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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 49
50. Jahrgang | Februar
Konzerte für Kinder
Über die Notwendigkeit erlebnisorientierter Praxis
Konzerte für Kinder eine authentische Erfahrung im
Focus zeitgemäßer kultureller Bildung?
Das zum Leben Notwendige ist gerade das Nicht-Notwendige.
Menschen können an authentischen künstlerischen Gebilden
der Möglichkeit dessen inne werden, was mehr ist als die bloße
Existenz, die sie führen, mehr als die Ordnung der Welt, auf
die sie eingeschworen sind. Diese Worte Adornos findet man
vielerorts in der Diskussion um Sinn und Unsinn kultureller (Allgemein)-Bildung.
Setzt man das Zitat in direkte Verbindung mit der Frage nach dem
Notwendigen und Nicht-Notwendigen in der Vermittlung von Konzerten
für Kinder, so drängt sich ein kritisches Durchleuchten
oftmals formulierter Vorstellungen über Ziele und Inhalte derartiger
Kinderveranstaltungen förmlich auf: Unterliegen diese Konzerte
einem zeitgemäßen Konzept kultureller Allgemeinbildung?
Konzeptionsfehler
Während der Besuch von Konzerten für erwachsenes Publikum
ganz selbstverständlich der Rubrik Freizeitgestaltung
und -vergnügen zuzuordnen ist, steht bei der Vermittlung
live gespielter Musik für Kinder häufig die pure und unmittelbare
Verwertbarkeit eines zu transportierenden Lernstoffs im Vordergrund.
Mitunter liegt der Grund für ein weniger gelungenes Konzerterlebnis
in einer Konzeption, die methodisch-didaktisch vordergründig
auf kognitives Wissen ausgerichtet ist, und insofern eine ästhetische
Tiefenwirkung vermissen lässt. Warum, so drängt sich die
Frage auf, warum setzen sich die für die Konzepte von Konzerten
Verantwortlichen noch immer dem Anspruchsdenken aus, ihre Veranstaltung
müsse, vergleichbar dem Erwerb der Kulturtechniken Lesen, Schreiben
und Rechnen, auf die reine Nützlichkeit von Lernstoff abzielen?
Anders formuliert: Kann der Besuch eines Konzertes für Kinder,
der seinen Höhepunkt im anschließenden Abfragen fachsystematischer
Inhalte über Lebensdaten von Komponisten, harmonische Besonderheiten
oder Raffinessen in der Instrumentation findet, überhaupt einen
Auftrag allgemeiner kultureller Bildung erfüllen?
Krise des Konzertlebens
Das Konzertleben steckt bekanntlich seit längerem in einer
Krise. Hörer bleiben aus, den Abonnenten fehlt der Nachwuchs,
Konzerte für zeitgenössische Musik leben nach wie vor
von einem kleinen, erlesenen Expertenpublikum und Jugendliche gehen
freiwillig fast gar nicht mehr in traditionelle Veranstaltungen,
in denen lediglich sogenannte E-Musik geboten wird.
Aus Publikumsanalysen geht die dringende Forderung nach einer generellen
Umstrukturierung des Konzertbetriebs deutlich hervor. Intensivere
Hörerlebnisse, die für Nachhaltigkeit sorgen und den Wunsch
nach Wiederholung mit sich bringen, müssen her, eben solche
Veranstaltungen, die von ästhetischen Erfahrungen geprägt
sind und grundsätzlich eher auf zweckfreier als unmittelbar
abrufbarer Bildung basieren. Um dieser hochgesteckten Zielformulierung
gerecht werden zu können, gilt es, Inhalte zu wählen,
die die Kinder in das musikalische Geschehen eintauchen lassen und
sie in die Rolle aktiver Mitgestalter versetzen, sei es als Sänger,
Instrumentalisten, Schauspieler, Tänzer oder Rapper. Musikalische
Vielfalt sollte für alle Sparten der E-, U- und Weltmusik ebenso
garantiert sein wie die Einbeziehung weiterer Medien aus anderen
Bereichen der Künste.
Fehler: Monotonität
Nichts wirkt auf ein junges Publikum ermüdender als ein Konzertmoderator,
der mehr oder weniger monoton in der musikalischen Historie schwelgt
und dabei völlig vergisst, dass Kinder in der Regel noch kein
Gefühl für zeitgeschichtliche Dimensionen aufbringen können.
Stilistische Epochen interessieren Kinder bis ins späte Grundschulalter
lediglich in lebendigem Kontext, ebenso bleiben Jubiläen und
Todestage für sie bedeutungslos, solange diese keinen emotionalen
Bezug zum dramaturgischen Verlauf des Konzertgeschehens aufweisen.
Anders bei Wer hat Angst vor Johann Sebastian?, einem
Komponistenportrait der besonderen Art anlässlich des Bach-Jahres
2000. Mit Unterrichtsprinzipien der Elementaren Musikpädagogik
ist an der Lübe-cker Musikhochschule eine Konzeption entstanden,
die bereits Vorschulkindern die Chance bietet, sich auf anregende
Weise mit dem Altmeister auseinanderzusetzen.
Anderen Konzerten gehen mitunter intensive Vorbereitungsphasen
voraus, sei es durch Fortbildungsangebote für Musiklehrkräfte
der allgemein bildenden Schulen und/oder für die jungen Hörer
selbst. Bereits im Vorfeld werden die Kinder zu aktiven Mitgestaltern,
indem sie ein Stück einstudieren oder Instrumente kennen lernen
und ausprobieren. Wenn sie diese im anschließenden Konzert
mit ganz anderen Ohren wiederentdecken, fällt das konzentrierte
Zuhören nicht mehr schwer. Das junge Publikum steht vor einer
neuen, unbekannten Herausforderung, wenn sich ihm, wie in der Glocke
Bremen, im wahrsten Sinne des Wortes, neue Räume für ein
konzert-(haus)-pädagogisches Projekt öffnen. In diesem
Fall werden die Kinder als Konzertveranstalter in die Verantwortung
gezogen, lernen einen professionellen Konzertbetrieb kennen und
gestalten ihre eigene Pressekonferenz.
Zeitgenössische Musik
Einen gleichermaßen behutsamen wie sinnlichen Weg gilt es
auch bei der Vermittlung zeitgenössischer Musik zu beschreiten.
Ob es generelle Unterschiede beim Komponieren für Kinder und
Erwachsene zu beachten gilt, diskutieren im vorliegenden Dossier
drei österreichische Komponisten anhand ihrer jeweiligen Ausgangsmotivation.
Allen ist es ein besonderes Anliegen, Kinder mit einer Musik zu
erreichen, die den Kriterien kindlicher Hörfähigkeit unterliegt.
Im Domforum Köln wiederum werden die jungen Hörer über
selbstproduzierte Klangexperimente mit Körper, Stimme und Materialien
soweit für den Umgang mit Neuer Musik sensibilisiert, dass
das anschließende Anhören der eigens für sie komponierten
Werke ein wahres Erlebnis bedeuten kann.
Wie diese und andere auf den folgenden Seiten vorgestellte Projekte
zeigen, ist es also durchaus möglich, der Vermittlung von Konzerten
für Kinder zeitgemäße kulturelle Bildungskriterien
zu Grunde zu legen. Laut H.W. Heymann definiert sich eine solche,
aktuellen pädagogischen Grundfragen entsprechende Allgemeinbildung
unter anderem über Teilaufgaben wie Lebensvorbereitung zur
Lebensbewältigung, Stiftung kultureller Kohärenz, Entfaltung
von Verantwortungsbewusstsein, Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch
sowie Stärkung des Schüler- oder Kinder-Ichs (Allgemeinbildung
und Fachunterricht, 1997). Mit innovativen, die Fantasie anregenden
Konzeptionen und einem fundierten entwicklungspsychologischen Wissen
über die kultur- und bildungsstiftenden Bedürfnisse junger
Hörerinnen und Hörer wären hier neue Wege einer auf
sinnliche Erfahrungen ausgerichteten, Konzertpädagogik zu beschreiten.
Über theoretische Abhandlungen zur Definition allgemeiner
kultureller Bildung lässt sich möglicherweise streiten,
nicht aber über Ergebnisse einer erlebnisorientierten Praxis:
Wenn es gelingt, allen am Konzertleben Beteiligten klar zu machen,
dass die grundlegende Basis allen Musikverstehens ausschließlich
über das ästhetische, begriffslose, den Sinnen aufgegebene
Verstehen von Musik (H.H. Eggebrecht, Musikverstehen,
1995) zu erreichen ist, eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten
einer neuen Nachhaltigkeit im Bereich der konzertpädagogischen
Arbeit für Kinder.