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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 21
50. Jahrgang | Februar
Internet
Digitales Rauschen aus der Zukunft
Überlegungen zum Wandel der Musikwirtschaft durch die Möglichkeiten
des Internets
Dass die weitere Verbreitung des Internets vieles ändern wird,
ist keine sonderlich bahnbrechende Feststellung mehr, sondern löst
eher genervtes Gähnen beim Empfänger der Heils- wie Hiobsbotschaft
aus. Denn während auf der einen Seite teilweise hysterische
Begeisterungsstürme losbrechen, formiert sich berechtigte Kritik
bis hin zu alles in Abrede stellendem Konservatismus auf der anderen
Seite.
Fernab, zwischen den Stühlen, wäre es dennoch spannend
und zumindest ein nicht ganz alter Hut, einmal eine mögliche
Zukunft (unter vielen anderen möglichen) der Vermarktung von
Musik zu beleuchten und schlicht vor sich hinzuspinnen, wie aus
A ein B und zuletzt ein C werden könnte. Um solchermaßen
im Brainstorming-Verfahren wenigstens annährend
realisiert zu bekommen, muss die tatsächliche Situation heute
völlig außer acht gelassen werden. Tun wir also so, als
gäbe es das bestehende Geflecht aus GEMA, Verlagshäusern,
Tonträgerindustrie et cetera gar nicht, in das sich der Künstler
eingebunden sieht.
Napster & Co.
Den Anstoß für ein Andersdenken könnte die momentane
Diskussion über Napster & Co. geben. Da geht es um Musikpiraterie,
zu Felde ziehende Produzenten, aufheulende Künstler und rundum
zufriedene Konsumenten. Nun landet Bertelsmann den Coup (oder den
Phyrrussieg?) und verleibt sich die international beliebteste MP3-Tauschbörse
ein. Doch was stellt man mit dem unter Zwang Adoptierten an, wird
diesem doch auf ewig der Makel des schwarzen Schafs der Familie
anhaften? Möglich wäre eine Kommerzialisierung. Verlangt
man von den auf 30 Millionen geschätzten Napster-Usern weltweit
einen monatlichen Obolus von sagen wir mal 5 US-Dollar im
Monat, käme schon ein ansprechendes Sümmchen zusammen.
Doch wo steht, dass der nun gar nicht mehr rundum zufriedene Konsument
daraufhin nicht zu einem der mittlerweile zahlreichen Konkurrenten
wechselt, bei dem die topaktuellen Chart-Hits wiederum kostenlos
erhältlich sind?
Was hilft also und wo könnte ein möglicher Ausweg zu
finden sein? Flucht nach vorn antreten! Dazu muss erst einmal analysiert
werden, wie sich die augenblickliche Situation in ihrer Einfachheit
tatsächlich darstellt: Auf der einen Seite stehen Produzenten
von Musik, die ihre Musik kommuniziert sehen wollen und sie absetzen
möchten.
Auf der anderen Seite eine Masse von Kommunikationswilligen
in Form von Plattenkäufern, Konzertbesuchern, eifrigen Rundfunkhörern,
jedoch mit schwindender Bereitschaft, dafür tief (oder eher:
immer tiefer) in die Tasche greifen zu müssen. So sehr es auch
viele zugegeben: hauptsächlich außerhalb der Pop-Branche
schmerzen wird: Aber es kommt keiner mehr daran vorbei, ein
wenig wirtschaftlich zu denken. (Und man winke an dieser Stelle
von Seiten der Produzenten von Kunstmusik nicht vorschnell ab, denn
inzwischen findet man bei Napster auch Werke von Cage, Ligeti oder
Boulez zum kostenlosen Download.)
Wir sprechen von morgen und nicht von gestern. Und zu wirtschaftlichem
Denken gehört, dass die Überlegung folgt, wie man die
Intentionen von Anbieter und Nachfragendem unter einen Hut bekommt
beziehungsweise im schlimmsten Falle überhaupt erst einmal
Nachfrage erzeugt. Dazu zählt auch die Hereinnahme von Serviceangeboten,
die bestehende Möglichkeiten schlichtweg toppen und damit die
Bereitschaft auf Konsumentenseite schaffen, für diese Angebote
auch wieder in die Tasche zu greifen. Mit Service, Dienstleistung
oder wie immer man es nennen mag, ließe sich einiges erreichen,
denn die Realität von Napster & Co. ist nicht unbedingt
eitel Sonnenschein:
Music on demand,
Zauberwort der Musikbranche
Vor der (Schaden-)Freude des Users stehen abgebrochene Downloads,
sagenhaft miserable Geschwindigkeitsraten und oftmals nicht komplette
oder in unzumutbarer Qualität bereitgestellte Stücke als
Ergebnis des minutenlangen Downloads. Hier wäre schon eine
erste Stelle, an der sich der Hebel ansetzen ließe. Music
on demand, noch vor drei Jahren Zauberwort der Musikbranche,
ist in der Realität des Internet kaum bis gar nicht anzutreffen.
Was spricht erst einmal technisch dagegen, leistungsstarke
Server aufzustellen, dort die produzierten Titel aufzuspielen und
sie gegen eine Gebühr X zum Download anzubieten? Ja, in der
Tat, technisch spricht nichts dagegen. Was wäre dadurch erreicht?
Nun, zum einen zieht man viele Napster-Freunde auf die eigene Seite
und schafft einen völlig neuen Markt. Zum anderen würden
sich dadurch aber viele interessante Nebeneffekte ergeben. Es wird
leider immer mehr zur Realität, dass Alben zwei, drei potenzielle
Hits enthalten und der Rest der Scheiben aus Füllmaterial
besteht. Bei Music on demand würden jedoch diejenigen
Titel gegen Bezahlung vom Server geladen, die sich nach vorherigem
Probehören auf der Website des anbietenden Künstlers oder
Labels als qualitativ interessant genug erwiesen haben, um dafür
von Seiten des Hörers gerne Zeit und Geld zu investieren. Zudem
würden die Kosten sowohl für Produzent wie für
Konsument weit geringer. Das wiederum könnte dazu führen,
dass die Künstler, also die eigentlichen Produzenten der Musik,
tatsächlich mehr Geld für ihre Arbeit erhalten.
Aber das ist nur ein Teil des Musiklebens in wirtschaftlicher
Hinsicht, denn da warten ja noch Veranstalter mit hohem Bedarf an
finanziellen Mitteln. Zugegeben wird dabei eine vielleicht
bessere Zukunft nicht spontan sichtbar oder vielleicht auch
gar nicht, denn das Projekt concert on demand wäre
ein Flop, noch bevor es starten würde. Die Qualität von
live via Internet übermitteltem Audio oder Video (sogenannten
streaming media) wirkt qualitativ noch immer steinzeitlich. Außerdem
würde das Besondere eines Konzerts vollkommen verloren gehen:
Das Erlebnis einer Konzertsituation. Aber was spricht gegen concert
ticket on demand? Auch hier lässt sich die Tatsache,
dass so etwas kaum versucht und damit online anzutreffen ist, nicht
mit technischen Hürden erklären. Die bestehen nicht. Wie
angenehm wäre es, wenn der potenzielle Konzertbesucher über
eine Website eine Veranstaltung nebst freiem Sitzplatz wählen,
sogleich online bezahlen könnte und die Konzertkarten nach
Bestätigung der Zahlung via Handy und Paybox wenige Sekunden
später auf seinem heimischen Drucker ausgegeben werden und
das Programmheft gleich mit dazu?
Völlige Umstellung des
bisherigen Musikmarktes
Letztlich führte all das on demand zu einer völligen
Umstellung des bisherigen Musikmarktes. Einmal wertfrei betrachtet
und in der Konsequenz zu Ende gedacht: Es könnte letztlich
dazu führen, dass anstelle gigantischer Tonträgerhersteller,
schwer-fälliger Verlagshäuser und um Besucher ringende
Konzertveranstalter eine einzige Instanz tritt: Die Website eines
Künstlers, einer Künstleragentur, eines Kleinverlages
in Form eines Portals, in dem es alles gibt, was dazu gehört.
Alles aus einer Hand: die Musik nebst zusätzlichen Informationen
zum Künstler mit der Möglichkeit, mit diesem Kontakt aufzunehmen;
die Partitur der Musik, so es sich um notierte Musik handelt; ein
Fanshop, in dem man alles mögliche wie das für jeden Fan
obligatorische Shirt mit der Aufschrift www.lachenmann.de
ordern kann; und letztlich Karten für Konzerte, in denen die
Musik gespielt wird mit den entsprechenden Angeboten für Reisemöglichkeiten
und Unterkunft, falls das Konzert nicht am Wohnort stattfindet.
Auch wenn es auf den ersten Blick anders scheinen mag profitieren
würden davon vor allem wenig bis unbekannte Künstler oder
Komponisten von Musik, die man nicht in den Billboard-Charts wiederfindet.
Denn mit geringem Aufwand an Arbeit und Mitteln wäre es möglich,
Menschen fernab der bisherigen Klientel zu erreichen.
Per Palmtop nebst UMTS-Standleitung
Wenn man nun jedoch einmal überdenkt, welche erheblichen Änderungen
dies für viele in beruflicher Hinsicht bedeuten würde,
macht das Brainstorming-Spiel schon wesentlich weniger Spaß.
Die nette junge Dame im Kartenhäuschen der Oper wird zum Hotlineoperator
für Kunden, die Probleme mit dem Online-Verkauf haben. Der
Notensetzer des Verlagshauses wird zum Online-Scorepublisher.
Und in den Verkaufsräumen der Plattenläden wird man nicht
mehr von kompetentem und freundlich lächelndem Personal betreut,
sondern sieht sich von einem auf Inline-Skates fahrenden und per
Palmtop nebst UMTS-Standleitung auf dem Rücken permanent verbundenen
Sales-eJay ununterbrochen umkreist.
Da vergeht einem schon bald ein wenig die Lust und man erinnert
sich wieder an die Kritiker der Verinternetisierung.
Letztlich hat es jeder Beteiligte selbst in der Hand, wie rosig
die Online-Zukunft wird. Und: Es ist ja nur einmal so eine Überlegung
und ein jeder kann sich selbst einen Reim darauf machen.