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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 30
50. Jahrgang | Februar
Jugend
musiziert
Musik ist mein Lebensthema geworden
Jugend musiziert im Gespräch mit Ingeborg Krause
Ingeborg Krause übernahm zu Jahresbeginn 2001 die organisatorische
Leitung des ARD-Musikwettbewerbs im Bayerischen Rundfunk. Damit
verlässt eine Institution nach 35 Jahren gestaltender
Mitarbeit die Bundesgeschäftsstelle Jugend musiziert.
Welche Gefühle, Erfahrungen und Erwartungen bewegen eine Frau,
die mit großem persönlichen Engagement und Treue dazu
beigetragen hat, Jugend musiziert zur erfolgreichsten
Maßnahme für musikalische Nachwuchsförderung in
Deutschland zu machen? Deren Namen von Teilnehmern und Profimusikern
gleichermaßen in einem Atemzug mit dem Deutschen Kammermusikkurs
genannt wird?
Wenige Wochen vor dem beruflichen Neubeginn sind Fragen an Ingeborg
Krause nach dem künftigen Kurs ebenso angebracht wie die nach
dem Moment, als alles begann in den 60er-Jahren in München.
Jugend musiziert: Wie also hat diese lange Beziehung begonnen?
Ingeborg Krause: Kurz nach Abschluss meiner Ausbildung
zur Bürokauffrau in Regensburg entdeckte ich am Faschingswochenende
1966 in der Zeitung eine Stellenanzeige des Gustav Bosse-Verlags
für eine Sachbearbeiterin in München. Ich wollte weg
aus Regensburg, bewarb mich also, wurde angenommen und stand vier
Wochen später bei Eckart Rohlfs im Büro, den ich bis
dahin gar nicht kennen gelernt hatte. Mein erster Arbeitgeber
war die Jeunesses Musicales Deutschland, erst später ist
Jugend musiziert übergegangen auf den Deutschen
Musikrat, unter dessen Dach Jugend musiziert sich
ja heute befindet.
JM: Wie klar war denn in diesem Moment, dass Musik eine
immens wichtige Rolle in diesem Büro spielen würde?
Krause: Der 1. April begann mit einem Schock, als ich
in München nach meiner musikalischen Ausbildung gefragt wurde.
Ich konnte nur den Musikunterricht in der Schule vorweisen, derlei
Qualifikationen waren für das Stellenprofil nicht genannt
worden! Ich habe mittlere Reife und eine Ausbildung zur Bürokauffrau
gemacht. Zuvor war ich fünf Jahre bei der Industrie und
Handelskammer in der Auslandsabteilung. Mit Hilfe einschlägiger
Literatur habe ich mir die nötigen Musikbegriffe angeeignet.
Als erste Aktion schaute ich mir dann den Landeswettbewerb Bayern
in Augsburg an.
Am 2. Juni begann der 3. Bundeswettbewerb in Bremen. Ein wunderschöner
sonniger Pfingstsonntagmorgen, die Glocken läuteten
und ich musste ins Büro gehen! So ist das dann 34 Jahre lang
geblieben!
Der zweite Schock am 1. April kam, als Rohlfs mir, am Tag vor
seiner Abreise nach Paris auftrug, Karteikarten abzutippen. Das
waren gewissermaßen die Vorgänger der späteren
Bläserliteraturlisten. Die Kopien sollte ich ihm per Zug
nach Stuttgart zu einer Tagung bringen. Bis dahin hatte ich Rohlfs
nur einen Tag zu Gesicht bekommen und war mir sicher, ihn nicht
mehr wiederzuerkennen!
Bei dieser Tagung dann knüpfte ich erste Kontakte. So lernte
ich das Ehepaar Wucher kennen, er hatte damals den Vorsitz im
Verband Deutscher Musikschulen übernommen. Auch mein jahrelanger
Kontakt zu Eberhard Schmidt, dem Gründer der Kammermusikkurse,
oder zu Hans-Joachim Vetter, der über Jahre die Literaturlisten
Jugend musiziert betreut hat, ist bei dieser Tagung
entstanden.
JM: 35 Jahre in einem Projekt, das sich von Jahr zu Jahr
veränderte und vergrößerte, zu arbeiten, bedeutet,
dass die Vielfalt der Aufgabenstellung wuchs.
Krause: Ich war damals die einzige Bürokraft bei
Jugend musiziert, machte also buchstäblich alles
allein.
JM: Wann wurde der Kammermusikkurs gegründet? Gehörte
die Betreuung dieser Anschlussfördermaßnahme auch zu
den Aufgaben der Sachbearbeiterin Ingeborg Krause?
Krause: Nicht von Anfang an. Eberhard Schmidt hat vom
1. Wettbewerbsjahr Jugend musiziert an den KMK als
begleitende Maßnahme eingeführt. Ab 1969 hat er die
Geschäftsstelle um Mithilfe gebeten. Mit ersten kleinen Aufgaben
beginnend, habe ich dann in späteren Jahren immer selbstständiger
in diesem Thema gearbeitet.
JM: Im Blick zurück auf 35 Jahre Jugend musiziert,
welche persönlichen Highlights hat es gegeben?
Krause: Dazu gehörte beispielsweise, dass wir ab
1967 die ersten Kontakte zu den europäischen Nachbarwettbewerben
knüpften, das war der Kern der EMCY, die dann 1970 offiziell
gegründet wurde. Eine Zeit lang hatten wir ein deutsch-französisches
Jugendaustauschprogramm, einen deutsch-französischen Kammermusikkurs.
1968 machten wir mit Preisträgern eine Konzertreise von Köln
über Ostende nach Paris. Ein Streichquartett und eine Kontrabassistin
hatten wir dabei, das war unser erstes europäisches Konzert!
Für mich war das die erste große Dienstreise ins Ausland.
Später führten mich Reisen mit Jugend musiziert-Preisträgern
dann bis Zentralasien und Japan.
JM: Wenn man die Lebenswege so vieler Musikerinnen und
Musiker begleitet, ergeben sich bestimmt viele Kontakte?
Krause: In den ersten Wettbewerbsjahren hatte ich praktisch
mit allen Preisträgern Kontakt. Dadurch, dass der Wettbewerb
immer umfangreicher wurde, war das nicht mehr so leicht möglich.
Über den Kammermusikkurs traf ich dann die Preisträger
wieder. Dort zum Beispiel hatte ich intensiv Kontakt zum Cherubini-Quartett
oder zu den Geschwistern Meyer. Und natürlich habe ich eifrig
die Münchner Konzertszene verfolgt und immer wieder festgestellt,
dass ehemalige Jugend musiziert-Preisträger dort
auftauchten. Wir waren stolz, dass diese erfolgreichen Künstler
Mal aus unserem Stall kamen!
JM: Damit war die Musik aber endgültig in das Stellenprofil
eingezogen!
Krause: Ja, und ich kann sagen, dass ich die Musik zu
meinem Lebensthema gemacht habe. Ich habe die entscheidenden Impulse
für mich sicherlich beim Kammermusikkurs bekommen und durch
den Kontakt mit den Musikerinnen und Musikern eine sehr hohe Sensibilität
kennen gelernt. Dadurch hat sich mir auch die Frage gestellt:
Was kann ich persönlich tun, damit sich die Musiker wohl
fühlen? Durch ein angeborenes Organisationstalent habe ich
vielleicht auch gute Voraussetzungen dafür mitgebracht.
Ich habe mir natürlich oft gewünscht, selbst ein Instrument
spielen zu können. Dann aber habe ich für mich festgestellt,
es ist ebenso wichtig, dass es aufmerksame und sachverständige
Zuhörer gibt und habe das Gefühl von Mangel verloren.
Ich habe einfach gespürt, dass mich die jungen Leute und
die Profis, die die Kurse geleitet haben oder in der Jury saßen,
um meinetwillen schätzten. So habe ich im Lauf der Jahre
meinen Platz gefunden, in dieser Welt die durchaus meine Welt
geworden ist.
JM: Dieser Platz war ja ein gestalteter Platz, welche Kontur
haben Sie ihm gegeben?
Krause: Vielleicht Zuverlässigkeit in der Arbeit.
Die anderen konnten sich verlassen, dass das, was ich mache, in
Ordnung geht. Vielleicht habe ich dem Wettbewerb keine Richtung
nach draußen gegeben, aber ich denke, wenn man seine Persönlichkeit
entwickelt, hat man dadurch auch eine Qualität, die man in
die Waagschale werfen kann. Zunächst bin ich in diese Welt
hineingeraten, aber so konnte ich eine Seite in mir entwickeln,
die nicht nur mir, sondern auch der ganzen Sache gut getan hat.
Und so habe ich mich voll reingeschmissen. Auf diese Art und Weise
habe ich vielleicht auch keine eigene Familie gegründet,
ich hatte ja eine große Familie!
JM: Gab es Zeiten, in denen der Gedanke an einen beruflichen
Wechsel laut wurde?
Krause: Ja, oft hatte ich Krisenzeiten, wenn der Druck
zu groß war oder das Pensum zu riesig. Nur war dann die
Frage, wohin, denn dass ich diese Welt nicht verlassen wollte,
war mir längst klar. Wo also war der Bereich, in den ich
meine Erfahrungen einbringen konnte?
JM: Die Idee, zum ARD-Musikwettbewerb zu wechseln, ist
auch durch einen frühen Jugend musiziert-Kontakt
zu Christoph Poppen, einem Teilnehmer am Kammermusikkurs in den
60er Jahren entstanden.
Krause: Vor Jahresfrist war er an mich herangetreten,
um mich zu fragen, ob ich zusammen mit ihm, dem neuen künstlerischen
Leiter, den Musikwettbewerb der ARD machen wolle. Meine Bedenken
und Argumente hat er ziemlich schnell aus dem Weg gefegt, und
dann begann es mich zu reizen, vor allem, da ich ja über
Jahre den ARD-Wettbewerb als großes Vorbild vor mir gesehen
habe! Ich war bei fast allen Abschlusskonzerten, traf dort immer
wieder auf ehemalige Jugend musiziert-Preisträger.
Bis heute sind sie nicht nur unter den Teilnehmern, sondern auch
unter den Preisträgern.
JM: Der ARD-Musikwettbewerb ist ein anderes Kaliber. Es
geht um Geld, um Plattenverträge. Die mitwirkenden Künstler
sind Profis. Welche Ihrer Eigenschaften sind solch einem Wettbewerb
nützlich?
Krause: Erstens kann ich mein Organisationstalent einbringen,
zweitens bin ich überzeugt, dass auch die Profis, die an
diesem Wettbewerb teilnehmen, jemanden brauchen, der mütterlich
für sie sorgt, im Hintergrund ebenso wie im Vordergrund.
JM: Ist der Abschied von Jugend musiziert und
dem Kammermusikkurs ein trauriger Abschied?
Krause: Am schwersten fällt mir der Abschied vom
Kammermusikkurs, weil er doch zu meinem Kind geworden
ist. Und weil ich hier kreativ am stärksten eingreifen konnte,
was draus zu machen, so dass es für die Jugendlichen eine
schöne Erfahrung wird, zum Kammermusikkurs zu gehen. Im Laufe
der Jahre sind auch wunderbare Freundschaften gewachsen, auch
davon Abschied zu nehmen, fällt mir nicht leicht. Aber es
wird ja nicht alles gekappt, was sich in 35 Jahren entwickelt
hat. Und persönliche Freundschaften bleiben ohnehin bestehen!
JM: Vom Abschiednehmen abgesehen, gibt es ja doch andererseits
den freudigen Aspekt.
Krause: Ja, ich freue mich natürlich auf die neue
Herausforderung, ich merke, wie viel ich drüber nachdenke.
Der ARD-Musikwettbewerb lebt in seinem 50. Jahr, seine Form ist
eingespielt, seine Organisation hat sich als sehr tragfähig
herausgestellt.
JM: Liebe Frau Krause, haben Sie denn für die Weggefährten
dieser Jahre noch eine Nachricht auf dem Herzen?
Krause: Ich möchte mich bei all den Menschen bedanken,
die mir geholfen haben dorthin zu kommen, wo ich jetzt und heute
stehe.
Das Gespräch mit Ingeborg Krause führte
Susanne Fließ während des Aufbau-Förderkurses für
Kammermusik-Ensembles am 11. November 2000 in Trossingen.