinfonieorchesters vorzustellen.
So wurden nacheinander die Familien der Streich-, Holz-, Blech-
und Schlaginstrumente behandelt und jeweils mit kurzen Ausschnitten
aus geeigneten Solokonzerten erklärt.
Um die Kinder nicht nur für die Instrumente sondern auch für
die Musik zu begeistern, wurden die Konzerte ab 1984 unter ein bestimmtes
Thema gestellt. Einige Beispiele: Eine musikalische Märchenreise
(1984), Komponisten sehen die Welt (1985), Ein
Orchester tanzt (1988), Ein Volksfest (1988),
Ein Zirkus kommt (1989), Eine musikalische Seereise
(1990), Ein musikalischer Wetterbericht (1991), Von
Burgen und Schlössern (1992), Ein tierisches Konzert
(1993), Von Hexen und Zauberern (1994), Fahrkarten
bitte (1995), Eine musikalische Spielwiese (1996),
Rund um den Tannenbaum (1997), Wasser marsch
(1998), Fiesta musica (2000).
Die mit dieser bunten Themenpalette verbundenen Möglichkeiten
der Werkauswahl und somit der Inhalte eines Kinderkonzertes führten
im weiteren Verlauf der Konzerte bis zum heutigen Tage zu einer
ständig wachsenden Kreativität aller Orchestermitglieder.
So war schon sehr bald die ehrwürdige Konzertkleidung tabu.
Eine Kleidung passend zum Konzert war stattdessen in.
Da fehlt auch nicht der Regenschirm, der Wasserball oder
um beim Wetterbericht zu bleiben der Ski-Anorak. Die Erzählungen
und gespielten Geschichten werden von Mitgliedern des Orchesters
übernommen; Tänze werden von den Mitgliedern eigenständig
einstudiert um sie den Kindern dann zur entsprechenden Musik und
dank der Maske und der Schneiderei des Theaters auch zeit- und modegerecht
vorstellen zu können. Viel Arbeit für nur einige Minuten
eines Konzertes Arbeit, die sich aber lohnt.
Auch hat sich die Bühnentechnik des Bremer Theaters im Verlauf
der vielen Jahre so behilflich und engagiert gezeigt, dass selbst
komplizierte Vorgänge und Umbauten möglich gemacht werden
können (und das, obwohl dem Orchester nur eine Spiel-/ Technikprobe
von maximal 60 Minuten vor der Vorstellung zur Verfügung steht.
Vorbereitung ist alles und alle technischen Abläufe
werden vorher mit der Technik bis ins kleinste Detail besprochen.)
Ein für die Orchesterarbeit sehr wichtiger Punkt ist die
Erarbeitung der unterschiedlichen Musikbeispiele. Diese Literatur
muss trotz der Vorbereitungen der Konzerte und Konzertreisen in
kürzester Zeit erarbeitet werden. (Und dass diese Konzerte
nicht so ganz ohne sind zeigt der Bericht in der Oktober-Ausgabe
der nmz Musik und Licht am Hollersee, Open-Air-Konzert der
Musikschule zog 20.000 Besucher in Bann ein alljährliches
Konzert des Jugendsinfonieorchesters Bremen). Das kann nur in vielen
intensiven Proben und Sonderproben geschehen, die die Orchestermitglieder
trotz Schulstress engagiert mitmachen. Eine solche Arbeit fördert,
fordert und prägt eine Orchestergemeinschaft, die ich immer
wieder mit Begeisterung beobachten darf.
Doch zurück zu den eigentlichen Konzerten. Die zuvor genannte
ursprüngliche Vorstellung der Instrumente erfolgt natürlich
weiter und wird durchgeführt in den sogenannten Offenen
Orchesterproben: Schulklassen dürfen sich während
der Probe in das Orchester setzen und lernen die Instrumente kennen.
Dieses Angebot wird mit so großem Interesse und so großer
Begeisterung wahrgenommen, dass Jugendsinfonieorchester und Jugendsinfonietta
um überhaupt weiter intensiv proben zu können
dies nur noch einmal im Monat durchführen können und eine
Warteliste eingerichtet werden musste, die bis ins Jahr 2002 reicht.
Schade, dass sich nicht auch Berufsorchester an einem solchen regelmäßigen
Projekt beteiligen.
Der grundsätzliche Aufbau der Konzerte bleibt konstant. Zunächst
begegnen wir den Kindern in ihrer Welt. So hören sie etwa zu
der Musik von Rossinis Wilhelm Tell (Das Gewitter)
eine spannende Geschichte, die das Geschehen der Musik erzählt.
Die Erzählung steht dabei im Vordergrund, die Musik unterstreicht
wie in einem Film die Geschichte. Es ist dabei immer
wieder beeindruckend, mit welcher Aufmerksamkeit und Spannung die
fast tausend jungen Zuhörerinnen und Zuhörer einer Vorstellung
bereits diesen Anfang eines Kinderkonzertes verfolgen. Im Anschluss
daran aber wechseln sich viele Musikbeispiele mit kindgerechten
Erklärungen, Informationen, Überraschungen, Mitmachaktionen
und Liedern ab (mit eigens gesetzter Orchesterbegleitung). So wird
den Kindern gezeigt, welch wichtige Aufgabe die Musik in der einleitenden
Geschichte dieses Kinderkonzertes übernommen hatte. Gemeinsam
mit den Kindern wird anschließend überlegt und ausprobiert,
wie ein Orchester mit ganz einfachen Mitteln Regen oder vielleicht
sogar ein Gewitter darstellen kann. Welches Instrument kann zum
Beispiel die Blitze, den Donner, welches die Regentropfen übernehmen:
die Tuba? Nein? Warum nicht? bessere Vorschläge?
die dann natürlich ausprobiert werden bis das Ergebnis
die zupfenden Geigen dann schließlich erreicht
wird. In Beethovens Pastorale etwa wird den Kindern zunächst
das Gewitter vorgestellt. Im Verlauf des nachfolgenden Durchspiels
müssen sie die Blitze erkennen und an den entsprechenden Stellen
mit ihren Händen zeigen.
In allen weiteren Musikstücken werden die Kinder direkt in
das Geschehen mit einbezogen. So zeigen sie mit Ihren Händen
den Sonnenaufgang (E. Grieg, Peer Gynt Nr. 1, Morgenstimmung),
sie klappern mit den Zähnen und stampfen leise mit den Füßen
zum Winter (Vivaldi, Vier Jahreszeiten).
In anderen Kinderkonzerten müssen sie zum richtigen Zeitpunkt
aufstehen, um das einziehende Königspaar würdevoll mit
einer tiefen Verbeugung zu begrüßen (Tschaikowsky, Einzug
des Königspaares aus Dornröschen); sie
reiten auf dem verrückten Pferd (Bizet, LArlésienne)
oder tauchen mit den Walen (Haydn, Die Schöpfung).
Dann aber steht die Musik und zwar nur die Musik im Vordergrund.
Den Kindern wird kurz erklärt, was in der nachfolgenden Musik
geschieht. Sie sollen die Augen schließen, sich die Situation
vorstellen und aufmerksam zuhören. Immer wieder spannend ist
dieser Moment für das Orchester. Hören die Kinder zu oder
entsteht Unruhe? Und tatsächlich weitgehend hören
die Kinder mit beeindruckender Aufmerksamkeit zu. Ergänzt werden
diese Konzerte durch kleine Möglichkeiten der Bühnen-und
Beleuchtungstechnik (Theaterschnee, Nebel,
Beleuchtung und riesige Hintergrundprojektionen durch Dia, die mit
einfachen Mitteln angefertigt werden).
Mit der Orchesterbegleitung werden gemeinsam neue und alte Lieder
gesungen nur schade, dass das Genehmigungsverfahren mit den
Verlagen für die Aufführung neuer Lieder teuer und zeitaufwändig
ist. Ein Propeller fliegt durch das Theater und sucht ein Kind,
das den Klangkörper mit seinen 85 Mitgliedern im Alter von
15 bis 20 Jahren dirigieren darf. Ein teilweise schon recht schwieriges
Preisrätsel ergänzt das Kinderkonzert: Den Kindern werden
aus den etwa zehn Musikstücken des jeweiligen Konzertes drei
vorgespielt, die Kinder müssen dann erkennen, um welche Stücke
es sich dabei handelt.
Die Kinderkonzerte dauern jeweils etwa 75 Minuten ohne Pause!
Schlimm? Anscheinend nicht! Sonst würden die Kinder im Anschluss
nicht noch heftig nach Zugaben rufen. Und wenn dann diese kleinen
Zuhörerinnen und Zuhörer sich zu Weihnachten entsprechend
unseres Vorschlages eine CD der 6. Sinfonie von Beethoven wünschen,
sie bekommen und tatsächlich begeistert zuhören
dann glaube ich, haben wir unser Ziel erreicht.
Insgesamt veranstaltete das Jugendsinfonieorchester bisher 38
Kinderkonzerte im Bremer Theater am Goetheplatz (jeweils zwei fast
immer ausverkaufte Doppelkonzerte pro Jahr) und erreichte damit
allein in Bremen über 70.000 junge und ältere Zuhörerinnen
und Zuhörer (das Orchester führte auch Kinderkonzerte
in anderen Städten durch). Viele der kleinen und grösseren
Zuhörerinnen und Zuhörer spielen heute ein Instrument,
spielen im Jugendsinfonieorchester mit, studieren schon Musik, üben
mit großer Begeisterung einen Musikberuf aus oder besuchen
mit ihren Kindern die Kinderkonzerte des Jugendsinfonieorchesters
Bremen.