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nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 1
50. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Werkstatt für Alltags- und Zukunftsmusik
Die neue musikzeitung in ihrem fünfzigsten Jahrgang ·
Von Eckart Rohlfs
Zum ersten Mal ziert eine 50 die Kopfzeile dieses Blattes. Die
nmz startet in ihren Halbjahrhundert-Jubeljahrgang. Doch feiern
dürfte sie die Vollendung ihrer ersten 50 Jahre frühestens
zum Ende dieses Jahres, und ganz korrekt sogar erst dann, wenn im
Mai 2002 der wirkliche Jahrestag naht. Der Aufbruch zu neuen publizistischen
Gefilden fand im Frühling 1952 zwischen Bayreuth und München,
hauptsächlich aber in Regensburg statt. Da startete eine
Zeitung für die junge Musikwelt, wie die Null-Nummer
ihren Kopftitel unterschrieb. Konzipiert für eine aufstrebende,
aufbegehrende Zielgruppe: Musikalische Jugend Jeunesses
Musicales. Damals hieß es noch herausgegeben von der
Musikalischen Jugend Deutschlands, später für
die Musikalische Jugend, und noch später für ein gutes
Dutzend weiterer Zielgruppen.
Die
Musikalische Jugend heißt heute Jeunesses Musicales Deutschland
und ist die zweite Jubilarin. Denn diese seinerzeit für Deutschland
völlig neuartige Jugend-Musikbewegung war gerade, zum Jahresende
1950 ins Leben gerufen worden. Nicht im Schatten des Grünen
Hügels, sondern als das andere Bayreuth, von dem
heute noch das Jugend-Festspieltreffen geblieben ist. Und am 22.
März werden sich tatsächlich ein paar Jeunesses-Senioren
in Bayreuth des Geburtstages der Vereinseintragung erinnern.
Folglich haben wir ein echtes Jubel-Paar, dessen vor einem halben
Jahrhundert eingegangene Ehe wider alle zeitgenössischen Gepflogenheiten
bis heute unerschütterlich hält, ja heute noch gedeiht.
Dass ein Journal fünf Jahrzehnte hindurch sein Potenzial nicht
verjubelt, sein Gesicht, seine Haltung gewahrt und fortgeschrieben
hat, ein lebendes Forum geblieben ist, liegt sicher am Engagement
einiger hemdsärmeliger Zeitungs- und Kulturmacher, die die
bis heute gültige Konzeption der ersten Stunde nicht vergessen
haben: eine Zeitung aus dem Gegenwartsgeschehen und aus dem
spezifischen Gesichtswinkel, mit dem die weltoffene Jugend unserer
Zeit Musik erlebt zu gestalten. So hiess es beim Start dieses
neuen Musikjournalismus 1952. Musik als Tagesereignis an die
Brennpunkte unserer Gesellschaft zu bringen, und dabei Spannungsfeld
für Auseinandersetzungen zu sein; Schauplatz für
die Begegnung des Gestern mit dem Heute und Morgen in der Musik
das war schon damals die Intention.
Unter solchen Vorzeichen wollte der junge Verleger Bernhard Bosse
etwas Neues schaffen: neu im Geist, neu in der Form. Nicht als enge
Fachzeitschrift, sondern bewusst als offenes Zeitungsforum. Obwohl
im soliden Gustav Bosse Musikbuchverlag zu Regensburg damals schon
20 Jahre lang die traditionsreichste Musikzeitschrift auf dem deutschen
Markt, die über 100 Jahre zuvor von Robert Schumann gegründete
Neue Zeitschrift für Musik, erschien, hatte die
Gründung eines frischen, unbelasteten Musikperiodikums für
Bernd Bosse klare Priorität. Zu Gunsten dieser Musikalischen
Jugend wurde die alte NZfM ein paar Jahre später
unbegreiflich für die Hüter der Geschichte gerne
an einen anderen Verlag versilbert.
Die neuartigen und ungewohnten Ideen, ja manch kräftige Attacke
der Jeunesses, die sich mitunter hart an der traditionsverkrampften
Haltung der durch Krieg und Nazi-Jahre müde gewordenen Pädagogen
rieben, führten zu Lernprozessen auch bei weiteren Partnern.
Denn die 1969 umtitulierte Neue Musikzeitung hatte inzwischen
weitere gesellschaftliche Verbände motiviert, sich dieses Forums
als Verbandszeitschrift zu bedienen. Man spürte, dass sich
kultur- wie verbandspolitische Anliegen mit der nmz erfolgreich
transportieren und ins Gespräch bringen liessen. Das zeigten
mutige und offene, mitunter aggressive Dispute, für welche
die nmz die richtigen Worte fand. Oft nahm sie in ihren kulturpolitischen
Beiträgen kein Blatt vor den Mund, was ihr manch führende
Kraft im deutschen Musikleben übel nahm zum Beispiel
als es um die sterbenden Konservatorien ging und geheime
Reformpläne der Bildungsfunktionäre transparent gemacht
wurden. Oder mit der Künstlerenquête: Sie weckte Politiker
wie Betroffene aus ihrem existenzbedrohenden Tiefschlaf. Betroffene
mischten sich endlich ein, als zur Musik in der Planung der
Städte aufgerufen wurde.
Unglaublich schizophren
Unglaublich schizophren verhielt und verhält sich diese nmz
dem Anschein nach mitunter. Sie kritisiert Missstände und Fehlentscheidungen.
Dolce far niente wird angeprangert, wenn Untätigkeit in Gremien,
Behörden oder auf Politikerebene dazu Anlass gibt. Kritik und
Missmut richtet sich manches Mal sogar gegen die eigenen Leserschichten.
Wenn diese Zeitung dann mal übermütig mit allzu loser
Feder zuschlägt, sind es existenzielle Gratwanderungen für
ein Blatt, das sich unabhängig gebärdet, sein will, ist.
Aber auch das gehört zum Service: Müde munter zu machen,
aufzuwecken, aufzuschrecken. Oder einfach Kommunikationspartner
zu sein. Für Richard Jakoby, seinerzeit Musikratspräsident,
überwog sichtlich der konstruktive Weitblick, als er mir, dem
vom Musikrat abhängig Beschäftigten, diese zwiespältig
wirkende Nebentätigkeit in der nmz-Redaktion nicht verübelte,
als wieder einmal kritische Berichte die Oberen von Deutschlands
Musikdachverband missstimmten: Ich ersuche Sie sogar ausdrücklich,
weiterhin für die nmz tätig zu sein. So ist es geblieben,
von der Mitgründung bis zum 50. nmz-Jahrgang.
In der Tat verstand und versteht sich die nmz seit ihren Gründertagen
als Servicebetrieb mit eigenem Kopf. Sei es, die Musikschularbeit
zu begleiten; sei es, Musikratsprojekten wie Jugend musiziert
oder dem Bundesjugendorchester regelmäßig zu Resonanz
und Wirkung zu verhelfen. Oder eben all jenen Beratung und Unterstützung
zu geben, die berufsmässig oder als Liebhaberei für, mit
und von Musik leben, die sich dafür lebenslang selbst die Ketten
angelegt haben. Vieles davon, das darf ruhig einmal gesagt werden,
leistet(e) die nmz freiwillig, regelmäßig, ohne vertragliche
Bindung.
Nun, ein Jubiläum verführt dazu, Rückschau zu halten.
Dringlicher ist es aber, um das aktuelle Tagesgeschehen Musik weiterhin
bemüht zu sein, mitzugestalten, Impulse zu geben. Sei es für
die Hauptsache Musik in unserer Gesellschaft, in der Welt von heute,
aber auch morgen und übermorgen. Denn die nmz verstand sich
stets als Zukunftswerkstatt. Das nicht nur alle Jubeljahre, aber
im Jubeljahr erst recht. Nicht mit Jubelgeschrei, aber weiterhin
wortgewaltig und letztlich immer konstruktiv als Vorreiter, Denker,
Stabilisator (so zum Beispiel mit unserer Zukunftswerkstatt
Musik auf Seite 3). Weil es überlebensnotwendig ist,
sich klar zu machen, welche Rolle die Musik und zwar gute
Musik im nächsten Jubeljahr (das wäre ungefähr
2051) spielen wird für die Kinder unserer Enkel.