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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 53
50. Jahrgang | Februar
Konzerte für Kinder
Was mich selbst angeht
Impressionen eines jungen Chorsängers
Belauschte Gesprächssplitter von einem zirka 11- bis 13-jährigen
Jungen aus dem Neuen Knabenchor Hamburg mit einem Freund über
zwei gegensätzliche Chorstücke (Unser Leben ist
ein Schatten 6-stimmige Motette von Heinrich Bach und
dem Kompositionsauftrag für das AMJ-Projekt Komponisten
schreiben für Kinder- und Jugendchöre NachtGedanken
von Gerd Domhardt)
Gibt es eigentlich nur tote Komponisten? Eigentlich egal, Hauptsache,
die Musik ist gut. Was heißt gut, fragst Du? Gut heißt
es noch nicht mal, geil heißt es. Unser Leben ist ein
Schatten singen wir gerade geiles Teil! Von wem? Weiß
ich gar nicht mehr, ach, ja, irgendein Bach aus der Steinzeit. Warum
ich das geil finde? Schockt irgendwie an. Weil es einfach sofort
schön klingt, nämlich:
mit dem Schatten, der so richtig verschwindet, fast weggepustet
wird,
mit dem Solo-Alt, den eigentlich alle singen könnten,
mit dem Solo-Chor, der ganz von hinten unten wie aus einer
Gruft kommen muss gruselig!
mit einem tollen Alt-Lied, in der Mitte des Stückes, das
auch alle Soprane mitsingen,
mit lauten und leisen, ganz schnellen und sehr lang ausgehaltenen
Tönen.
Ja, und damals beim Domhardt, den wir ja persönlich kennen
gelernt haben, war es genauso. Das fing nur ganz anders an, eigentlich
umgekehrt: da war zuerst der Komponist und dann das Stück.
Ich weiß noch genau, dass ich mich immer fragte: Wie sehen
denn Komponisten überhaupt aus? Können die auch richtig
reden oder denken die nur in Noten? Unserer hatte schon
von Anfang an eine Idee für das neue Stück, das er uns
erklärte. Er sprach mit uns wie mit Erwachsenen, also ganz
normal.
Übrigens auch ein Stück über Tod, aber noch dazu
mit viel Nacht und Monstern und Angst und Horror, aber auch mit
Sternen und Ruhe und Schlafen und Liebe NachtGedanken hieß
es. Die Worte sollen von berühmten Dichtern gewesen sein, war
nicht schlecht, konnte man sogar richtig verstehen.
Als wir dann nach mehreren Änderungen und immer wieder neuen
Kopien fast alle Seiten in den Mappen und im Kopf hatten, merkten
wir erst, dass es dann richtig schwer war halte mal nicht
nur über 2 sondern 20 Takte einen schrägen Akkord aus
und rutsche nicht runter oder rauf und dann das ganze noch leise!
Von wegen klingt sofort schön!
Aber darum ging es überhaupt nicht. Es ging eigentlich um
dasselbe wie beim Schatten nämlich wieder
um etwas tief drinnen in mir, was mich selbst angeht. Schon allein,
wenn ich flüstern muss, und das in verschiedenen Sprachen,
geht das richtig ab! Und das Wort schön haben wir
eigentlich vergessen, eigentlich war es mehr ein richtiger Scho-cker
... auch dass es nachher am Schluss plötzlich abbrach, weil
Herr Domhardt das Stück ja nicht zu Ende schreiben konnte,
weil er gestorben ist einfach so beim Joggen! Total traurig
so was. Und das letzte Stück Musik, an dem er arbeitete, war
unser Stück! Einige haben uns hinterher gefragt, wie wir dazu
stehen und damit umgegangen sind, so fragt man ja heute. So
ganz verstanden habe ich nicht, was die damit meinten wir
waren jedenfalls ziemlich stolz, dass wir bei so einer Sache mitgemacht
haben.