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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 54
50. Jahrgang | Februar
Konzerte für Kinder
Improvisierte Musik unverdünnt auch für Kinder
Der Jazz und die Möglichkeiten seiner Vermittlung im schulischen
Umfeld
Der Jazz ist ein wesentlicher Teil der Musik des 20. Jahrhunderts
und der Gegenwart. Er entwickelt sich ständig weiter. Viele
kunstvolle Improvisationen seiner großen Solisten und viele
komplexe Klangbilder und Strukturen seiner bedeutenden Ensembles
sind bereits in die Musikgeschichte eingegangen, werden von kompetenten
Fachleuten analysiert und interpretiert. Wie Werke der klassischen
Musik werden Arrangements und Kompositionen, Spielweisen und Improvisationsformen
der Hauptstil der Jazzgeschichte von unzähligen Musikern in
aller Welt zum Klingen gebracht; Hauptkriterium ist hier wie dort
Fantasie und Qualität. Das Verhältnis zur Neuen Musik,
der Nachfolge der klassischen Musik im 20. Jahrhundert, ist das
eines Gegenentwurfs; der Jazz ist zwar nicht als solcher entstanden,
aber er hat sich dazu entwickelt.
Wie kommen Kinder als Zuhörer damit zurecht? Sehr gut, wenn
die Art der Musik selbst und die Umstände ein Sich-vertraut-machen
ermöglichen. Zahlreiche meiner Konzerte, Workshops, Kurse und
Vorträge seit Ende der 50er-Jahre haben mir dies hinlänglich
bewiesen. Wenn Kinder sagen, sie könnten mit Jazz nichts anfangen,
so geschieht dies wie ich immer wieder festgestellt habe
fast nie aus eigener Wahrnehmung und aus eigenem Urteil heraus,
sondern weil ihnen andere, die meist ebenso wenig wissen, Negatives
erzählt haben.
Kinder finden am ehesten Zugang zu Musik,wenn sie sie live erleben.
Darum ist es wichtig, dass ihnen der Musiklehrer in der Schule immer
wieder selbst etwas vorspielt und dass er wie auch die Eltern mit
ihnen in Konzerte geht. Auch Konzerte von Gruppen, die zu einer
Veranstaltung in die Schule eingeladen werden, können sehr
wirkungsvoll sein. Ich hatte in den 70er- und 80er-Jahren viele
solcher Auftritte in Schulen in der ganzen Bundesrepublik. Zu Beginn
stellte ich die Instrumente einzeln und im Zusammenspiel vor und
erläuterte dann den Aufbau eines einfachen Stückes im
Trio (Klavier, Bass, Schlagzeug) und die rhythmisch/harmonischen
Elemente, auf denen es basierte. Dann wurde dieses ziemlich kurze
Stück gespielt.
Anschließend kam ein zweites, etwas längeres, mit etwas
weniger Erklärungen. Und so ging dieser erste Teil unmerklich
in ein normales Konzert mit kurzen Hinweisen über, wobei das
Ganze je nach dem Alter und den Reaktionen der Schüler spontan
modifiziert wurde. Auch die Reihenfolge der Stücke, vorher
nach sorgfältiger Überlegung festgelegt, konnte spontan
verändert werden. In der Pause, die oft lange dauerte, weil
das Interesse von Schülern wie Lehrern sehr groß war,
konnten diese auf die Bühne kommen und mit allen Musikern reden,
die bei ihren Instrumenten blieben, ebenso nach dem Ende des Konzertes.
Dieses Beispiel soll zeigen, wie Musik in der Schule lebendig
gemacht werden kann. Kinder brauchen den direkten Kontakt zu Menschen,
die Musik machen. CDs, Videos und das Internet können dies
ergänzen, aber nicht ersetzen.
Elemente und Aufbau von Jazzstücken lassen sich Kindern ohne
weiteres erklären, wenn man den Jazz sehr gut kennt und solche
Stücke auswählt, die für die Kinder verständlich
sind. In allen fünf Hauptformen des Jazz (Dixieland, Swing,
Bebop, Free Jazz und Fusion Jazz) gibt es solche Stücke. Die
genaue Kenntnis der Jazzgeschichte und der Jazzpraxis ist freilich
eine Voraussetzung, um auf die Kinder einzugehen und alle ihre Fragen
beantworten zu können und um auf ihre Reaktionen wiederum richtig
reagieren zu können. Es geht ja darum, ihnen Qualität
zu vermitteln, ohne sie zu überfordern.
Was nicht geht, ist die Substanz von Jazzstücken zu pädagogischen
Zwecken zu verdünnen, das wäre eine Mogelpackung.
Gewiss kann ich im Jazz und gerade dort (wegen seiner additiven
Strukturen) beim Erklären mit einzelnen Rhythmen, Akkorden,
Melodien und Klängen arbeiten und wie bei der Darstellung einer
einzelnen Zelle in der Biologie den Keim zum Ganzen aufzeigen. Aber
auch diese einzelnen Elemente müssen den Kindern in gewissermaßen
professioneller Qualität dargeboten werden, ob mit Klatschen,
Sprechen, Singen oder am Klavier. Dann und nur dann sind
sie zu überzeugen. Können Kinder auch selbst Jazz spielen?
Dafür habe ich genügend Beispiele erlebt, um diese Frage
eindeutig bejahen zu können. Schon in den 70er-Jahren leitete
Karl Heinz Buhne, einer der Pioniere der Schul-Big-Bands in Deutschland
am Albert Magnus-Gymnasium in Beckum (bei Dortmund) zwei Big-Bands:
eine deren jüngste Mitglieder 14 Jahre und eine zweite, deren
älteste Mitglieder 14 Jahre alt waren. Seitdem sind viele hunderte
von Schul-Big-Bands an unseren Gymnasien und Realschulen entstanden
Tendenz steigend. Der zehntausendste Teilnehmer (seit 1972)
meiner Burghausener Jazzkurse im August 2000 war zufällig der
13-jährige Pianist Manuel Stübinger aus Kulmbach, der
dann beim Abschlusskonzert als Begleiter wie auch als Solist auffiel.
Solche Fälle hat es in den 28 Jahren der Burghausener Kurse
immer wieder gegeben, und zwar auf allen möglichen Instrumenten.
Generell lässt sich sagen, dass im Schnitt die Spieler und
Spielerinnen im Jazz immer jünger werden und zugleich in ihrer
jeweiligen Altersgruppe immer besser.
Kinder lernen schnell, wenn sie an einer Sache Spaß haben,
und sie lernen gerne in einer Gruppe. Das für den Jazz typische
Wechselspiel zwischen Arrangement und Improvisation wie auch das
gleichzeitige Improvisieren mit verschiedenen Freiheitsgraden ist
für sie sehr anregend. Freilich müssen einige ihre Unsicherheit
vor dem Improvisieren überwinden lernen. Hier macht sich der
Umstand negativ bemerkbar, dass Improvisation immer noch nicht überall
als selbstverständlich angesehen wird und im allgemeinen Musikunterricht
praktisch kaum vorkommt. Aber in den meisten heute in der Entwicklung
befindlichen Musikformen gibt es sie, und man kann ohne Übertreibung
sagen: der Improvisation gehört in der Musik ein großer
Teil der Zukunft. Schon in ein paar Jahren sollten Musikstudenten
bei einer Aufnahmeprüfung auch Fähigkeiten im Improvisieren
nachweisen und ebenso auch die, die sie beurteilen. Damit
sind wir bei einem wichtigen Punkt: der Ausbildung der zukünftigen
Musiklehrer. Der Bundesfachausschuss Musikpädagogik des Deutschen
Musikrats (DMR) hat in den letzten zwei Jahren mit weiteren Fachleuten
ein Memorandum ausgearbeitet, das im Februar 2000 vom Präsidium
des DMR verabschiedet wurde. Darin wird festgestellt, dass die Ausbildung
musikpädagogischar Berufe wesentlich berufs- und praxisbezogener
als bisher erfolgen muss.
Hierzu einige meiner eigenen Gedanken: Musik muss an unseren Schulen
einen höheren Stellenwert bekommen. Die Situation in Frankreich,
wo es außer an einigen Spezialinstituten an den allgemein
bildenden Schulen keinen Musikunterricht gibt, etwa nach dem Motto:
wer sich für Musik interessiert, kann ja zu einem Privatlehrer
oder an eine Musikschule gehen, ist für uns inakzeptabel.
Die Inhalte unserer Musiklehrpläne sind veraltet. Der Musik
des 20. Jahrhunderts und der unseres jetzigen, des 21. Jahrhunderts,
muss mehr Platz eingeräumt werden. Wie können wir Kinder
und Jugendliche überzeugen, wenn wir uns nicht zu der Zeit
bekennen, in der sie und wir leben ?