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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 14
50. Jahrgang | Februar
Initiative
Konzerte für Kinder
Tacho als Basslinie Blinker als Ostinato
Die Gründerin Monique Mead über ihr Konzept Klassik
for Kids
Mein erster Orchesterbesuch war einer der peinlichsten Momente
meiner Schulzeit. Tausend Menschen passten auf die ausgefahrenen
Bänke in der Turnhalle der Bountiful High School und tausend
zappelige Jugendliche wurden dort mit Bussen hingebracht, um ein
Konzert der Utah Symphony zu erleben. Die Stimme des Dirigenten
hallte durch den Raum. Im ernsten Tonfall erzählte er eine
deutsche Kindergeschichte über einen scherzhaften Till Eulenspiegel.
Danach kamen 25 Minuten schwer erkennbare Musik. Schon nach den
ersten Minuten fingen die Kommentare an, die alles von doof
bis langweilig abdeckten. Am Schluss kam noch die Musik
aus dem Film Krieg der Sterne, um den Jugendlichen einen
guten letzten Eindruck mitzugeben.
Dieser Versuch, Kindern klassische Musik näher zu bringen,
zeigt Fehler, die ich mir für meine eigene Arbeit merken wollte:
Kein persönlicher Zugang: Man hat den Eindruck, es spiele
eine Masse Musiker gegen eine Masse Kinder, und beide Seiten verlieren.
Falscher Ort: Eine Turnhalle oder Schulaula wird immer mit Sport
oder Schule verbunden. Die Musik lebt auch von der besonderen
Atmosphäre des Konzertsaals. Es ist jede Bemühung wert,
den Kindern die Musik in dem passenden Ambiente nahe zu bringen.
Unzugängliche Thematik: Es wird keine Verbindung zu Bereichen
geschaffen, die die Zuhörer direkt betreffen. So bleibt die
Musik schwierig und unnahbar.
Klassik für Doofe: Die Kinder merken, dass der Dirigent
oder Moderator zu ihnen herab spricht oder dass Musik gewählt
wird, die unpassend ist. Der Dirigent, der Moderator oder das
Orchester ist schlecht vorbereitet, denn es sind ja nur
Kinder und der Anspruch fehlt.
Unvorbereitete Pflichtveranstaltungen: Die Lehrerin liefert
strenge Ermahnungen für anständiges Benehmen und ruhiges
Verhalten beim Konzert. Dadurch fühlen sich die Kinder schon
eingeschränkt und wenig motiviert. Der Konzertbesuch wird
als Pflicht statt Freude empfunden.
Auch wenn ein positives Vorbild fehlte, hatte ich aber doch durch
negative Erlebnisse begriffen, was nicht funktioniert. Die ersten
Pläne wurden entworfen und regten Interesse von Schulleitern,
Musikern und Veranstaltern. Nur die Möglichkeiten und finanziellen
Mittel diese in die Tat umzusetzen fehlten. Wer hätte geahnt,
dass meine große Chance in dem Land kommen würde, in
dem die meisten glauben, es am wenigsten nötig zu haben: im
Land Bachs, Beethovens und Brahms!
Während eines Empfangs nach einem Soloauftritt mit der Philharmonia
Hungarica 1997 wurde ich nach meinen anderen Interessen
gefragt. Es folgte ein Gespräch über Musikbildung und
die Erziehung eines neuen Konzertpublikums, was mir sehr am Herzen
lag. Zu meiner Verwunderung, hörte ich, dass dieses Orchester
gefährdet war und dass sogar in Deutschland die Publikumszahlen
zurück gingen. Bald hatte ich schon meine ersten Verträge
für Familienkonzerte in Nordrhein-Westfalen.
Begeisterte Kinder sollen Ihre Eltern überzeugen, sie
am Wochenende ins Konzert zu bringen, um klassische Musik zu erleben.
Klingt utopisch? Doch so ist es, und in manchen Städten funktioniert
dieses Konzept schon vier Jahre lang. Und wie erreicht man das?
Durch interaktive Workshops in Schulen, die für das folgende
Familienkonzert begeistern.
Etwa zwei Wochen vor dem geplanten Familienkonzert besuche ich
Schulen, um Kinder auf das Konzert aufmerksam zu machen. Die Workshops
finden im Klassenzimmer statt mit nicht mehr als 30 Kindern, damit
jeder aktiv beteiligt sein kann. Die Kinder freuen sich auf den
Besuch und sind aufgeregt und neugierig, da sie etwas anderes erleben
dürfen als den normalen Unterricht. Zum Einstieg stelle ich
meine Violine, mein Baby vor. (Sie heißt
Vuillaume und wurde vor 140 Jahre in Frankreich geboren.)
Dann lauschen die Kinder schon fasziniert auf den Klang des Instrumentes,
das ihnen bislang recht fremd ist und viele hier erstmals live hören.
Ich stelle die Thematik vor: Etwas, was sie schon kennen, zum Beispiel
Autos, und frage sie, was die wohl mit Musik zu tun hätten.
Bald entdecken sie, dass ein Auto viele rhythmische Teile hat: die
Scheibenwischer, den Motor oder die Blinker. Wir machen diese Rhythmen
mit Bewegungen und Orff-Instrumenten nach, zunächst jeder Rhythmus
als eigenes Ostinato und dann alle Ostinati gleichzeitig. Es kommt
der Tacho in Form einer Basslinie dazu, gespielt auf Klangstäben;
und wenn alles im Takt sitzt, steige ich mit der Geige als Radio
ein und spiele eine passende Melodie dazu. Kinder und Lehrer sind
begeistert von ihrem eigenen Können und freuen sich um so mehr,
wenn sie erfahren, dass dieses Stück auch im Konzert gespielt
wird und dass Kinder aus dem Publikum die Chance haben auf die Bühne
zu kommen und als Scheibenwischer oder Blinker mitzuspielen. Meistens
läutet die Schulglocke viel zu früh. Weiter machen!
Wir brauchen keine Pause, rufen die Kinder. Zur Vertröstung
bekommt jedes Kind eine Autogrammkarte in die Hand, auf der hinten
die Konzertdaten stehen. Wir kommen bestimmt! sagen
sie, als sie mich über den Schulhof zum Auto begleiten.
Fußball a Tempo: Synergien
von Sport und Musik nutzen. Foto: M. Mead
Ein gutes Kinderkonzert braucht Genauigkeit und Flexibilität.
Wichtige Elemente sind: ein interessantes Thema, präzise Planung
der Texte und Höraufgaben und Möglichkeiten für die
Kinder beim Konzert aktiv mitzumachen. Eine meiner ersten Aufgaben
bekam ich von der Stadt Gelsenkirchen, die mir sagte, dass es 20
Jahre lang keine Kinderkonzerte in dieser Stadt gegeben hätte.
Nun wollte die Sparkasse ein größeres Projekt fördern
und gab mir als Zielgruppe die 5. bis 7. Klassen. Ich sollte die
Gymnasien besuchen und daraufhin einen Konzertsaal mit 1.000 Plätzen
zweimal füllen! Nach langer Überlegung kam ich auf das,
was in Gelsenkirchen nicht zu übersehen ist: Fußball
und speziell der Verein Schalke 04. Warum nicht? Ist ein Orchester
nicht auch eine Mannschaft mit einem Trainer? Passen
sie nicht musikalische Themen hin und her, wie etwa in Beethovens
Fünfter? Und geht es auf dem Fußballfeld nicht auch um
das richtige Tempo? Zusammen mit Spielern und dem Trainer der Schalker
Jugendmannschaft und der Neuen Philharmonie Westfalen brachten wir
ein Konzert zum Thema Fußball a Tempo! auf die
Bühne. Die Fans und Kids waren begeistert. Seither ist Klassik
for Kids in Gelsenkirchen zu einem festen Bestandteil der
kulturell-musikalischen Jugendbildung geworden.
Auch andere Orchester und Sponsoren haben die Wichtigkeit der
Heranführung von Kindern und Jugendlichen an die klassische
Musik erkannt und arbeiten mit dem Konzept Klassik for Kids,
um eine neue Zuhörerschaft für diesen Bereich der Musik
aufzubauen. Mit Orchestern wie dem Pittsburgh Symphony Orchestra,
dem Gürzenich Orchester Kölner Philharmoniker,
den Bochumer Symphonikern und dem Mainzer Kammerorches-ter sind
bereits viele Projekte zustande gekommen. Bei meinen Workshops werde
ich oft von den Lehrern gefragt, ob sie meine Ideen verwenden können
und ob ich weitere Tipps vermitteln könnte, um die Schüler
im Unterricht zu begeistern. Über dieses Interesse freue ich
mich immer ganz besonders. Und wenn ich höre, dass es in den
weiterbildenden Schulen überall an Fachkräften mangelt
und dass in den Grundschulen fast 92 Prozent der Lehrer Musik fachfremd
unterrichten oder den Musikunterricht sogar ganz ausfallen lassen
müssen, bin ich um so stärker motiviert, etwas für
die Lehrer zu unternehmen. Also entwickelte ich im vergangenen Jahr
den dritten Teil des Klassik for Kids-Konzeptes in Form
von Lehrerseminaren.
Etwa drei Monate bevor das geplante Konzert in der jeweiligen
Stadt gespielt wird, kommen Lehrer aus der Region zu einem ganztägigen
Fortbildungsseminar, bei dem sie Material, CDs und andere Hilfsmittel
erhalten, um das Konzertthema vorzubereiten. Zum einen lernen sie
sehr praktische Methoden, um Musik auf lebendige Art in ihren Klassen
zu vermitteln. Daneben erhalten sie Tipps, wie sie Musik auch fachübergreifend
verwenden können, um den Spaß an der Mathematik oder
auch im Deutschunterricht zu steigern. Wir brauchen praktische
Mittel höre ich immer wieder und wenn sie erschöpft
nach Hause gehen, wissen sie, dass sie im Seminar praktisch gearbeitet
haben... und sie kommen immer wieder zurück.
Andere Arten von Seminaren werden für Orchestermusiker veranstaltet,
deren Musiker die Aufgabe übernehmen sollen, die allgemein
bildenden Schulen zu besuchen. Auch diese hoch qualifizierten Musiker
lernen viel und freuen sich regelmäßig über die
Seminare, da sie Spaß am Gestalten von Workshops haben und
darin einen vollkommen eigenständigen Bereich ihrer Arbeit
sehen, bei dem sie endlich einmal selbstständig Entscheidungen
treffen können.
Über mehrere Jahre hat sich nun das Konzept Klassik for
Kids entwickelt und ist mit seinem momentanen Dreisäulen-Modell
gereift. Mittlerweile sind mehr als zehn verschiedene Programme
für unterschiedliche Besetzungen inklusive dem dazu passenden
Seminarmaterial erarbeitet worden; und es kommen jedes Jahr zwei
neue Programme hinzu.
Der Bedarf in Schulen und bei den Orchestern ist immer noch vorhanden.
Es ist aber auch ein attraktives Paket für Sponsoren, die in
Kultur und Kinderausbildung investieren wollen. Entsprechend groß
ist das Potenzial dieses Gesamtkonzeptes.
Ich freue mich auf das neue Forum, das die Jeunesses Musicales
geschaffen hat, und hoffe dadurch in Kontakt mit Menschen zu kommen,
die ebenfalls über langfristige Lösungen der Musikbildung
nachdenken und sich dafür engagieren.