[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2000/10 | Seite 5
50. Jahrgang | Februar
Feature
Oper als Intendantenqual und großes Menschentheater
Der Tod des Opernintendanten Götz Friedrich stellt Fragen
an die Zukunft der Kunstform Oper · Von Gerhard Rohde
Den vielen Nachrufen zum Tode Götz Friedrichs, des Generalintendanten
der Deutschen Oper Berlin, soll hier nicht noch ein weiterer Beerdigungstext
nachgeliefert werden. Götz Friedrichs Tod, trotz mancher gesundheitlichen
Schwierigkeiten des Verstorbenen plötzlich und unerwartet gekommen,
wirft entscheidende Fragen nach der Zukunft der Oper auf, so wie
sich diese in unseren fünf, sechs Dutzend Musikbühnen
präsentiert.
Götz
Friedrich, Jahrgang 1930 Schüler des legendären Walter
Felsenstein an der Komischen Oper in damals (1953) Ost-Berlin, gehörte,
als er 1981 nach zahlreichen Regie-Gastspielen an europäischen
Opernhäusern die Generalintendanz der Deutschen Oper übernahm,
zu jener immer rarer werden- den Zahl der Regie-Intendanten, die
als ihr eigener Chefregisseur das Opernhaus nicht nur organisatorisch
leiteten, sondern es auch entscheidend ästhetisch prägten.
Man braucht nur einige der markantesten Arbeiten Friedrichs aufzuzählen,
um zu erkennen, wie wichtig Friedrich die Verankerung der Oper und
ihrer Präsentation in einem politisch-gesellschaftskritischen
Umfeld war.
Von Janáceks Oper Aus einem Totenhaus, mit der
Friedrich seine Berliner Zeit begann, bis zu seiner letzten Inszenierung,
Gian Carlo Menottis Amahl und die nächtlichen Besucher,
spannt sich ein weiter Bogen über das Menschentheater, an das
Götz Friedrich bei allen seinen Arbeiten dachte, an ein Theater,
das vom Leben und von Schicksalen des Menschen handelt, das auch
noch in der historischen Kostümierung der alten Geschichten
zu offenbaren vermochte, dass diese scheinbar alten Geschichten
immer noch gegenwärtig sind, heute spielen könnten. Der
Zeit-Tunnel, durch den Friedrich in seiner Berliner
Interpretation von Richard Wagners Ring des Nibelungen
(oben zeigen wir ein Bild aus der Götterdämmerung)
Wagners Götter und Erdenmenschen wandeln ließ, darf für
das Opern-Theater Götz Friedrichs als übergreifende Chiffre
insgesamt gelten: Durch den Zeit-Tunnel steigen wir zurück
in die Vergangenheit, um etwas für uns heute zu erfahren, und
die Figuren der Vergangenheit schreiten aus dem Tunnel, aus der
Vergangenheit, wieder hervor ins Licht der Gegenwart, um zu beweisen,
dass ihre Schicksale von einst nichts an Aktualität verloren
haben.
Friedrichs Opern-Theater der Begriff Musiktheater war insgesamt
doch vielleicht zu eng gefasst dafür, weil das Wort Musiktheater
zu streng auf die reine Musik abzielt, das spezifisch Opernhaft-Theatralische
zurückzuweisen scheint wollte immer den Menschen der
Gegenwart ansprechen. In jeder Kreatur ein Funke Gottes,
das Zitat aus Janáceks Totenhaus stand beziehungsvoll
über wohl allen Inszenierungen Götz Friedrichs, über
den Menschen, denen der Regisseur in den Werken Wagners, Mozarts,
Verdis, Puccinis bis in Alban Bergs Lulu, Henzes Prinz
von Homburg, Schönbergs Erwartung und Moses
und Aron, Bartóks Blaubart oder Debussys
Pelléas et Mélisande begegnete.
Diese Konsequenz einer Theaterarbeit, die in jedem Augenblick,
in jedem Takt gesellschaftskritisch grundiert war, die keine oberflächlichen
Sichtweisen, kein geistloses Amüsement, keine gedankliche Nachlässigkeit
zuließ, war gleichsam zwangsläufig an eine Person gebunden:
an die des Regie-Intendanten Götz Friedrich.
Götz Friedrich.
Foto: kranichphoto
Der Tod Friedrichs, die Kontinuität und Unbedingtheit seiner
Theaterarbeit, ihr gesellschaftskritischer Ansatz, die Konsequenz,
mit der dieser durch alle Jahre, auch in vielen auswärtigen
Gastinszenierungen bis zu den skandalumtosten Interpretationen von
Tannhäuser, Lohengrin und Parsifal
im Bayreuther Festspielhaus durchgehalten wurde, werfen entscheidende
Fragen auf, die über die Berliner Situation hinausreichen.
Wie sollte ein Opernhaus heute geführt werden? Ist der Künstler-Intendant,
ob Regisseur oder Dirigent, noch praktikabel? Im Blick zurück
in die Vergangenheit seit Kriegsende entsteht verwirrende Vielfalt.
Günter Rennert war Regisseur in Hamburg und München und
führte beide Häuser auch als Intendant zum Erfolg. In
Stuttgart präsentierte sich die Schäfer-Aera als äußerst
ertragreich und stabil, wobei der Hausherr nicht inszenierte. Jetzt
funktioniert in Stuttgart die Kombination aus avanciertem Dirigenten
(Zagrosek) und Intendanten (Klaus Zehelein) bestens, weil Zehelein
nicht inszeniert, doch als Chefdramaturg und Denker
agiert. Die Position nahm Zehelein auch schon bei Gielen in Frankfurt
ein, weil Gielen das akzeptierte, funktionierte es glänzend,
auch in der Zusammenarbeit mit avancierten Regisseuren (Berghaus,
Neuenfels). Gielen und Zehelein konnten allerdings auf eine stabile
Basis bauen: Unter Christoph von Dohnanyi, einem Dirigenten, gewann
das Haus musikalisch und szenisch großes, aufregendes Format,
nicht zuletzt aber auch deshalb, weil Dohnanyi zwei hoch qualifizierte
Mitarbeiter zur Seite hatte, die ihm den Glanz ins Haus trugen:
Peter Mario Katona, der heute für Covent Garden arbeitet, und
Gerard Mortier, über dessen Qualitäten hier nichts weiter
gesagt werden muss. Das Festhalten der Frankfurter Kulturpolitik
(Hilmar Hoffmann) am Dirigenten-Intendanten-Modell führte dann
allerdings bei Gary Bertini zum Fiasko, aus dem sich auch ein Sylvain
Cambreling als Nachfolger nicht zu befreien vermochte, weil die
Stadt Frankfurt, darin vergleichbar mit Berlin, bis heute nie wusste,
was sie eigentlich mit einem Theater, sei es Schauspiel oder Oper,
anzufangen gedenkt.
Das Beispiel Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin
lässt für die Zukunft einige Spielarten erkennen, wie
ein Opernhaus, speziell ein besonders großes, produktiv geführt
werden könnte. Entscheidend sind dabei die Kriterien, nach
denen eine Chefposition besetzt werden sollte. Will man (die Politik,
die theaterinteressierte Bürgerschaft), dass ein Opernhaus,
ein Theater, von der Bühne her gedacht wird
wie es einmal Claus Peymann formulierte oder von der Einschaltquote,
sprich: Auslastung, Kasseneinnahme? Dass eine von der Bühne
her gedachte Oper auch hohe Einschaltquoten zu erzielen vermag,
beweist das Beispiel Stuttgart. Das Publikum ist sicher nicht so
dumm, dass es künstlerische Intelligenz gepaart mit hoher Qualität
der Ausführung nicht erkennt und honoriert. Den Gegensatz zu
Stuttgart bildet beispielsweise die Zürcher Oper unter Alexander
Pereira, ein Intendant, der weder Regie führt noch dirigiert.
Bei allem Respekt vor den Leistungen der Zürcher Oper und den
Einnahmerekorden an Kasse und von Sponsoren, hat das Zürcher
Haus kein eindeutiges ästhetisches Profil gewonnen. Die erstaunlich
zahlreichen Premieren, unterschiedlich in ihrem Niveau, sorgen eher
für den Eindruck eines operntheatralischen Gemischtwarenladens,
nach dem Sprichwort: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.
Diese Einstellung ist meilenweit von der künstlerischen Stringenz
eines Götz Friedrich entfernt. Mit der Wahl des Komponisten
Udo Zimmermann zum Friedrich-Nachfolger, der in Leipzig zumindest
partiell viel Wagemut bewiesen hat, signalisierte die Berliner Kulturpolitik
immerhin, dass Götz Friedrichs Arbeit anerkannt wird. Ob Zimmermann
allerdings mit dem Chefdirigenten Christian Tielemann produktiv
zusammenarbeiten könnte, darf mit Vorsicht bezweifelt werden.
Bei der Besetzung der Führungsspitze einer Oper muss heute
mehr als früher auf die Chemie im Team geachtet werden, auf
die Übereinstimmung in künstlerischen Zielen.
Bei der Besetzung der Dirigentenpositionen hatte der machtbewusste
Götz Friedrich auch nicht immer eine glückliche Hand bewiesen.
Götz Friedrichs Opern-Theater befand sich aber stets im Zentrum
unserer Gegenwart. Es wurde politisch begriffen, ohne dabei auf
Kulinarik zu verzichten. Nur so, so könnte man meinen, sei
Oper heute in Anbetracht nicht zuletzt der hohen Kosten wegen, die
sie verursacht, politisch und gesellschaftlich legitimiert.
Dies ist auch keine von außen herangetragene Forderung an
die Kunstform Oper: diese birgt in ihrer ästhetischen Komplexität
soviel Intelligenz, dass man ihr nur mit ebensolcher Intelligenz
begegnen sollte. Das intelligente Vergnügen ist dabei im Anspruch
enthalten. Götz Friedrich hat diesen Anspruch in fast einhundertsiebzig
Inszenierungen und in den zwanzig Jahren Deutsche Oper maximal befriedigt.
Jetzt ist es an anderen, sich dem Vermächtnis verpflichtet
zu fühlen.