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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 50
50. Jahrgang | Februar
Konzerte für Kinder
Kinder als Konzertveranstalter in eigener Sache
Zu einem Grundschulprojekt im Bremer Konzerthaus Die Glocke
· Von Zuzana Pesselová
Kaum zu glauben, aber wahr. Am Ende des 20. Jahrhunderts stehen
das Bremer Konzerthaus Die Glocke und die Freie Hansestadt
Bremen vor einem kulturellen Desaster. Weniger als 50 Prozent aller
Schulen verfügen über einen funktionierenden Musikunterricht,
die Studierenden der Universität Bremen und der Hochschule
für Küns-te Bremen kennen das Konzerthaus und die Orchester
meist nur vom Hörensagen und das Durchschnittsalter der Konzertbesucher
liegt bei über 50 Jahren. Und der gute Wille der Musikerzieher
ist dahin. Zur Pressekonferenz zum Start der Familienkonzerte
in der Glocke im Januar 1999 kommen 2 (in Worten: zwei) von
108 eingeladenen Musiklehrern.
Als sich der Leiter der Grundchule An der Gete, L.
Bodo Götze nach dem ersten Familienkonzert im Januar 1999 meldete,
war die Verwunderung dementsprechend groß. Seine Kollegin
Dorte Burkert hätte den Flyer der Familienkonzerte gesehen
und meinte, Sie könnten bestimmt irgendwas für uns tun.
Sie baten um einen Termin bei Ilona Schmiel, der Geschäftsführerin
der Glocke Veranstaltungs-GmbH. Gute Produkte ziehen Kreise. Diese
Marketingregel bestätigte sich wieder einmal.
Die Grundschule engagierte sich schon vorher im Bereich Kunst
und Kultur, zusammengefasst unter dem Titel Profil.
Es waren zusätzliche Unterrichtsstunden, die den Kindern viel
Spaß jenseits des Leistungsdrucks brachten und gleichzeitig
neue Inhalte vermittelten. Das war der Anknüpfungspunkt. Erst
motivieren, dann informieren!
Konzept
Die Glocke Veranstaltungs-GmbH ist als Tochtergesellschaft der
Hanseatischen Veranstaltungs-GmbH in erster Linie für die Vermietung
des Konzerthauses Die Glocke zuständig (80 Prozent
aller Veranstaltungen). Der Einfluss auf die Profilbildung des Hauses
ist somit lediglich über 20 Prozent aller Veranstaltungen möglich,
bei denen die Glocke Veranstaltungs-GmbH für die Auswahl der
Künstler und Programme verantwortlich zeichnet. Sie verfügt
zudem über kein eigenes Ensemble. Jedoch nutzen zwei Bremer
Orchester die Glocke für ihre Abonnementkonzerte: das Philharmonische
Staatsorchester Bremen und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen,
die beide zu den Kooperationspartnern der Glocke im Rahmen der Familienkonzerte
gehören.
Der richtige Ansatz: Die Sache
selbst in die Hand nehmen und verschlafenen Konzertveranstaltern
den Marsch blasen.
Foto: Glocke Bremen
Der Tätigkeitsschwerpunkt der Glocke-Veranstaltungs-GmbH liegt
also eher in der Organisation und technischen Durchführung
von Konzerten und nicht, wie von den Lehrern der Grundschule An
der Gete vermutet, in der Vermittlung der musikalischen Inhalte.
Und somit war klar, dass das Programmangebot der Glo-cke die Bereiche
Konzert- und Konzerthausmanagement einschließen würde.
Die Kinder sollten also nicht nur musikalisch, sondern auch organisatorisch
in die Durchführung des Konzerts miteinbezogen werden.
Aber auch die Glocke durfte nicht zu kurz kommen.
Das 1928 im Art-Déco-Stil gebaute und erst kürzlich
renovierte Konzerthaus mit dem für Sänger besten
Saal der Welt (Dame Margaret Price) wurde schon von Herbert
von Karajan zu den drei akustisch besten Häusern Europas gezählt.
Die heutzutage seltene Schuhschachtelakustik war nur eines der vielen
Geheimnisse, die zu lüften waren. Es galt, die Potenziale des
Hauses zu erschließen.
Entscheidend für das Grundschulprogramm Profil in der
Glocke war das Engagement aller Beteiligten. Jeder Mitarbeiter
der Glocke Veranstaltungs-GmbH unternahm einen Rundgang durch seinen
Schwerpunktbereich oder die Leitung einer Lektion Konzerthausmanagement.
Die Durchführung dieses anspruchsvollen Projektes fand im 1.
Halbjahr des Schuljahres 1999/2000 statt. Alle zwei Wochen lernten
14 Kinder und zwei neugierige Betreuer Die Glocke in
90 Minuten unter einem anderen Aspekt kennen. Ziel war es, die Kinder
ein eigenes Konzert im Großen Saal der Glocke veranstalten
zu lassen.
Die musikalische Betreuung wurde den Profis überlassen. Die
14-köpfige Gruppe aus der Gete nahm an einer Probe des Philharmonischen
Staatsorchesters Bremen teil, erlebte ein Familienkonzert in der
Glocke und stellte in der Meisterwerkstatt für Blechblasinstrumente
der weltweit renommierten Firma Thein den Brüdern Max und Heinrich
Thein Fragen rund um das schöne Blech.
Probedurchlauf
Warum unser Konzerthaus Glocke heißen
soll? Die Glocke steht für schöne Musik, weil doch Glocken
so einen schönen Klang haben. Diese Erklärung hatte
Michael (9) auf die Frage nach dem Ursprung des Namens gefunden.
Beim ersten Besuch in der Glocke hatten er und seine Mitschüler
sich die Fresken zur Geschichte der Glocke im Restaurant angesehen,
die Anzahl der Garderobenhaken herausgefunden und mit ihnen Musik
gemacht. Außerdem mussten die Kinder im Kleinen Saal aus voller
Kehle schreien (natürlich nur, um die Akustik zu testen ...)
und die Sitze im Großen Saal ausprobieren. Sie wollten schließlich
wissen, welche Plätze sie den restlichen Gete-Kids für
das Familienkonzert empfehlen konnten.
Vor dem technischen Teil hatten die Betreuer große Angst.
Unnötig, wie sich beim zweiten Rundgang herausstellte. Von
der Bühne im Großen Saal über das Produktionsbüro
mit Gong und Alarmansage und den alten Kinoraum aus der Kriegszeit
bis zum Dachboden machten die Kleinen große Augen. Als Michael
Jordan, der stellvertretende technische Leiter, den Viertklässlern
die schwebende Decke des Großen Saales von oben zeigte, merkte
man, dass sie sich fester ans Geländer klammerten. Wenige Meter
unter ihnen war die Decke nur hier und da mit Stahldrähten
am Gebälk befestigt.
Backstage klang fremd und verlockend. Hier übernahm
Geschäftsführerin Ilona Schmiel die Federführung.
Eine Konzertsimulation erforderte alle Kräfte. Die Kinder konnten
nun begreifen, wie nützlich jeder Einzelne sein kann, wenn
er seinen Job gut macht. Und so bekam jeder von ihnen ein Kärtchen,
auf dem seine Rolle und seine Aufgaben standen. Ein Tourneeleiter
betreute drei Chorsängerinnen, eine Dirigentin und einen Erzähler,
eine Leiterin kümmerte sich um das Foyerteam und zwei Gäste,
zwei Künstlerbetreuer bereiteten die Garderoben inklusive Catering
vor, ein technischer Leiter war in Verbindung mit seinen zwei Aufbauhelfern
und einem Pförtner tätig.
Vor der Aufführung gab es allerlei zu erledigen. Die Namensschilder
für die Künstlergarderoben im Sekretariat abholen, die
Künstler empfangen und in die Garderoben führen, die Bühne
aufräumen und ins rechte Licht rü-cken, kurze Anspielprobe
organisieren, die Gäste empfangen. Kurz vor Beginn beschwerten
sich die Sängerinnen über den Tourneeleiter, weil sie
keine Lebkuchen hatten und dann wurden die Blumen fast vergessen.
Und die kleine Geschäftsführerin Vivian wühlte das
Geschehen mit ihren Durchsagen per Funkgerät auf. Aber
das Testkonzert fand statt. Die erste gemeinsame Veranstaltung
hatte tadellos geklappt. Das Konzerthausmanagement hatte für
die AG Glocke seine abstrakte Form verlassen. Nachdem sich die Kinder
das Konzerthaus vor und hinter den Kulissen erschlossen hatten,
wurde allen klar: Ohne die Konzertbetreuung läuft nichts. Für
den großen Auftritt der Gete am 30. Januar 2000 war noch einiges
zu tun.
Ernstfall
Das Konzert wird toll, versicherte Maria, beide
Chöre, die Zwitscherlinge und die Gete-Kids, proben fleißig.
Und das Eltern-Salonorchester sogar zweimal pro Woche. Wenn
die Qualität stimmt, muss nur noch die Werbetrommel gerührt
werden im Fernsehen zum Beispiel, schlugen die
Kinder mit strahlenden Augen vor. Unter der Anleitung von Enno Samp,
Assistent der Geschäftsführung, wurde über die Werbung
nachgedacht und ein Plakatentwurf gemacht. Gete-Bunt
erblickte das Licht des Papiers.
Bei der Pressekonferenz war die Aufregung groß, die Kinder
hatten heimlich ihre Texte auswendig gelernt. Sie berichteten selbst
über ihr Profil, die AG Glocke und natürlich
über ihr Konzert Gete-Bunt. Die Glocke ist
nicht ganz billig, sagte Jara mutig, woraufhin viele zusätzliche
Karten für das Konzert gekauft wurden und das bedeutete weitere
Verantwortung. Von da an fieberten alle mit: das Kollegium, die
Verwandtschaft und die Nachbarn.
Am Tag des Konzertes überließ die Leiterin des Ticket-Service
in der Glocke, Heike Zürnstein, den erfahrenen Kindern der
AG Glocke ein Kassenhäuschen für die Tageskasse. Die übrigen
Kinder kümmerten sich um die Einlasskontrolle und die Ehrengäste.
Die Künstlerbetreuung wurde, wie bei der Generalprobe, hervorragend
gemeistert. Das bunte Konzertprogramm, das in der Schule zusammengestellt
worden war, kam bestens an: Es wurde ordentlich getrampelt, und
Gewinn gemacht.
Wenige Tage danach ließ ein begeisterter Konzertbesucher
den Gete-Kids einen anonymen Scheck über einen vierstelligen
Betrag zukommen. Und so konnte ein halbes Jahr später die Produktion
Die kleine Zauberflöte für eine Sonderaufführung
in der Schule engagiert werden.
Ergebnisse und Zukunft
Eine solch intensive Zusammenarbeit eines Konzerthauses mit einer
einzigen Grundschule ist sicher recht unkonventionell. Meistens
bemühen sich kulturelle Institutionen um einen flächendeckenden
Einsatz und somit um die Massenproduktion. Anhand dieses Projektes
haben wir versucht aufzuzeigen, dass auch ein anderer Weg möglich
ist und für alle ein großer Gewinn sein kann. In erster
Linie ist es gelungen, die Lethargie der Bremer Nachwuchslandschaft
zu überwinden und neue Perspektiven aufzuzeigen: Viel Lärm
um die Qualität.
Die Grundschule An der Gete konnte ihr Profilangebot erweitern
und die Wahrnehmung ihrer Schüler abseits von traditionellen
Grundschulthemen schärfen. Darüber hinaus bekam sie professionelle
Unterstützung bei der Planung und Durchführung einer eigenen
Veranstaltung. Dieser Erfahrungsschatz kann seitdem für die
Organisation von Großveranstaltungen in der Schule genutzt
werden. Hinzu kommt die nicht zu unterschätzende politische
Dimension der Lobbyarbeit für eine Grundschule bei der Bildungsbehörde.
Die Anwesenheit des Senators für Bildung, Senator Willi Lemke,
bei der Pressekonferenz der Grundschule in der Glocke war der beste
Beweis dafür.
Das Bremer Konzerthaus Die Glo-cke konnte sich mit diesem
Projekt endgültig seines Museums-Images entledigen und zusätzlich
zu den aus der Initiative der Glocke Veranstaltungs-GmbH im selben
Jahr (1999) gestarteten Familienkonzerten in der Glocke
Engagement und Offenheit durch konkrete Taten unter Beweis stellen.
Es reicht nicht, wie ein Aschenputtel darauf zu warten, entdeckt
und gewürdigt zu werden. Eigeninitiative motiviert und schützt
vor dem Erschlaffen.
Konkret ist es gelungen, die Potenziale des Hauses herauszustellen
und zu nutzen. Denn dank der Reaktionen der Kinder schärft
sich der Blick für das Wesentliche, Abwechslungsreiche und
Interessante. Die Begeisterung, die das Konzerthaus bei diesen Kindern
geweckt hat, spornt zur Kreativität an. Auf der Grundlage der
bereits erstellten Sammlung der Materialien ist eine neue Veranstaltungsart
entstanden die Kinderführungen durch die Glocke, die
seit Dezember 2000 für die breite Öffentlichkeit zugänglich
sind.
Das Profil in der Glocke und das Abschlusskonzert Gete-Bunt
haben dem Konzerthaus eine feste Freundschaft beschert. Eine ganze
Schule ist an diesem Projekt beteiligt gewesen, inklusive des sozialen
Umfeldes. Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkel und Tanten
haben sich auf die Glocke gefreut und beim Großen Finale zum
Klatschen und Trampeln hinreißen lassen: Kennt ihr schon
den größten aller Hits? Gete-Kids! Die Glocke
gehörte ihnen. Und so soll es auch bleiben!
Weitere
Informationen zu den Projekten und Programmen für Kinder der
Bremer Glocke unter der Telefonnummer 0421/33 66-5 oder im Internet
unter: http://www.glocke.de