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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 52
50. Jahrgang | Februar
Konzerte für Kinder
Kinder sind unkorrumpierbar und gnadenlos
Constanze Wimmer im Gespräch mit den Komponisten Christian
Muthspiel, Hannes Löschel und Christoph Cech
Musik für Kinder zu komponieren ist (k)eine Selbstverständlichkeit.
Auf der einen Seite gibt es den Markt an Musikproduktionen für
Kinder im Grenzbereich zwischen U- und E-Musik: Im Stil der Liedermacher
wird ein erfolgreiches Kinderbuch nach dem anderen vertont und auf
Tonträger gebannt. Auf der anderen Seite bemühen sich
arrivierte Orchester, ihre Konzertzyklen auch für Kinder zu
erschließen und suchen neben Peter und der Wolf
nach neuen Werken. Daneben entsteht eine kleine feine Szene von
jungen Komponisten aus dem Bereich Neue Musik, die weder kommerziell
motiviert noch pädagogisch wertvoll, sondern wie
selbstverständlich ein Musikangebot für die Generation
ihrer eigenen Kinder gestalten.
Constanze Wimmer hat dazu drei österreichische Komponisten
befragt, die stilistisch aus ähnlichen Richtungen kommen und
doch mit ihren Projekten im Bereich Musik für Kinder
in der Umsetzung und in der Erwartungshaltung unterschiedliche Strategien
verfolgen: Christian Muthspiel (geb. 1962), Christoph Cech (geb.
1960) und Hannes Löschel (geb. 1963) sind Vertreter des Jazz
und der Improvisierten Musik im Grenz- und Überschneidungsbereich
zur Neuen Musik. Alle drei realisieren für die Jeunesse
Österreich Kinderprojekte.
nmz: Taste ein symphonisches Erlebnis für
Kinder ist eine elektronische Sinfonie mit einem lebendigen
Konzertmeister und Christoph Cech als Komponisten und Dirigenten
in einer Person. Im November 2000 haben insgesamt mehr als 3.000
Wiener Grundschüler im Klangtheater GanzOhr des RadioKulturhauses
zu Ihrer Symphonie live improvisiert. Was reizt Sie an der Arbeit
mit und für Kinder?
Cech: Kinder sind ein ganz spezielles Publikum: unkorrumpierbar
und gnadenlos, aber fähig, Emotionalität direkt wahrzunehmen.
Mit Taste wollte ich Musik über die Geste offerieren
und dabei den Kindern ein symphonisches Erlebnis bieten. Ich habe
ein 16-minütiges Musikstück komponiert, das sich in
groben Zügen an der Sonatensatzform eines Symphonieecksatzes
orientiert. Die Schüler wurden aufgefordert, zum Workshop
einfache Instrumente wie Blockflöten, Rasseln, Triangel oder
Plastiksaxophone mitzubringen.
nmz: Die Interaktion war für Sie ein selbstverständliches
Element?
Cech: Ich träume schon lange davon, mit Kindern
in einem symphonischen Rahmen zur arbeiten, sie mit speziellen
Instrumenten in den Klang von Ensembles oder Orchestergruppen
zu integrieren. Bei Taste waren es eben Triangel und
Spielzeug-Keyboards, die zu einem elektronischen Playback
dazu gespielt wurden.
nmz: Wie haben Sie die Kinder zum Mitspielen animiert?
Cech: Es gab sechs Ziffern, die unterschiedliche einfache
Improvisationsanleitungen darstellten, wie das Aushalten langer
Bläserklänge oder das Schlagen eines 4er-Taktes. Vor
dem Beginn der Komposition erzählte ich den Kindern eine
assoziative Geschichte zur Musik und probte mit ihnen die Einsätze.
Ich durfte mich als Entertainer auf keinen Fall hängen lassen.
Man wischt sich zwar immer nachher den Schweiss von der Stirn,
aber musikalisch ist etwas entstanden.
nmz: Christian Muthspiel, Ihre Produktion Prinz ärgere
Dich nicht stellt musikalisch und darstellerisch die vier
Temperamente dar: ein Choleriker, ein Melancholiker, ein Phlegmatiker
und ein Sanguiniker wollen eine Prinzessin heiraten, die dies allerdings
gar nicht möchte. Was war für Sie der Impuls, diese Geschichte
zu vertonen?
Christian Muthspiel: Kinder sind für mich ein ganz
normales Publikum, ich nehme sie so ernst wie die
Zuhörer meiner Konzerte für Erwachsene. Künstlerisch
war es einfach spannend, die vier Temperamente mit vier Instrumenten
musikalisch zu beschreiben: Querflöte, Bratsche, Percussion
und Cello. Ich wollte erreichen, dass geschulte, also erwachsene
Hörer etwas darin finden, es aber trotzdem auch für
die Kinder spannend bleibt. Abgesehen von diesem Kinderkonzert
habe ich etliche Workshops zur Improvisation mit Kindern gemacht,
meistens dort, wo ich mit eigenen Projekten länger vor Ort
war, etwa für den steirischen herbst. Dort habe
ich zusammen mit einer Band, einem Laienorchester und einem Kinderchor
eine Woche lang musiziert. Die Kinder zeichneten sich selbst die
Partituren und erfuhren daneben zum ersten Mal das freie Improvisieren.
nmz: Hannes Löschel, Ihr Kinderkonzert steht noch bevor,
was sind Ihre ersten Überlegungen dafür?
Hannes Löschel: Zwischen Kompositionen für
Kinder und Erwachsenen gibt es formale Unterschiede. Ich muss
mich dem Alter von Kindern anpassen, was ihre Konzentrationsfähigkeit
betrifft, aber ich muss sie nicht für dumm verkaufen und
irgendeinen Kasperl auftreten lassen, damit es kindgerecht wird.
Das beste Beispiel dafür ist auch mein dreijähriger
Sohn Leo: Ich habe ihm ein Buch über Meeresfische gekauft
der platte Teles-kopaugenfisch purzelt ihm
voll Stolz aus dem Mund das ist für ihn viel geiler
als Fisch oder Kuh. Dieses Phänomen
möchte ich gerne in Musik übertragen.
Cech: Sich den kindlichen Zugang zur Musik vorzustellen,
ist mir sehr wichtig, weil Kinder ein Recht darauf haben, nicht
kleine Erwachsene sein zu müssen. Ich will ihnen ein Ventil
bieten, wo sie Kind sein dürfen, wobei es ohnehin möglich
ist, mit extremen Klangbildern zu arbeiten, bis sie sechs, sieben
Jahre alt sind, dann übernehmen die Kinderkassetten oder
die sogenannte Quatschindustrie das Kommando, bis
die Kinder mit elf oder zwölf von Britney Spears abgeholt
werden.
nmz: Komponieren Sie für Erwachsene anders als für
Kinder? Hemmt Sie das beim Komponieren oder eröffnet es neue
Möglichkeiten?
Muthspiel: Ich würde einem Kind nie zumuten, meine
Stücke für ein erwachsenes Publikum zu hören. Dagegen
würde auch eine Geschichte wie Prinz ärgere Dich
nicht für Erwachsene nicht funktionieren, ohne verschlüsselt
zu werden. Kinder wollen immer eine Geschichte, sie begeistern
sich nicht an einem Klang: Einer muss gewinnen, gerettet werden
oder sich zumindest entwickeln.
nmz: Haben Sie dabei das Gefühl, sich künstlerisch
zu beschränken?
Cech: Mir war es immer wichtig, die Inhalte nicht zu verkindlichen.
Der Weg zum Ziel soll kindgerecht sein, hinsichtlich des emotionalen
Gehalts kenne ich keinen Unterschied. Da sollen die Kinder all
das erfahren, was ein Erwachsenenstück auch hat. Wenn sie
es gut serviert bekommen, dann können sie es gut nehmen.
nmz: Was soll Ihrer Meinung nach musikalisch und inhaltlich
bei den Kindern ankommen?
Cech: Ich wünsche mir für Kinder Zeit, sich
mit Kunst zu beschäftigen und den Mut zu haben, Kunst wahrnehmen
zu können. Ich habe bei Taste die Form der Symphonie
fast als Provokation gewählt. Was ist überhaupt eine
Symphonie? Der Besuch von Musik zum Angreifen ist
gratis, so kamen viele Klassen mit unterschiedlichem Background
wenn Sie da nach Komponisten fragen, bekommen Sie Britney
Spears als Antwort.
Löschel: Ich würde gerne mein Konzept durchhalten,
Kinder mit Klängen zu konfrontieren. Es kann durchaus ein
Grundkonzept von einer Geschichte da sein, wenn es pragmatisch
darum geht, sie 50 Minuten bei der Stange zu halten. Trotzdem
will ich die Abstraktion ausprobieren.
Cech: Ich glaube nicht an die totale Abstraktion, an
das reine Hören.
Löschel: Ich kann aber nur etwas vermitteln, hinter
dem ich stehe. Ich kann in meinen Improvisationsstunden meinem
Schüler nicht sagen: Stell dir vor ...! So würde
es mich auch bei diesem Kinderkonzert nicht reizen, eine besonders
trickreiche Geschichte zu erzählen. Vielleicht kann man das
Resultat nicht gleich versprachlichen, vielleicht graust auch
jemandem Musik soll ja nicht in erster Linie etwas Schönes
sein. Ich möchte nicht, dass die Kinder nach dem Konzert
glauben, dass ich sie auf Musik neugierig machen wollte, indem
ich ihnen eine Geschichte vertont habe.
Muthspiel: Das Grundlegende ist doch, dass physisch vorhandene
Menschen für andere eine Form von Zauberei gestalten. Ich
habe bei Kindern die Erfahrung gemacht, dass sie die abstrahierten
Klänge, die von der Melodie oder dem Groove weggehen, schon
zur Genüge von Serien und Soundtracks wie Pokémon
oder Sailormoon kennen. Es ist sehr schwer, als Mensch dieser
unglaublichen Perfektion der Illusion entgegenzutreten.
nmz: Könnten diese für Erwachsenenkonzerte
unüblichen Konzepte langfristig dazu führen, den Konzertbetrieb
generell zu verändern?
Muthspiel: Wenn sich die Konzertprogrammierungen aufgrund
der Erwartungshaltungen der Kinder, die erwachsen werden, ändern,
dann halte ich es für höchste Zeit. Ich kann diese Programme,
bei denen einfach drei Stücke hintereinander gespielt werden,
nicht mehr ertragen. Und ich frage mich: Warum erklären sich
nur so wenige bereit, Kontakt mit dem Publikum aufzunehmen?