[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/02 | Seite 7
50. Jahrgang | Februar
Musikwirtschaft
Erfolgsgeschichte mit einigen Brüchen
Spuren der Vergangenheit: 200 Jahre Peters-Verlag
Es begann mit zwei Gastspielen im Leipziger Gewandhaus 1799. Damals
bereisten Franz Anton Hoffmeister vielseitig begabter Musiker,
Komponist und Verleger sowie der Flötist Franz Thurner
eine Reihe europäischer Städte. Das aus Wien stammende
Duo hatte auch in Leipzig Erfolg, der für Thurner wie üblich
mit dem Applaus und der Auszahlung der Gage endete. Hoffmeister
dagegen fand Gefallen an der Stadt, blieb hängen und ging auf
die Suche nach einem geeigneten Partner vor Ort zwecks
Gründung einer Musikfirma. Der unternehmerische Kontrapunkt
war bald gefunden: Ambrosius Kühnel, der seinerzeit Organist
an der katholischen Kapelle in der Pleißenburg und Geiger
im Gewandhausorchester war. Gemeinsam gründeten sie am 1. Dezember
1800 eine Firma mit Notenstecherei, Druckerei, Verlags- und Instrumentenhandlung.
Ihr Name: Bureau de Musique. Anfang 1805 trat Hoffmeister aus der
Firma aus. Kühnels Erben verkauften den Verlag 1814 an den
Leipziger Buchhändler Carl Friedrich Peters (17791827),
der das Verlagsprogramm gezielt vergrößerte. Peters ist
bis heute Namenspatron des Verlages.
Der
eigentliche Aufschwung zum Unternehmen von Weltgeltung startete
aber erst vier Jahrzehnte nach seinem Tod im Jahre 1867: In seinem
Bestreben, gute Qualität billig zu produzieren stieß
Max Abraham Teilhaber des Verlages seit 1863 auf die
Leipziger Druckerei von Carl Gottlieb Röder. Seit geraumer
Zeit versuchte Röder, das für den Buchdruck bereits eingeführte
Verfahren eines lithographischen Schnelldruckes für den Notendruck
nutzbar zu machen. Das gemeinsam vorangetriebene Projekt glückte,
die Produktivität stieg um märchenhafte 800 Prozent. Beinahe
ebenso die Gewinne, trotz niedriger Preise. Abraham sorgte für
kompetente und namhafte Herausgeber sowie für eine extrem hohe
Dichte an Neuerscheinungen. 1891 holte Abraham seinen Neffen Henri
Hinrichsen (18681940) als Prokuristen und späteren Nachfolger
in die Firma. Um die Jahrhundertwende stand der Verlag auf dem Höhepunkt
seiner wirtschaftlichen Macht. Der Verlag präsentierte sein
Sortiment auf mehreren Weltausstellungen, erhielt 1900 in Paris
sogar einen Grand Prix.
Leipzig profitierte davon in besonderer Weise. Hinrichsen stellte
einen Teil seiner Gewinne der Öffentlichkeit zu Verfügung.
Unter anderem mit der 1893 gegründeten Musikbibliothek
Peters, 1911 mit der von Henriette Goldschmidt angeregten
Gründung der ersten deutschen Hochschule für Frauen. Wie
gesagt: Beispiele. Beispiele auch, die verdrängt, verleugnet
und totgeschwiegen wurden, als die Nazis 1933 begehrliche Blicke
auf das Eigentum jüdischer Familien warfen. Freunde und Bekannte
mussten zusehen, wie die Hinrichsens aus Leipzig verschwanden: 1936
verließ der zweitälteste Sohn Walter Leipzig in Richtung
USA, 1937 ging der ältere Max nach London. Henri und der jüngste
Sohn Hans-Joachim blieben zunächst dem Erbe Abrahams verpflichtet,
erhielten aber nach der Kristallnacht am 9. November 1938 Berufsverbot.
Das Leipziger Verlagshaus
Peters in der Talstraße um die Jahrhundertwende.
Foto: Archiv Peters
Im Jahr 1939 kauften Staatsrat Kurt Hermann, der über weit
reichende Verbindungen im NS-Staat verfügte, und Johannes Petschull,
der als ehemaliger Verlagsleiter von Schott exzellente Branchenkenntnisse
besaß, Henri Hinrichsen den Verlag ab. Die Kurzbiografie der
Internet-Seite www.edi tion-peters.de spricht von einem Schein-Kaufvertrag.
Doch wer kaufte 1939, als das Tausendjährige Reich
die militärischen Deiche der Nachbarvölker wie eine Sturmflut
überschwemmte, einen jüdischen Verlag zum Schein? Allerdings:
Petschull verschaffte in seiner Eigenschaft als Verlagsleiter insgesamt
etwa 60 Personen eine UK-Stellung, welche Zivilisten vor dem Kriegsdienst
bewahrte.
Hingegen erlitten Anfang der vierziger Jahre Henri Hinrichsen
und sein Sohn das gleiche Schicksal wie zwölf weitere Angehörige
der Familie. Hans-Joachim starb im Konzentrationslager in Perpignan,
Henri wurde in Auschwitz-Birkenau vergast. Leipzig verlor eine seiner
nobelsten Familien auf die menschenunwürdigste Weise und in
der schwärzesten Phase deutscher Geschichte.
Das Ende ist rasch skizziert: 1941 ging die Produktion kriegsbedingt
stark zurück. 1943 wurden wichtige Verlagsunterlagen und Teile
der Musikbibliothek ausgelagert. Während das grafische
Viertel in Schutt und Asche versank, blieb das Verlagshaus
in der Talstraße von den Bomben verschont. 1945 stellte Walter
Hinrichsen, inzwischen Staatsbürger der Vereinigten Staaten,
Petschull eine Generalvollmacht als Teilhaber und Geschäftsführer
aus, nachdem Petschull den Verlag beim Leipziger Amtsgericht auf
Hinrichsen zurückübertragen hatte.
Die Russen akzeptierten den Verlag als amerikanisches Eigentum,
die SED enteignete die Nachfahren Henri Hinrichsens. Damit setzte
die DDR das Unrecht fort, welches von den Nazis begangen wurde.
1951 wurde der Verlag rückwirkend zum 1. Januar 1950 in Volkseigentum
überführt. Als VEB (Volkseigener Betrieb)
wurde er fest in die kulturpolitischen Maßnahmen der SED-Regierung
eingebunden. Oder besser das, was von ihm in Leipzig verblieb. Denn
längst hatten Hinrichsens Nachfahren gleichnamige Niederlassungen
in London und New York gegründet, hatte Petschull den deutschen
Sitz des Verlages nach Frankfurt am Main verlagert. Bis 1990 existierten
C.F. Peters bzw. VEB Edition Peters parallel, wobei viele Verbindungen
erhalten blieben, wie die einheitlichen fortlaufenden Verlagsnummern
und die ISBN-Nummern. Frankfurt nutzte die Quellen und die verlegerische
Arbeit aus Leipzig; die DDR erhielt für den Export von Musikalien
Devisen. Eine Symbiose des Unrechts, der die Leipziger 1989 selbst
ein Ende bereiteten.
Mit der ab 1990 betriebenen Rückgabe des Verlages an die Erben
der Familie Hinrichsen tauchten jedoch neue Probleme auf. Kurz vor
der Wiedervereinigung verfügte die letzte DDR-Regierung die
unverzügliche Rückgabe des Verlages an die Familie Hinrichsen.
Die schnelle Rückgabe kollidierte jedoch mit den Regelungen
des Einigungsvertrages, was zu erheblichen juristischen Komplikationen
führte und die Entlassung sämtlicher Mitarbeiter zur Folge
hatte. 1993 war die Rückgabe endgültig besiegelt. In Leipzig
wurde eine kleine Dependenz gegründet, die Edition Peters GmbH,
und Nobert Molkenbur, seit 1983 Betriebsdirektor des ostdeutschen
Verlages, als Geschäftsführer bestellt. Er ist Herr über
eine Sekretärin, einen Hausmeister und über zwei Millionen
Musikalien, die in den feuchten Kellern des alten Verlagshauses
lagern. Inzwischen sind viele Kellerräume leer.
Voll dagegen sind die Bestände an Verlagsunterlagen im Sächsischen
Staatsarchiv in Leipzig: 150 laufende Meter Akten, 10.000 Mappen
und Hefter mit nahezu 1 Million archivalischen Einheiten, darunter
etwa 250.000 Briefe unter anderem an Clara Schumann, Hugo Wolf,
Max Reger und Richard Strauss sowie Autographe der von C.F. Peters
verlegten Werke. Neues wird an der Pleiße allerdings auch
künftig nicht gedruckt. Mühelos füllen die Druckpressen
an Themse, Main und Hudson die Kataloge und Prospekte. Keine Frage,
der Peters-Verlag ist ein erfolgreicher internationaler Musikalienverlag
mit Zukunft.
Und, daran ist nicht zu rütteln, mit Sitz in Frankfurt, London
und New York. Wer dagegen nach Spuren der Vergangenheit sucht, kommt
an dem alten Verlagshaus nicht vorbei. Dort regiert der Verfall,
stockt die bereits in Angriff genommene Sanierung. Wie so oft ist
der Hauch des Vergangenen Gegenwart in Leipzig.