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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 29
50. Jahrgang | Februar
IG Medien
Fachgruppe Musik
Streik bei Cats Spielbetrieb vorerst eingestellt
Nicht einmal minimale Tarifstandards für die Beschäftigten
garantiert · Von Susann Witt-Stahl
Seit dem 15. Januar befinden sich die Beschäftigten des Musicals
Cats im Streik. Ein Datum von historischer Bedeutung für die
gewerkschaftlich organisierten Kulturschaffenden der Republik, denn
der letzte gravierende Arbeitskampf an einem Theater fand vor rund
30 Jahren im Hamburger Schauspielhaus statt. Der Cats-Belegschaft
ist es gelungen, eine stabile Streikfront aufzubauen. Der Musical-Konzern
Stella musste den Spielbetrieb im Operettenhaus an der Reeperbahn
vorerst einstellen. Der Countdown läuft: Zurzeit ist fraglich,
ob überhaupt noch eine der letzten sechs Vorstellungen auf
die Bühne gebracht werden kann, bevor das Erfolgsmusical nach
rund 15 Jahren Spielbetrieb von Hamburg nach Stuttgart umzieht.
Im Herbst letzten Jahres waren düstere Wolken am Katzenhimmel
aufgezogen. Die Geschäftsleitung hatte Massenentlassungen angekündigt.
Mehr als 90 Arbeitnehmer sollen in den nächsten Wochen ihren
Arbeitsplatz verlieren. Der Stella-Konzern begründet diesen
Schritt mit seinem Vorhaben, das Operettenhaus in ein Premieren-Theater
umzubauen. Zukünftig sollen auf der Bühne an der roten
Meile weniger personalaufwändige Musical-Produktionen
laufen. Nachdem die Geschäftsführung dem Betriebsrat nur
den Abschluss eines freiwilligen Sozialplans zugestanden und die
Verhandlungen kontinuierlich verschleppt hatte, forderten die IG-Medien-Mitglieder
Stella auf, einen Manteltarifvertrag abzuschließen. Dieser
zielte vor allem auf Sicherung der gegenwärtigen Arbeitsbedingungen
und Vergütungen für die verbleibenden sowie auf angemessene
Abfindungen für die ausscheidenden Arbeitnehmer. Die Konzernleitung
legte daraufhin einen Tarifvertragsentwurf vor, der von den Beschäftigten
als Provokation empfunden werden musste: Musical-Darsteller und
Arbeitnehmer, die eine Betriebszugehörigkeit unter fünf
Jahren oder eine Teilzeitbeschäftigung von weniger als 13 Wochenstunden
vorzuweisen haben, sollten völlig unberücksichtigt bleiben;
für andere waren Abfindungen von weniger als einem halben Monatsgehalt
pro Beschäftigungsjahr vorgesehen. Die Gewerkschafts-Mitglieder
reagierten prompt und führten Warnstreiks vor dem Musical-Haus
an der Reeperbahn durch.
Die Konzern-Bosse präsentierten sich einsichtig und kehrten
zurück an den Verhandlungstisch. Nach nächtelangem, zähem
Ringen lag endlich ein ausgearbeiteter Manteltarifvertrag vor, der
den wesentlichen Forderungen der Beschäftigten Besitzstandswahrung
und Abfindungen für alle ausscheidenden Arbeitnehmer
Rechnung trug. Stella-Vorstandsmitglied Wolf-Dieter Werner, der
die Verhandlungen für die Arbeitgeberseite geführt und
ernsthaften Willen zum Vertragsabschluss suggeriert hatte, erklärte,
dass er den Tarifvertrag erst dem Vorstand und Aufsichtsrat zur
Genehmigung vorlegen müsse. Die Gewerkschaftler setzten ihm
eine Unterzeichnungsfrist bis zum 15. Januar. Nach Ablauf der Frist
erklärte die Konzernleitung lapidar, sie beabsichtige vorläufig
nicht, den Manteltarifvertrag zu unterschreiben. Dass Stella nur
Scheinverhandlungen geführt hatte, wurde letztendlich von der
Geschäftsleitung zwei Tage später der Streik war
bereits in vollem Gange gegenüber dem Vorstand des IG-Medien-Landesbezirks
Nord bestätigt: Ich unterschreibe diesen Tarifvertrag
nicht, deshalb wurde er auch nicht dem Aufsichtsrat vorgelegt,
tönte Stella-Vorstandsvorsitzender Klaus von der Heyde. Ferner
behauptete er, bei dem 13-seitigen Werk handle es sich lediglich
um eine Gesprächsnotiz. IG-Medien-Bezirkssekretärin
Anita Jonack fühlte sich betrogen: Jetzt ist klar, dass
die Arbeitnehmer über den Tisch gezogen werden sollen,
resümmierte das Mitglied der Verhandlungskommission.
Die Cats-Theaterleitung hatte offenbar nicht mit der Entschlossenheit
der Beschäftigten gerechnet. Die große Mehrheit war dem
Streikaufruf der Gewerkschaft ohne Zögern gefolgt. Während
sich die Kollegen aus den Kostümwerkstätten, von der Technik,
Beleuchtung, Inspizienz, den Dressern und anderen Backstage-Abteilungen
gerüstet mit Transparenten und Flugblättern dem Blitzlichtgewitter
des versammelten Medien-Zirkus vor dem Operettenhaus stellten, brach
im künstlerischen Betriebsbüro Hektik aus, die zuweilen
in Hysterie umzuschlagen drohte. Tontechniker, die massiv unter
Druck gesetzt wurden, die Arbeit wieder aufzunehmen, winkten entschieden
ab. Vorher hatte die Geschäftsleitung noch eilig versucht,
Fremdfirmen zu engagieren, musste dann aber feststellen, dass sich
weder der Bundesverband der Beleuchter noch freie Mitarbeiter vom
Studio Hamburg bereit erklärten, Streikbrecherarbeit zu leisten.
Als Theaterleiterin Christiane Kaiser an das Treuepflicht-Gefühl
der Darsteller appellierte, war auch aus den Reihen der Akteure
wachsender Unmut vernehmbar: Warum sollen wir auf die Bühne
gehen; die Leute da draußen streiken schließlich auch
für uns!
1:0 am Millerntor
Einige Minuten nach offiziellem Show-Beginn hatte der The
show must go on!-Mythos die erste Bruchstelle erlitten. Von
der Bühne, auf der jahrelang eine fröhliche Katzenschar
konzertiert hatte, verkündete die Theaterleiterin dem aufgeregten
Publikum mit versteinerter Mine: Die Vorstellung muss heute
Abend leider ausfallen.
In eisiger Kälte harrten derweil die Streikenden vor den Toren
des Musical-Palastes und skandierten den Schlachtruf des vis-a-vis
beheimateten FC St. Pauli: 1:0 am Millerntor, denn die
Gewerkschaftler hatten einen wichtigen Teilerfolg errungen.
Da capo hieß es am folgenden Abend: Die Geschäftsführerin
musste ihre Ansprache vor einem anderen erbosten Publikum im ausverkauften
Theatersaal wiederholen, denn am Millerntor stand es bereits 2:0.
Einzelne Mitglieder der Darsteller und des Orchesters hatten sich
ihren streikenden Kollegen angeschlossen; viele Darsteller meldeten
sich vor Show-Beginn krank. Sie konnten den psychologischen Druck
nicht mehr aushalten, waren mental völlig am Ende.
Mit der Erpressermasche, so der Kommentar des IG-Medien-Landesbezirks
Nord, versuchte Stella-Boss Werner die Streikfront am nächsten
Tag zu brechen.
Durch Pressemitteilung und Aushänge im Betrieb erklärte
er, dass er die 1,5 Millionen Mark, die für den Sozialplan
vorgesehen seien, auf ein Treuhandkonto einzahlen und für jede
ausgefallene Vorstellung hunderttausend Mark von den Abfindungen
der zu entlassenden Arbeitnehmer abziehen wolle. Die streikenden
Gewerkschaftler ignorierten die Drohung. Das 3:0 kam
durch ein Eigentor der Theaterleitung zu Stande; sie sagte die Vorstellung
am späten Nachmittag ab.
Große Empörung löste eine Maßnahme der Geschäftsleitung
am vierten Streiktag aus. Alle Cast-Mitglieder, die sich krank gemeldet
hatten, erhielten schriftliche Order, sich im Operettenhaus von
einem Vertrauensarzt untersuchen zu lassen. Die Theaterleitung
funktionierte die Kantine zum Wartezimmer um. Der Vertrauensarzt
forderte die Betroffenen in Einzelgesprächen auf, ein Formular
zu unterzeichnen, in dem sie ihr Einverständnis zur Entbindung
von der ärztlichen Schweigepflicht erklären sollten. Nachdem
zwei Schauspieler sowohl die ärztliche Untersuchung als auch
ihre Unterschrift verweigert hatten, bereitete der Cats-Betriebsrat
der schaurigen Prozedur ein Ende. Die Arbeitnehmervertretung verlangte
von dem Mediziner eine unverzügliche Erklärung für
sein Vorgehen. Der Arzt behauptete, die Arbeitnehmer seien freiwillig
erschienen, verließ dann aber das Haus, als er feststellen
musste, dass der Betriebsrat sich mit dieser offensichtlich falschen
Information nicht zufrieden gab.
Damit nicht genug: Am nächsten Morgen erhielten alle anderen
Beschäftigten, die sich derzeit im Krankenstand befanden, unerwarteten
Hausbesuch von einem Boten der Geschäftsführung. Dieser
händigte den erkrankten Arbeitnehmern ein Schreiben aus, das
eine Aufforderung der Theaterleiterin enthielt, aus gegebenem
Anlass den Vertrauensarzt in seiner Praxis aufzusuchen.
Weiterhin verlangte Frau Kaiser von den Arbeitnehmern, zukünftig
die ärztliche Bescheinigung bereits am ersten und nicht wie
üblich nach dem dritten Krankheitstag abzugeben. Auch das gesetzlich
garantierte Recht des Arbeitnehmers auf freie Arztwahl wurde verletzt,
denn die Theaterleiterin will nur noch Krankschreibungen des Arztes
ihres Vertrauens akzeptieren.
Solidarisches Phantom
Vor dem Portal des Operettenhauses indes liefen die Streikmaßnahmen
konsequent weiter. Mit Gesängen wie Auf der Reeperbahn
nachts um halb eins, ob Dun Musical siehst oder keins, amüsierst
Du Dich... schunkelten sich die Cats-Kollegen ihren Ärger
von der Seele und machten deutlich, dass sie unbeirrt an ihrer Forderung
nach Unterzeichnung des Tarifvertrags festhalten wollten.
Beim Stand von 6:0 leistete sich die Streikfront ein
Auswärtsspiel vor dem zweiten Stella-Musical in
Hamburg. Weite Teile der Phantom der Oper-Belegschaft
hatte sich in den vergangenen Tagen mit den Forderungen ihrer Kollegen
solidarisch erklärt. Sie wissen, dass Stella spätestens
zum Ende des Jahres auch bei ihnen Massenentlassungen plant und
denken daran, ebenfalls einen Tarifvertrag durchzusetzen.
Die Geschäftsführung hat sich in ihr Musical-Management-Hauptquartier
zurückgezogen. Aus dem Beton-Bunker sind nicht einmal mehr
Drohungen oder Durchhalteparolen zu vernehmen. Günther Metzinger,
Vorsitzender vom IG-Medien-Landesbezirk Nord findet dieses autistische
Verhalten ungeheuerlich. Er fordert die Politiker, die
ansonsten nicht müde werden, die enorme Bedeutung der Musicals
für die Hansestadt zu betonen, zum beherzten Eingreifen auf:
Es darf nicht akzeptiert werden, dass die Stella einen Tarifvertrag,
der gar keine zusätzliche wirtschaftliche Belastung darstellt,
aus ideologischen Gründen ablehnt. Im Gegensatz zu den
Hamburger Politikern üben die Kunst- und Kulturschaffenden
sich nicht in gentiler Zurückhaltung. Aus der ganzen Republik
schwappt der streikenden Cats-Mannschaft übrigens der
aktuelle Spielstand lautet 8:0 am Millerntor
eine Welle der Sympathie entgegen.
Inzwischen hat sich auch die Federation Internationale Des Acteurs
(FIA, Dachverband der internationalen Schauspieler-Gewerkschaften)
eingeschaltet. Präsident Tomas Bolme appelliert an die Stella-Führung,
nun endlich den ausgehandelten Tarifvertrag zu unterschreiben. Im
Falle einer Weigerung will die FIA ihren Mitgliedern von Engagements
in den Stella-Produktionen abraten, denn wenigstens minimale
Tarifstandards müssten sichergestellt sein.